Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026841036
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arbeitenden Hände hinfunkelte, war tiefgereizt.

      »Um das Wohl und Wehe der Wolframs habe ich mich längst nicht mehr zu kümmern,« versetzte sie, ohne aufzublicken. »Du erziehst den einzigen, der es dermaleinst in der Hand halten wird, nach eigenem Ermessen, nach deinen Grundsätzen, und ich – ich verbrenne mir den Mund nicht mehr ... Was aber den Besitz betrifft, so habe ich ihn nun seit langen Jahren durch unverdrossene Arbeit und gewissenhaftes Sparen vermehren geholfen – das Zeugnis darf ich mir geben!... Es macht mir Freude, ein Familienvermögen anwachsen zu sehen; aber das darf nur auf ehrliche, brave Weise geschehen, stet und beharrlich, wie es unsere Väter gemacht haben – nicht um Haarbreite anders! ... Du aber bist ein Moderner geworden. Du möchtest das Geld in jagender Eile scheffelweise einsäckeln, willst aber nichts ausgeben, um den Boden unter deinen Füßen zuerst zu sichern; und das ist das drohende Unheil in deinen Gruben – du hast es selbst verschuldet!«

      Sie hatte in fast eintöniger Ruhe gesprochen; und wenn er bis dahin der Meinung gewesen war, die Schwester kümmere sich, wie immer im festen Glauben an seine geschäftliche Unfehlbarkeit, nicht entfernt um das, was außerhalb der Wirtschaft liege, so war das jetzt widerlegt – sie wußte alles und verurteilte ihn ebenso streng, wie die ganze Stadt.

      »Davon verstehst du nichts!« fuhr er sie grob und erbittert an.

      »Mag sein – ist auch nicht meine Sache,« versetzte sie eben so gleichmütig wie vorher, nur daß sie jetzt den Blick, in welchem sich eine gewisse Unruhe spiegelte, rasch von der Arbeit hob. »Ich weiß nur, daß ich die ganzen Jahre her gewünscht habe, die Kohlen lägen in guter Ruh bis an den jüngsten Tag unter der Erde, und es wüßte kein Mensch drum. Seit du den Boden da draußen hast aufreißen lassen, ist's auf dem Klostergute nicht mehr wie es sein sollte ... Ach ja –« ein unwillkürliches Seufzen hob ihre Brust – »viel, viel reicher sind die Wolframs ja geworden, das ist ja wahr – aber der Erwerb ist mir so unheimlich, so fremd, und ich meine, es hinge ihm Unsegen an wie unrechtem Gut, weil sich ein unglücklicher Mensch um deswillen den Tod gegeben hat.«

      Der Rat war, die Hände auf dem Rücken gefaltet, immer noch auf und ab gegangen. Bei den letzten Worten blieb er stehen, gleichsam festgebannt, wie man entsetzt und versteinert vor einer Erscheinung verharrt, die unvorhergesehen gespenstisch aus dem Boden steigt – dann brach er in ein verletzendes Hohngelächter aus.

      »Bist ja wirklich mit den Jahren stark in der Logik geworden, wie die alten Weiber im Spittel!« sagte er in seinem beißendsten Ton. »Also weil ein verrückter Bedienter von seinem ebenso hirnverbrannten Herrn fortgejagt worden ist, da klebt Unsegen an meinem Unternehmen!« – Er lachte abermals gezwungen auf. »Ei nun ja – einen solchen Unsegen lasse ich mir schon gefallen! ... Wenn der alte Klaus Wolfram, der tüchtigste unter unseren Vätern, wiederkommen könnte, der würde wohl große Augen machen, daß die Wolframs jetzt auf Sommerwiese, dem größten Rittergut im ganzen Lande, sitzen.«

      Er trat an das Fenster und spielte unhörbar mit den Fingerspitzen auf den Scheiben – es lag nervöse Aufregung in dieser ungewohnten Beweglichkeit der muskulösen, braunen Hand. Einen Augenblick war es so still in der Stube, daß man das Summen der über dem Eßtisch kreisenden Fliegen hören konnte.

      Der Rat blickte verstohlen über die Schulter zurück. Seine letzte Bemerkung war sichtlich eindrucklos abgeglitten – das schöne Matronengesicht mit den gesenkten Augen behauptete seine gewohnte seltsame Starrheit, und die roten Beeren rollten in gleichmäßiger Wiederholung, vom Stiel abgestreift, in die Porzellanschüssel.

      »Du hast gestern dein Darlehen von zehntausend Talern aus der Zieglerschen Erbschaftsmasse zurückerhalten?« fragte er plötzlich.

