Der große Promenadenfächer, den sie in der Hand hielt, wurde geräuschvoll zusammengefaltet – sie wiegte ihn zwischen den Fingern wie eine schwanke Reitgerte. Diese Bewegung im Verein mit dem schlimmen Lächeln der Erbitterung und den gereizt sprühenden Augen in dem fremdartig schönen Gesicht konnte recht wohl erinnern an den Ausspruch der Baronin, daß diese Sklavengebieterin vor der eigenhändigen Züchtigung Straffälliger nicht zurückscheue.
Wieder ruhte sein Blick durchdringend auf ihr. »Aber auch dieses fernere Opfer könnte Ihnen erspart werden,« fuhr er wie nach augenblicklicher Überlegung fort; »wenn Sie sich dazu verstehen wollten, die weitere Entwicklung einzig und allein in meiner Hand zurückzulassen –«
»Das heißt mit anderen Worten, meine Begleitung sei überhaupt eine überflüssige gewesen,« fiel sie rasch mit belegter Stimme ein; »der Schillingshof vermöge den kleinen Lucians den Schutz des Vaterhauses, die treue, väterliche Fürsorge im vollsten Umfang zu bieten – ganz richtig, mein Herr – aber die weibliche Zärtlichkeit nicht, die ein Kind zum Gedeihen braucht wie den Sonnenschein ... Und da oben« – sie zeigte mit dem Fächer nach dem Obergeschoß des Säulenhauses – »lebt jetzt eine Frau, Ihre Frau, Baron Schilling, die sich vor dem verpesteten Kinderodem hermetisch einschließt, die den Blick beleidigt wegwendet, sobald solch ein kleines Gesicht hinter den Scheiben auftaucht, die –«
»Sind Sie gekränkt worden?« brauste er auf.
»Glauben Sie, ich lasse eine Beleidigung an mich herankommen?« fragte sie mit stolzverächtlicher Überlegenheit zurück. »Ich will damit auch gar keinen Vorwurf erheben – wer mag es der Frau verdenken, wenn ihr der Kinderlärm in ihrem stillen Hause nicht wünschenswert ist? Die Zurechtweisung gilt Ihnen, der Sie eine Last von Widerwärtigkeiten und schwerer Verantwortung so unbedenklich auf die Schultern nehmen wollen –«
»Das wäre meine Sache,« unterbrach er sie kalt und bestimmt. »Übrigens entsprang mein Vorschlag, wie Sie wissen, nicht der Selbstüberschätzung, sondern lediglich dem Wunsch, Ihnen das Verlassen des deutschen Bodens rasch und sorglos zu ermöglichen,« setzte er fast heftig hinzu. »Felix hat zu viel von Ihnen gefordert! Ihr Hiersein, Ihr Ausharren in diesem stillen Erdenwinkel mag Ihnen wohl gleichbedeutend sein mit geistigem Verkommen – es ist ein unerhörter Raub an Ihrer kostbaren Jugendzeit! ... Sie sind gewohnt, Triumphe zu feiern, bewundernden Blicken zu begegnen, wohin Ihre stolzen Augen sehen – Sie sind gewohnt, in genußsüchtigem Luxus inmitten einer tropisch-üppigen Vegetation zu leben, wo tropische Leidenschaft Ihre Schönheit umwirbt – das alles kann Ihnen Deutschland mit seinem blassen Himmel, seinen »fischblütigen« Menschen nicht geben. Dort finden Sie –«
»Ja, dort suche und finde ich – vier Gräber,« fiel sie mit tonloser Stimme ein, und ein starrer, tränenfunkelnder Blick voll zürnenden Vorwurfs traf seine Augen.
Sie wandte sich mit einer raschen Bewegung von ihm weg, und das Gesicht mit dem Fächer bedeckend, ging sie beschleunigten Schrittes nach dem Säulenhause.
30.
Auf dem Klostergute herrschte eine schwüle Stimmung.
Das Gesinde drückte sich scheu in die Ecken, wenn der Schritt des Rates laut wurde; es horchte ängstlich auf seine barsche Stimme, die so mißtönend und grillig war und den ganzen Tag schalt und nörgelte... Er hatte seine Sorgen.
In seinem Kohlenbergwerk schössen plötzlich aus schmalen Ritzen und Klüften dünne, aber kräftig vorgetriebene Brünnlein, die ihm und den Grubenleuten nicht gefielen ... Das ganze Gebiet des sogenannten kleinen Tales, unter dem sich die Kohlengruben hinzogen, war ein quellenreiches; kleine, kühle Bäche rauschten durch den Grund, und am Taleingang breiteten sich mächtige Teichspiegel hin. Es war von Anfang an viel darüber gemunkelt worden, daß sich bei diesem Unternehmen die Knickerei und Gewinnsucht des Rates in wahrhaft sündlicher Weise geltend mache; die Sicherheitsvorrichtungen seien äußerst mangelhaft, und in den Gruben werde der abscheulichste Raubbau getrieben.
