»Der Firma dürfte es deutlich mehr wert sein«, sagte Bald.
»Vielleicht sollten Sie sich darauf konzentrieren, sich zusammenzureißen. Diesen Job dürfen Sie nicht vermasseln.«
»Ich sagte doch schon: Suchen Sie sich jemand anderen dafür.«
»Es gibt niemand anderen dafür.«
Bald massierte sich die Stirn. Er betete, dass das Amitriptylin schnellstmöglich wirkte. Bald war ein harter Kerl, hatte Mumm und Eier, aber wenn die Migräne zuschlug, wollte er nichts lieber, als sich eine Kugel zwischen die Augen zu jagen.
»Fünf Millionen«, wiederholte Cave. »Damit dürften Sie ausgesorgt haben. Sie können sich davon eine Hütte in den Alpen kaufen, Whiskey trinken und Kebabs essen, oder was Sie sonst so tun.«
Bald schwieg.
Cave senkte die Stimme. Seine Augen lächelten. »Aber eines sollten Sie wissen. Wenn Sie gehen, werde ich ein Telefonat führen. Mehr braucht es nicht. Ein Telefonat, und Ihr Leben wird zu einem Albtraum.«
Balds Mund fühlte sich auf einmal sehr trocken an.
»Sie erinnern sich noch an Rio, oder, John?«, fuhr Cave fort. »Ich bin sicher, die brasilianischen Behörden würden sich gern mit Ihnen unterhalten wollen. Über die Cops, die Sie umgebracht haben, und die Drogen, die Sie aus dem Land schmuggelten.«
Cave sah Bald an. Sein Verhalten hatte sich geändert. Seine Stimme klang nun drohend.
»Wenn Sie nicht mit uns kooperieren wollen, setze ich Sie in den nächsten Flieger nach Brasilien. Die Polizei wird Ihnen stählerne Manschetten anlegen, noch bevor Sie ihren Fuß auf das Rollfeld setzen können. Die stecken Sie in ein Gefängnis, wo die einheimischen Gangs Sie so in den Arsch ficken werden, dass Ihnen die Schwänze im Hals kitzeln.«
Bald schmeckte Gallensaft in seinem Mund. Bitter und schwer. Er schluckte ihn wieder hinunter, atmete tief die gefilterte Wagenluft ein und starrte Cave an. »Wenn ich diesen einen Job erledige, sind wir quitt?«
Cave grinste Bald breit an. »Guter Mann.«
Ein Straßenschild zeigte an, dass sie sich fünf Meilen nördlich von New Romney befanden. Die Wolken am Himmel hatten sich verzogen. An ihrer Stelle zog ein tiefer Nebel von der See herein und überzog die Felder und Bäume mit Nässe.
»Wir sind fast da.«
»Fast wo?«, fragte Bald.
»Lydd Airport.«
Der Nebel wurde dichter. Eingeklemmt zwischen schiefen Zaunpfählen gingen zu beiden Seiten der Straße Deiche ab, die in der Ferne spitz zuliefen.
Bald konnte einen Blick auf das Navigationssystem im Armaturenbrett werfen. Sie rasten in südlicher Richtung die Swamp Road hinunter. Laut GPS waren es noch anderthalb Meilen bis zu ihrem Zielort. Die Swamp Road mündete in der Dennes Lane und verlief dann nur noch als Landstraße weiter. Sie war verdammt holprig, und bei ihrem Tempo rumpelte und schepperte der Wagen hin und her. Balds Magen schlug Purzelbäume. Ihm fiel wieder ein, was Dave Hands zu sagen pflegte. Hands war immer ein Mistkerl gewesen, aber was Whitehall anging, traf er den Nagel auf den Kopf. Egal wie clever du bist oder zu sein glaubst, hatte er zu John gesagt, die Firma kriegt dich trotzdem am Arsch. Aber sie ficken dich so zärtlich, dass du es noch nicht einmal merkst.
Cave blickte wieder auf sein Torch. Ohne Bald anzusehen, sagte er: »Ein Gulfstream-Privatjet wartet auf Sie. Die bringt Sie nach Mexiko City. Von dort aus müssen Sie es allein über die Grenze schaffen.«
»Wieso Mexiko?«, fragte Bald.
»Wir können Sie nicht direkt in die Staaten einfliegen lassen. Selbst mit Hilfe der Agency gibt es keine Möglichkeit, Sie hineinzuschmuggeln, ohne dass man Ihren Namen und Ihre Fingerabdrücke aufnimmt.«
Bald schüttelte energisch den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Ich kann nicht einfach in einen Flieger steigen und mich hier vom Acker machen. Ich hab noch Dinge zu erledigen.« Lenas Arsch blitzte vor seinem geistigen Auge auf.