      »Ja.«

      »Wie gedenkst du es wieder anzulegen?«

      »Ich weiß es noch nicht.«

      »Gib mir das Geld, Therese,« sagte er, rasch an den Tisch tretend. »Sommerwiese hat vor einigen Tagen meine ganzen verfügbaren Kapitalien geschluckt. Nun kommt da so unvorhergesehen das Unglück in den Gruben – ich muß Geld flüssig haben und möchte doch kein Papier veräußern... Dein Geld ist in meiner Hand gut aufgehoben, Therese. Es ist ja doch auch Wolframsches und könnte nun im großen Familienvermögen wieder mitarbeiten, wie ja dein alles, deinem eigenen fest ausgesprochenen Wunsch und Willen gemäß, später einmal – hoffen wir in allerspätester Zeit – wieder zu dem Stammbesitz zurückfließen wird.«

      Jetzt stieg ein leises Rot langsam in das bleiche Gesicht und verbreitete sich, immer dunkler werdend, bis hinauf über die Stirne. »Ich habe mein Testament noch nicht gemacht,« versetzte sie, ohne aufzublicken.

      Er stützte die Hände auf den Tisch und sah mit höhnischer Überlegenheit auf das errötete Gesicht herab – da war ja das erste Zeichen der Wandlung, das erste oppositionelle Aufzucken der Frauenseele, die er bis dahin fast widerspruchslos in der Hand gehabt! – »Das weiß ich ja, Therese,« sagte er nichtsdestoweniger gelassen und unbefangen; »und es wird mir auch nie einfallen, dich zu diesem Entschluß zu drängen, obgleich ich's sonst mit dergleichen Schritten, die doch notwendig geschehen müssen, sehr ernst nehme – der Teufel hat oft sein Spiel, und der Sturm kann über Nacht die stärksten Eichen fällen. Es wäre eine geradezu ekelhafte Aufgabe für mich, wenn ich von der Frucht, die dem letzten Wolfram zufallen soll, die hungrigen Wespen verjagen müßte – verjagt würden sie, darüber kannst du ganz ruhig sein, Therese! Du brauchst nicht zu fürchten, daß, falls du plötzlich vor mir das Zeitliche verlassen müßtest, auch nur ein Groschen in die Hand kommt, auf welcher der Mutterfluch ruht – dafür bin ich da – ich würde auch darin deinen und meinen Willen durchzusetzen wissen wie einst in deiner Scheidungsangelegenheit.«

      Sie hatte die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt und schwieg beharrlich, fast wie bedrückt und gedemütigt – er konnte freilich nicht sehen, daß es wie ein Feuerbrand unter den gesenkten Wimpern loderte – war es doch ein geflissentlich rohes Betasten ihrer inneren Wunden, aller Saiten in ihrer Seele, die schmerzhaft aufschrillten.

      »Sollte uns beiden aber ein hohes Alter beschieden sein,« fuhr er wie ablenkend fort, und drehte lässig den dünnen, grauen Kinnbart zwischen den Fingern, »dann wird die Welt völlig vergessen haben, daß du einst unseren Namen mit einem anderen, unheilvollen vertauscht hattest; dann wirst du wieder die Tochter der Wolframs sein, nichts anderes, und hast dein gerechtes Teil an dem Glänze, der vom Klostergut neu ausgeht –«

      »Durch den da?« unterbrach sie ihn schneidend und zeigte mit der ausgestreckten Hand, die wie von einem inneren Fieber geschüttelt wurde, durch das Fenster nach dem Hofe – dort trieb Veit eben wieder sein Unwesen zwischen dem schreiend auseinanderstiebenden Federvieh.

      »Ja, durch den,« bestätigte er spitz und nachdrücklich, und der Grimm begann in seinen Augen aufzufunkeln.

      »Der Bursch soll aufbauen und hat doch die zerstörungswütigste Hand, die je geboren worden ist,« sprach sie weiter, ohne sich im geringsten einschüchtern zu lassen. »Was er an zerbrechlichen Sachen mit der Hand erreichen kann, das wird ohne Gnade auf dem Boden zerschmettert. Er ist ein grausamer, erbarmungsloser Tierquäler –«

      »Dummes Zeug – das ist eben Jungenart! – Ich bin – wie ich denke – ein ganzer Mann geworden, und hab' der Mutter die Töpfe und Tassen heimlich zerschlagen, daß es eine Lust war, hab' den Maikäfern die Beine ausgerissen und die Frösche bei lebendigem Leibe aufgespießt und –«

      »So?« unterbrach sie ihn wie erschrocken, mit starrem Blick. »Da hör' ich ja das erste Wort... Ich weiß es noch recht gut – wegen der vielen zerbrochenen Töpfe und Tassen sind damals die Mägde gestraft und schließlich fortgejagt worden. Du warst so gesetzt – ›ein Mustersohn‹, wie die selige Mutter immer sagte – bis auf den heutigen Tag hätte ich mir nicht träumen lassen, daß du so ein ›Heimlicher‹ gewesen bist.«

      Er biß sich auf die Lippen, während die Rechte der Majorin verstohlen vom Tische glitt und in die Tasche schlüpfte. Sie umschloß sanft die kühlen Ringe der Löwenzahnstengel, und es war, als laufe diese Kette von dem Händchen aus, das sie zusammengefügt, wie ein magnetisches Band bis an das Herz der Frau, an das verstockte Herz, das viele Jahre lang gegen seine natürlichsten, weiblich