Um das Stadtgespräch kümmerte sich der Rat nicht. Er scharrte mit immer heißerer Gier die Reichtümer zusammen, die ihm die Gruben in den Schoß warfen, und beschnitt die Betriebskosten, wo er konnte. Da tauchte plötzlich das Gespenst in der Tiefe auf, der unheimliche Feind, der die Wasserstrahlen wie dünne weißliche Schwerter aus den Wänden trieb. Es stellte sich immer dringender heraus, daß mit großen Kosten verknüpfte Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden müßten, um eine greifbare Gefahr abzuwenden, und das war's, was den Rat so finsterbrütend, so tief innerlich ergrimmt umhergehen machte.
Die Majorin schien sich darum nicht zu kümmern. Sie hatte nie viel Worte gemacht, das wußte das Gesinde gar nicht anders, auch war ja das überflüssige, zeitraubende Sprechen überhaupt verpönt auf dem Klostergute. Aber die Leute wunderten sich doch, daß zwischen dem Herrn und seiner Schwester kaum noch der Morgen- und Abendgruß gewechselt wurde. Und mochte der Rat noch so verstimmt heimkommen und mit seinem finstersten Tyrannengesicht durch die Küche nach dem Eßzimmer schreiten, die Majorin fragte nicht; sie trug pünktlich das Essen hinein, nahm die Küchenschürze ab und setzte sich an den Tisch. Aber nur Veit führte das Wort – die beiden anderen schwiegen.
Dagegen trat eine neue Gewohnheit der Majorin immer mehr in den Vordergrund – jeden freien Augenblick, den sie den Hausgeschäften abstehlen konnte, brachte sie im Garten zu. Sie hatte zwar dort auch ihre Beschäftigung, das Abpflücken der Erbsen und Bohnen, das Begießen der Gemüsebeete und des bleichenden Leinens. Aber die Mägde kicherten und meinten, die Leinwand würde niemals trocken, so oft rausche die Gießkanne drüber hin, und in der heißen Nachmittagssonne begieße doch kein vernünftiger Mensch das junge Gemüse. Es fiel ihnen auch auf, daß »die Frau« so oft auf der Gartenbank stehe und über Nachbars Zaun gucke – das war auch eine neue Mode und zu verwundern an der »Aparten und Stolzen«, die sonst keinem Menschen einen Blick gönnte, und immer tat, als mache sie sich aus der ganzen Welt nichts ... Lächerlich! Auf die Bank zu steigen, um immer wieder die dicke, watschelnde »Mohrin« anzusehen, denn nach dem kleinen Mädchen, das die Schwarze zu behüten hatte, guckte sie doch nicht. Sie konnte ja die kleinen Kinder nicht leiden.
Heute war es den ganzen Tag über mit dem Rat kaum auszuhalten gewesen. Einer der Knechte, der die Kohlenfuhren nach der Bahn zu besorgen hatte, erzählte, der Herr sei nun doch gezwungen, der dummen Wassergeschichte wegen ›gelehrte‹ – Leute aus weiter Ferne kommen zu lassen – es sollte und müßte in den Gruben alles anders werden, und das koste ein Heidengeld.
Bald nach dem Mittagessen war der Rat wieder nach dem kleinen Tale gegangen; Mosje Veit schwitzte in der Wohnstube unter der Zucht seines strengen Privatlehrers, der keinen Spaß verstand, und die Mägde, die in der Küche aufwuschen, steckten lachend die Köpfe zusammen; denn dort ging die Frau Majorin richtig wieder über den Hof nach dem Garten, wie allemal, wenn der Herr nicht zu Hause war ... Sie hatte nicht einmal ihren Kaffee getrunken, der noch in der Küche stand und kalt wurde. Es war überhaupt in den letzten Tagen, als habe sie Essen und Trinken nahezu verlernt; und das sah man ihr auch an – die Backenknochen standen ihr scharf aus dem weißen Gesicht, und die Kleider saßen gar nicht mehr so hübsch knapp, sie schlotterten recht auffällig um die Schultern ... Und die Leute meinten, wenn sie auch nicht spreche und ordentlich die Zähne zusammenbeiße, damit ja kein Wörtchen durchschlüpfe, sie ärgere und gräme sich doch im Stillen furchtbar über das viele Geld, das das Unheil in den Gruben kosten würde, denn – sie hätte ja keine Wolfram sein müssen.
Nun ging sie langsam zwischen den Buchsbaumrabatten auf und ab. Ihre schlanken, weißen Finger pflückten mechanisch am Schürzenband und die Augen hingen tiefgesenkt am Boden. Sie, die sonst mit scharfem Blick nach jeder abgefallenen Obstfrucht suchte, sie bemerkte nicht, daß ihr Fuß an den ersten reifen Rosenapfel stieß, daß die goldgelben Frühbirnen wie herabgeregnet im Grase und zwischen den Kohlrabi- und Salatköpfen verstreut lagen und ganze Scharen von Wespen