»Das weiß ich nicht. Ich würde ehrlich und ordentlich und treu sein. Ich sehne mich nicht nach andern.«
»Das meine ich nicht«, sagte sie. »Statt für Ihre Frau würden Sie für die dreihunderttausend Menschen in Oakland, für Ihre Eisenbahnen und Fähren, für die zwei Millionen Bäume rings auf den Bergen, kurz für alles leben, was Geschäft heißt und damit zu tun hat.«
»Das würde ich nicht«, erklärte er schnell. »Ich würde Ihnen ganz gehören.«
»Das meinen Sie, aber es würde anders gehen.« Sie wurde plötzlich nervös. »Wir müssen dies Gespräch abbrechen – es ist ja fast, als schacherten wir miteinander. ›Wieviel wollen Sie geben?‹ › Soundsoviel.‹ ›Ich verlange mehr‹, und so weiter. Ich mag Sie leiden, aber nicht genug, um Sie zu heiraten, und ich werde Sie nie so gern haben, daß ich Sie heiraten könnte.«
»Wie können Sie das wissen?« fragte er.
»Weil Sie mir immer weniger gefallen.«
Daylight saß wie vom Donner gerührt da. Die Kränkung stand auf seinem Gesicht geschrieben.
»Ach, Sie verstehen mich gar nicht«, rief sie heftig aus, denn jetzt begann sie ihre Selbstbeherrschung zu verlieren. »So meine ich es nicht. Ich mag Sie schon leiden, je mehr ich Sie kennenlerne, desto lieber habe ich Sie. Und gleichzeitig muß ich doch sagen, daß ich Sie, je mehr ich Sie kennenlerne, desto weniger heiraten möchte.«
Diese rätselhafte Äußerung machte Daylights Verblüffung vollständig.
»Sehen Sie denn nicht?« drängte sie. »Ich hätte mich viel eher mit dem Elam Harnish verheiraten können, der frisch von Klondike kam, als mit dem, der jetzt vor mir sitzt.«
Er schüttelte langsam den Kopf.
»Nein, das ist mir zu hoch. Je mehr Sie einen Mann kennenlernen, desto lieber haben Sie ihn und desto weniger Lust haben Sie, ihn zu heiraten. Umgang erzeugt Verachtung – das meinen Sie wohl?«
»Nein, nein«, rief sie, aber ehe sie fortfahren konnte, wurde wieder an die Tür geklopft.
»Die zehn Minuten sind um«, sagte Daylight. Während sie draußen war, flogen seine Augen scharf und schnell, wie die eines Indianers, durch den Raum. Der Eindruck von Wärme, Behaglichkeit und Schönheit war vorherrschend, obwohl Daylight nicht imstande war, ihn zu analysieren; die Einfachheit entzückte ihn – eine Einfachheit, die dennoch kostbar war, wie er bei sich sagte. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß ein Fußboden schön sein konnte, wenn nur ein paar Wolfsfelle darauf lagen; aber sicher waren sie schöner als alle Teppiche der Welt. Er starrte fast feierlich ein Bücherregal an, das ein paar hundert Bände enthielt. Das war ein Mysterium. Er begriff nicht, daß es soviel gab, worüber die Menschen schreiben konnten. Schreiben und Lesen war nicht dasselbe wie etwas tun, und für ihn, den Mann der Tat, war etwas tun das einzig Verständliche. Sie trat wieder ein, und als sie zu ihrem Stuhl schritt, bewunderte er ihren Gang, ganz vernarrt in ihre Bronzeschuhe.
»Ich möchte gern ein paar Fragen an Sie richten begann er. »Denken Sie daran, sich mit einem andern zu verheiraten?«
Sie lachte lustig und schüttelte den Kopf.
»Haben Sie einen andern lieber als mich? – Zum Beispiel den Mann, der Sie eben anrief?«
»Nein. Ich kenne niemand, den ich so gern hätte, daß ich ihn heiraten möchte. Ich glaube eigentlich, ich gehöre gar nicht zu den Frauen, die sich verheiraten. Kontorarbeit scheint einen untauglich für die Ehe zu machen.«
Daylight ließ seinen Blick von ihrem Antlitz bis zur Spitze ihres Bronzeschuhes schweifen, daß ihr das Blut in die Wangen stieg. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf.
»Mir scheint, daß Sie sich mehr zur Ehe eignen, als irgendeine von den Frauen, denen die Männer sonst nachlaufen. Und nun eine letzte Frage, denn Sie verstehen ja wohl, daß ich wissen muß, wie der Hase läuft. Gibt es jemand, der Ihnen ebenso gut gefällt wie ich?«
Aber jetzt hatte Dede ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden.