Cave zuckte mit den Achseln. »Pech für Sie, John-Boy. Der Schläfer will in drei Tagen zuschlagen. Deshalb bleibt uns ein Zeitfenster von zweiundsiebzig Stunden, um ihn aufzuhalten.«
Cave unterbrach sich und sah auf die Uhr. Er trug eine 18-karätige goldene Cartier, und Bald fragte sich, wie viel dieser Mistkerl wohl im Monat scheffeln würde.
»Ich habe Treffen …«
»Nein, ich fürchte, die haben Sie nicht«, sagte Cave. »Seit Mitternacht gelten Sie offiziell als vermisst. Man vermutet, dass Sie zusammen mit einer anderen traurigen Ex-Regimentssoldatengeschichte, Joseph James Gardner, von der Embankment Bridge gestürzt sind. Die Medienberichte werden darauf hindeuten, dass sie beide betrunken waren. Sie werden es als tragisches Ende zweier glorreicher Militärkarrieren hinstellen.«
Bald spürte, wie er zu glühen begann.
»Machen Sie sich nicht die Mühe, den Unschuldigen zu spielen«, sagte Cave. »Ich habe gesehen, was auf der Brücke passiert ist. Ich habe Sie die ganze Zeit über beobachtet.«
Die Hitze kroch an Balds Hals hinab. Kleine Funken sengten jedes einzelne Haar auf seinen Unterarmen an. »Aber warum haben Sie mich nicht aufgehalten, wenn Sie mich gesehen haben?«
»Ein Problem weniger, um das man sich kümmern müsste. Gardner bedeutete nichts als Ärger. Sie haben uns da einen Gefallen getan.«
Bald rann der Schweiß den Nacken hinab. Der Lexus blies frostige Luft in den Wagen, der den Schweiß unangenehm kühlte. Sie befanden sich jetzt östlich von Lydd. Die Medikamente schlugen an. Ein leichter Nebel senkte sich hinter Balds Augen herab und machte ihn benommen. Das Pochen in seinen Händen und seiner Brust ließ nach. Er spähte zum Fenster hinaus. Es war beinahe ein Uhr nachts. Der Mond leuchtete hell und überzog einen einzelnen Flugzeughangar und ein halbes Dutzend Gebäude mit stickiger Helligkeit. Lydd Airport.
Das Rollfeld war erleuchtet. Alles andere lag im Dunkeln. Es war nicht schwer, die Gulfstream zu bemerken, die am hinteren Ende der Landebahn wartete. Dunstschleier waberten geisterhaft über das Gelände des Flughafens. Sieh noch mal genau hin, sagte eine Stimme in Balds Kopf. Für eine Weile könnte es das letzte Mal sein, dass du England siehst.
Der Fahrer bremste den Lexus auf ein schnelles Schritttempo herunter. Die Scheinwerfer strichen über den Rumpf der Gulfstream.
»Alles bereit, John. Und Sie?«
»Was glauben Sie wohl?«
Cave zog die rechte Wange zu einem schiefen Lächeln nach oben. »Kopf hoch, Mann. Vielleicht genießen Sie es ja sogar.«
Der Lexus blieb fünfzig Yards von der Gulfstream entfernt am Rand des Rollfelds stehen. Der Jet sah nicht übel aus, das musste Bald ihnen lassen.
»Sie stehen vor einer G450«, sagte Cave. »Der beste Langstrecken-Businessjet, den man für Geld kaufen kann. Für Sie eigentlich zu gut.«
Der Fahrer stieg aus, lief zu Caves Seite hinüber und öffnete ihm die Tür. Bald musste allein aussteigen. Der Geruch von Diesel und Salz stieg ihm in die Nase. Er genehmigte sich ein grimmiges Lächeln. Wenigstens schickt dich die Firma mit Stil in den Tod. Dann überprüfte er die Umgebung und ließ das Grübeln sein. Andere Fahrzeuge oder Menschen waren nicht zu sehen. Und das brachte Bald auf eine Idee, als Cave ihn zu der Gulfstream führte.
Der Jet nahm nun ihr gesamtes Sichtfeld ein. Bald konnte die typischen ovalen Fenster und den stylishen kursiven Schriftzug am Heck des Flugzeugs erkennen.
»Nun machen Sie schon«, sagte Cave zu Bald. »Hopp, hopp.«
Doch Bald rannte von der Gulfstream davon.
»Was zur Hölle machen Sie da?«, schrie Cave ihm nach.
»Ich verschwinde.«
Bald beschleunigte sein Tempo und hielt auf die Schwärze zu, die das Rollfeld umgab.