So kalkulierte ich. Ach, hätte ich glücklicher Jüngling damals geahnt, wie vermessen ich das Schicksal herausforderte! Wie es Weiber gibt, welche jeder Berechnung spotten!
Zu erwähnen vergaß ich, daß auf dem Tische eine Flasche Rotwein und eine Flasche Weißwein gestanden hatten. Die Flasche Weißwein hatte ich geleert, der Diener brachte unaufgefordert eine zweite, die, als abgeräumt wurde, ebenfalls bis auf den kleinen Rest verschwand, den schlürfte ich jetzt, und als der Klunkermann nicht von selbst wiederkam, machte ich mich einstweilen an die Flasche Rotwein.
Der Wein war schwer, sehr schwer. Aber drei Flaschen rührten mich gar nicht, ein halbes Dutzend nicht. So wie gestern abend – na, da hatte ich den Grog aus Blecheimern getrunken, ohne Wasser, den schieren Rum.
Auch die Flasche Rotwein wurde unter Träumereien aller Art geleert. Unterdessen mußten doch schon zwei Stunden vergangen sein. Jetzt hätte jemand kommen können, um mich zu holen. Mein Wunschzettel war geordnet.
Eine Klingel war nicht zu sehen. Ich ging einmal nach der Tür, an deren Glasscheibe die zwölf Apostel in allen Farben prangten. Es war eine kunstvolle Glasmalerei. Was die zwölf Apostel machten, war mir nicht recht erklärlich. Eine allgemeine Unterhaltung. Petrus stand da, als wolle er Paulussen in den Bauch boxen, und Judas bückte sich, und Johannes schien einen Anlauf zu nehmen, als wollten die beiden Bockspringens machen.
Die Tür klemmte sich. Nein, sie war – sie war — nanu, die Tür war ja von draußen zugeschlossen!? Wahrhaftig, als ich mich bückte, sah ich im Schloß von draußen den Schlüssel stecken! Einfach abgesperrt! Ich ging nach den Fenstern, wollte rufen – die beiden hohen Fenster waren von innen überhaupt nicht zu öffnen. Nochmals nach der Tür, ich konnte es gar nicht fassen – aber es war und blieb Tatsache, man hatte mich eingeschlossen.
Himmelbombenelement noch einmal, Klüverbaum und Katzenschwänze!!!
Ich weiß nicht – mir stieg das Blut plötzlich siedendheiß zum Kopfe empor. Ich wurde ganz wild. Eingeschlossen sein – entsetzlicher Gedanke für mich! Wenn ich alles vertragen kann – nur das nicht!
In Colombo auf Ceylon sollte ich einmal vierzehn Tage eingesperrt werden. Ich hatte so einen malaiischen Polizisten verhauen. Ich hielt’s keine Stunde aus. Mit einem Anlauf rannte ich die ganze Mauer ein, riß ein paar Türen aus den Angeln, und dann war ich im Freien. Ein brauner Soldat wollte auf mich schießen. Ich nahm ihm das Gewehr weg, nahm das Kerlchen untern Arm, nahm es gleich an Bord meines Schiffes mit, wo ich ihn erst bezecht machte, ehe ich ihn laufen ließ.
Und nun hier …
Ich klopfte, ich donnerte mit der Stiefelhacke gegen die Tür, bis ich für das Schicksal der zwölf Apostel fürchten mußte. Ich wartete und donnerte weiter – niemand kam.
Nein, das konnte so nicht weitergehen. Ich lasse mich nun einmal nicht einsperren! Da hörte doch wahrhaftig alles auf.
Die Glasscheibe in der Tür saß tief genug, um, wenn ich hindurchgriff, den Schlüssel erfassen zu können. Nur mußte ich dazu erst ein Loch ins Glas machen, mußte gerade zwischen die Beine des heiligen Jakobus hindurch greifen, der sehr breitbeinig dastand. (Ich kenne die Gestalten der zwölf Apostel daher so gut, weil ich hatte Pastor werden sollen.)
Nein, das war doch nicht gut angängig. Aber ich lasse mich nicht einsperren! Also ich hob den Fuß, ein Druck, und knallend sprang die Tür auf. Freilich auch unter einem Klirren von Glas. Denn nun waren dabei die sämtlichen zwölf Apostel in die Brüche gegangen. Ich konnte ihnen nicht helfen.
