Das Wasser wurde ausgepumpt, die Arbeiten an dem wie ein hohles Ei schwimmenden Schiffe begannen sofort, und ich machte mich auf die Suche nach Rothäuten und Mißgeburten, woran sich die ganze beurlaubte Mannschaft beteiligte, allein, auf eigene Faust oder in kleinen Trupps, wie die Freundschaft es ergab.
Das Glück war mir günstig. Zuerst hatte ich mich erkundigt, ob in New-York zufällig gerade eine Indianertruppe gastiere. Denn für ein New-Yorker Kind ist und war schon damals ein echter Indianer eben solch eine schauenswerte Seltenheit wie für uns, die an der Küste gelegenen Städte, aber auch die im Innern, wurden schon damals ab und zu von Entrepreneurs besucht, welche eine Truppe ›wilder‹ Indianer mitbrachten, dem schaulustigen Publikum das Leben im wilden Westen vorführend, wie es dann später der bekannte Kolonel Cody, genannt Buffalo Bill, im großen betrieb, durch seinen Unternehmungsgeist alle Konkurrenz aus dem Felde schlagend.
Sonst aber gibt es noch heute alte, in Amerika geborene Leute genug, welche noch niemals eine echte Rothaut im vollen Federschmuck gesehen haben, da sind eben gar weite Reisen nötig.
Nein, solch eine Truppe gastierte zur Zeit nicht hier.
»Gehen Sie doch einmal nach der Castle-Avenue,« sagte mir jemand, »da sind ein paar Feuerfresser und wilde Männer, vielleicht ist ein ›Redman‹ dazwischen.«
Die Castle-Avenue ist für New-York dasselbe, was für Hamburg der Spielbudenplatz ist. Eine Schaubude neben der anderen, mit Kraftmeiern, Riesendamen, Feuerfressern, Fischweibern usw.
Es war gegen Abend, als ich mit Blodwen dorthin schlenderte. Ich hatte ihr davon erzählt, das war ihr etwas ganz Neues, sie wollte sich amüsieren, war zu jeder Torheit bereit.
Wir waren noch längst nicht hin, da sitzt an einer belebten Ecke ein schmieriger Kerl, pfeift den Yankeedoodle mit Begleitung. Wie das zu verstehen ist, kann ich nicht weiter beschreiben. Kurz, er brachte zwischen den gespitzten Lippen immer zwei verschiedene Töne gleichzeitig hervor, und am besten war das dann zu merken, als er gleichzeitig zwei verschiedene Melodien pfiff, einen Marsch und einen Walzer, durchaus unabhängig voneinander, und dennoch klang es ganz harmonisch.
Wie der Kerl das fertig brachte, habe ich nie begreifen können. Ich glaube, den einen Pfeifton brachte er hinten im Gaumen hervor.
Für mich aber war damals mit die Hauptsache, daß ich sofort einen Indianer erkannte. Das rotbraune, bartlose Gesicht mit den melancholischen Zügen, welche an die eines alten Weibes erinnerten, obgleich er noch ziemlich jung war, das schwarze, straffe Haar – es war gar nicht nötig, daß er sich durch gestickte Mokassins und durch eine bunte Decke als roter Sohn des großen Geistes herausstaffiert hatte, übrigens furchtbar zerlumpt.
Derartige Herren des Landes und Söhne des großen Geistes sieht man ja nun allerdings noch heute überall in den Straßen der größeren Städte Amerikas. Es sind durchweg Bettler, Streichholzverkäufer und dergleichen, immer besoffen, bis sie wegen Diebstahls für einige Zeit im Gefängnis freie Kost und Station finden.
Aber der hier konnte ganz besonders pfeifen, und wenn ich ihm die Skalplocke zurechtstutzte und ihn sonst etwas herausstaffierte, hatte ich ja hier gleich, was ich suchte, was mein Kompagnon verlangte.
Ich ließ in die Büchse zwischen die wenigen Kupfermünzen einen Silberdollar gleiten, und der Sohn des großen Geistes folgte mir auf meinen Wink in die nächste Kneipe, wo er zunächst ein Bierglas voll Gin, das ist Wachholderschnaps, hinuntergoß, als wäre es ein Finkennäpfchen voll.
So und so, ob er mit auf mein Schiff wolle.
Wozu denn?
Na, ich hatte natürlich meine liebe Last, dem Kerl das begreiflich zu machen, zumal er jede Minute ein großes Glas Gin leerte und daher immer bezechter wurde.
Uebrigens hielt ich mich gar nicht lange bei einer Erklärung auf, ich vergewisserte mich nur, daß er hier in New-York keine Frau, keinen Anhang habe, auch sonst nichts zurücklasse, dann filtrierte ich ihm noch eine Flasche Schnaps ein, und als er so weit war, wie ich ihn haben wollte, nahm ich den Sohn des großen Geistes unter den Arm, packte ihn in eine Droschke und fuhr mit ihm nach meinem Schiffe, wo er in Verwahrsam genommen wurde.