»Das ist kein ehrliches Spiel«, sagte sie. »Und wenn Sie ein bißchen nachdenken, dann werden Sie sich selbst sagen, daß Sie gerade das tun, was Sie, wie Sie sagten, nie täten. Ich beantworte Ihnen jetzt keine Frage mehr. Wir wollen von etwas anderem sprechen. Was macht Bob?«
Dreiunddreißigstes Kapitel
Als Daylight eine halbe Stunde später durch den Regen nach Oakland sauste, rauchte er eine seiner braunen Zigaretten und dachte über das Geschehene nach. Er kam zu dem Ergebnis, daß es nicht allzu schlecht stände, wenn es auch manches gab, woraus er nicht klug werden konnte.
»Gott bewahre!« murmelte er. »Wenn ich nun an den Grundstücken noch hundert Millionen verdiene, dann will sie vielleicht gar nichts mehr von mir wissen.«
Aber er konnte es nicht mit einem Scherz abtun. Er fuhr fort, ihn zu quälen, ihr rätselhafter Ausspruch, daß sie sich eher mit dem frisch aus Klondike gekommenen Elam Harnish, als mit dem jetzigen hätte verheiraten können. Schön, sagte er bei sich, dann muß ich sehen, wieder etwas mehr der alte Daylight zu werden. Aber das war unmöglich. Er konnte die Zeit in ihrer Flucht nicht aufhalten. Wünsche halfen nichts, und einen anderen Ausweg gab es nicht. Ebensogut hätte er sich wünschen können, wieder ein Knabe zu sein. Aber schließlich hatte sie, nachdem die Sache ins rechte Licht gerückt war, keine Einwände mehr dagegen erhoben, daß er ihren Bruder nach Deutschland schickte.
Vierunddreißigstes Kapitel
An einem anderen Regentage, mehrere Wochen später, hielt Daylight wieder um Dede Mason an. Wie das erstemal beherrschte er sich, bis das Verlangen nach ihr die Oberhand gewann und ihn in seinem roten Automobil nach Berkeley sausen ließ. Aber Dede war ausgegangen, wie die Tochter der Wirtin ihm erzählte; nach kurzem Bedenken fügte sie hinzu, daß sie einen Spaziergang in die Berge mache. Ferner unterrichtete die junge Dame ihn, welchen Weg Dede aller Wahrscheinlichkeit nach eingeschlagen hätte.
Daylight folgte den Anweisungen des jungen Mädchens und erreichte bald das letzte Haus der Straße, die von hier ab an den steilen Hängen entlang lief und dann in den offenen Bergen verschwand. Die Luft war feucht, aber es hatte noch nicht zu regnen begonnen. Soweit sein Blick reichte, war keine Spur von Dede auf den gleichförmigen grasbewachsenen Hängen zu sehen. Rechts führte ein Hohlweg durch ein Eukalyptuswäldchen. Hier war alles Geräusch und Bewegung, die hohen Bäume wiegten ihre schlanken Stämme im Winde und schlugen geräuschvoll die Zweige gegeneinander, und in den Bäumen erhob sich ein dumpfes Rollen, das all die schwächeren, knirschenden und stöhnenden Laute wie eine mächtige Harfe übertönte. Wie er Dede kannte, war Daylight überzeugt, sie irgendwo in diesem Wäldchen zu finden, wo die Wirkungen des Sturms so ausdrucksvoll waren. Und er fand sie denn auch auf der andern Seite des Hohlweges, ganz oben auf dem höchsten Hange, wo der Sturm am stärksten wehte. Es lag etwas Einförmiges, wenn auch nicht gerade Ermüdendes in der Art, wie Daylight um Dede freite. Diplomatische Umschweife kannte er nicht, er ging ebenso gerade darauflos wie der Sturm. Er ließ sich weder Zeit, sie zu begrüßen, noch sich zu entschuldigen.
»Es ist die alte Geschichte«, sagte er. »Ich brauche Sie. Sie müssen mich heiraten, denn je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, daß Sie im Innern für mich etwas übrig haben, was mehr ist als Sympathie. Und Sie können nicht sagen, daß dem nicht so ist, nicht wahr?«
Bei der Begegnung hatte er ihre Hand ergriffen und hielt sie immer noch fest. Als sie nicht antwortete, spürte sie jetzt einen leichten, aber festen und anhaltenden Druck, als ob er sie an sich ziehen wollte. Gegen ihren Willen hätte sie fast nachgegeben, denn im Augenblick war ihr Verlangen stärker als ihr Wille.