Und draußen zwischen den Glastrümmern stand ein alter Mann – kein Römer, auch kein silberner Klunkerfritze, sondern ein würdevoller Herr in schwarzem Anzuge und machte eine Bewegung, als wolle er die Hände über seinem grauen Haupte zusammenschlagen, war aber dessen nicht fähig, er zitterte an allen Gliedern.
»Mein Gott, was machen Sie denn da?!« jammerte er.
Ich war noch sehr erregt.
»Die Tür habe ich aufgemacht!!« schnauzte ich ihn an. »So ’ne Gemeinheit, mich hier einzuschließen!«
»Sie haben die Glasscheibe zerbrochen,« jammerte der Alte weiter.
»Mir ganz egal, ich lasse mich nicht einschließen.«
»Das war eine Glasmalerei von dem berühmten Sandrock!«
»Mir ganz egal – und wenn Raphael oder der Prinz von Wales sie gemalt hätte – ich piepe darauf – ich lasse mich nicht einschließen!«
»Das war eine absichtslose Unüberlegtheit des Dieners.«
»Eine absichtslose Unüberlegtheit? So! Geben Sie mir den Kerl mal her, daß ich ihm Ueberlegtheit beibringe – übers Knie – und das absichtlich!«
»Aber, mein lieber Herr, seien Sie doch nicht gleich so böse, es soll ja nicht wieder vorkommen!« flehte der alte Herr und wackelte angsterregend mit Kopf, Händen und Knien.
»Das will ich mir auch stark verbitten!« schnauzte ich noch immer.
»Aber mein lieber, lieber Herr, seien Sie doch nicht so böse!« flehte jener nochmals.
Schnell war mein Zorn wieder verraucht. Wie der Alte mit den weißen Haaren so bettelte, wie er so kläglich dastand, an allen Gliedern wie Espenlaub zitternd – er tat mir leid. Wie ich später erfuhr, war es ein permanentes Zittern. Er litt am Tadderich. Nicht vom Suff, sondern aus Altersschwäche.
»Aber die bemalte Glasscheibe bezahle ich nicht!«
»Ach, wer spricht denn davon? Die Lady erwartet Sie. Sie sollen ihr doch Ihren Wunsch vortragen.«
Mein Entschluß war schnell gefaßt. Ich hatte mich ja hier nicht gerade in angenehmer Weise aufgeführt; aber daß die zwölf Apostel zersplittert am Boden lagen, das war nicht meine Schuld. Und ein heimliches Verduften gibt’s bei mir überhaupt nicht. Ich wollte mich schon rechtfertigen, und war die Dame vernünftig, so achtete sie diesen Zwischenfall gar nicht, andernfalls … von einem unvernünftigen Menschen mag ich gar kein Geld geliehen haben.
Also ich ging mit, wieder in jenen Saal zurück, wo die Lady noch immer oder schon wieder auf ihrem Throne saß, umgeben von ihrer Leibwache. Sie hatte Papiere in der Hand, und unten vor den Stufen waren eine Menge Kleidungsstücke ausgebreitet. Ich sah eine Hose, ein Hemd …
Himmel!!! Ich blickte stier hin. Ich traute meinen Augen nicht. Ich rieb sie. Ich blickte wieder hin.
Natürlich! Das waren ja meine Hosen! Das war ja mein Hemd! Das waren meine Sachen! Und dort lag ja auch mein Kleidersack! Und was die Lady in der Hand hatte, das war mein Seefahrtsbuch, waren meine anderen Papiere!!
»Ich habe von dem Boardingmaster Ihre Sachen holen lassen,« fing die Lady an. »Es waren einige … «
»Sie haben – von dem Boardingmaster – meine Sachen – holen lassen?« unterbrach ich sie ruckweise, muß aber dabei im ganzen Gesicht gelacht haben, nämlich weil ich etwas zu hören bekam, was über meinen Horizont ging. Die Lady aber mochte sich dieses Lachen anders deuten.
»Jawohl. Ich habe sie ausgelöst, es waren sieben Pfund und …«
Wieder kam sie nicht weiter.
»Sie haben – bei dem Boardingmaster – ohne meine Einwilligung – meine Sachen ausgelöst?« wiederholte ich, und diesmal mochte ich ein etwas anderes Gesicht dabei machen, daß sie mich plötzlich ganz erschrocken anblickte.
Und