So, dieser rote Kunstpfeifer kam mir nicht wieder aus den Fingern, der gehörte jetzt mir, den hatte ich mir richtig, wie Karlemann gesagt, gekauft. Ich bin ja sonst ein Gegner vom Menschenhandel und Menschenraub, aber … es gibt Ausnahmen, bei diesem Indianer konnte ich nicht anders handeln, und bei seinem Verschwinden von der Erdoberfläche krähte ja auch kein Hahn.
Auch Blodwen war in der Droschke mitgefahren, die der schlafende Kunstpfeifer mit einer Alkoholatmosphäre und mit noch etwas ganz anderem erfüllte, und leider muß ich sagen, daß ihr dieses Abenteuerchen ausgezeichnet gefiel – nämlich deshalb ›leider‹, weil ich dann doch lieber alleine losgegangen wäre.
Doch dazu sollte ich gar nicht kommen.
Ich hatte den roten Kunstpfeifer von der Wache eben in einer Kammer unterbringen lassen, wo er seinen Mordsrausch ausschlafen konnte, als johlend ein Trupp meiner Jungen ankam, zwischen sich einen Chinesen im Nationalkostüm schleppend – einen Menschen, wie ich überhaupt noch keinen gesehen hatte.
Es war nämlich ein Riese – ein Riese, der aufrecht in keiner Kabine stehen konnte. Die Messung dann ergab zwei Meter sechsunddreißig Zentimeter. Man messe sich das aus, um einen Begriff davon zu bekommen. Und dabei dürr wie ein Bandwurm.
Ich hatte Mühe, aus den Matrosen herauszubekommen, woher sie den Chinesen hätten, der stammte doch offenbar aus einer Schaubude. Die ganze Bande war nämlich besoffen, sie hatten mit dem schlitzäugigen Riesen erst herumgezecht.
Schließlich erfuhr ich, daß der Riese allerdings auf der CastleAvenue engagiert gewesen wäre, bis vorhin; er habe einen Streit mit seinem Herrn gehabt, dieser habe ihn hinausgeworfen, und das ginge nur von Tag zu Tag, pro Tag bei freier Station einen Dollar, also könne Ra-lu-sin jetzt auch machen, was er wolle, und er wolle mit uns gehen, alles sei in Ordnung.
»Ja aber,« fing ich an, »lang genug ist ja der Riese, indes ich habe euch doch klar gemacht, daß die Länge nicht genügt, es muß alles doppelt … «
Weiter kam ich nicht.
Auf dem Kajütentisch standen resp. lagen ein Tintenfaß, eine Schreibmappe, ein volles Bierglas, eine halbvolle Bierflasche und eine Papierschere – der Chinese greift danach, nach allem zugleich, und plötzlich fliegen Tintenfaß, Schreibmappe, Bierglas, Bierflasche und Papierschere in der Luft herum, der Kerl jongliert damit, Tinte und Bier spritzen nur so herum – und dann liegt der Kerl plötzlich auf dem Rücken, unter seinem buntseidenen Rocke kommen ein paar nackte, spindeldürre Beine zum Vorschein, so lang wie die Ruderstangen, und nun jongliert er Tintenfaß usw. zwischen seinen Beinen hindurch, mit denen er in der Luft herumquirlt, und dann nimmt er die Füße mit zu Hilfe, kann mit den nackten Zehen wie mit Fingern greifen – und dann steht er wieder auf den Beinen, nimmt schnell den heißen Zylinder von der Lampe, beißt hinein, daß es nur so knirscht und … frißt der lange Kerl den ganzen Lampenzylinder auf! Wahrhaftig, als wär’s eine saure Gurke – nur daß es dabei knirschte.
»Un dat Petroleum kann he ok utsupen,« versicherten mir noch meine Matrosen, »un ok den brennenden Docht kann he upfräten.«
Na, kann der Mensch von einem chinesischen Riesen mehr verlangen? Ich verzieh ihm Tintenflecke und alles, er war engagiert – rin mit ihm in die Kammer, wo er ebenfalls seinen Rausch ausschlafen konnte.
Noch bin ich mit dieser zweiten Unterbringung nicht ganz fertig, da naht schon wieder eine johlende Matrosenbande, wieder schleppt sie in der Mitte etwas mit sich, eine ungeheure Kugel – ein langer Regenmantel fällt, und … vor mir steht eine Unmasse von Fleisch, angetan mit einem ganz kurzen, flitterbesetzten Röckchen, das nicht einmal bis an die Knie geht – und was nun für Knie! – und diese Waden! – und diese Beine! – nee, diese Beine! – die eines ausgewachsenen Elefanten waren