Hoch ragen über der Brücke San Luigi die zackigen Felsen empor, welche die Schlucht umfassen. Sie selber steigt hier plötzlich auf, unvermittelt in romantischer Wildniß. Ein einzelner Felsenkegel erhebt sich aus ihrer Mitte und endet mit spitzem Gipfel. Zahlreiche Grotten versenken sich in den Stein. Rosmarin und Wolfsmilch, Wachholder und großblüthige Malven (Lavatera maritima) klammern sich an jeden Vorsprung der Felsen an und beleben ihre Eintönigkeit. Unten grünt Alles von üppigem Pflanzenwuchs. Ein kleiner Bach rauscht abwärts in den Felsenspalten und bildet dann zierliche Wasserfälle. Ein Theil des Wassers wird in einen kleinen Aquäduct gefaßt, der in malerischen Windungen abwärts läuft, dann mit gewölbtem Bogen den Bach überschreitet. Wie effectvoll Alles vereint in diesem engen Raume: es ist fast wie eine Theaterdecoration!
An jener so überaus warmen Stelle der Riviera bildet diese Felsenschlucht wohl noch den wärmsten Ort. Durch hohe Berge geschützt und umfaßt, steht sie den südlichen Winden nur offen. In dieser Schlucht beginnen schon im December die Veilchen zu blühen. Die Schwalben verlassen sie nie. Die Eidechsen sollen ihres Winterschlafs hier vergessen. An Nahrung ist stets Ueberfluß. Insekten durchschwirren die Luft, und die Spinne spannt ihr Netz auch im Winter, um sie zu fangen.
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VI.
Niemand sollte es versäumen, von Bordighera oder von Mentone aus, einen Ausflug nach La Mortola, dem Garten des Herrn Thomas Hanbury, zu unternehmen. Der Eintritt wird Montag und Freitag Nachmittag gegen Zahlung von je einem Franc gestattet. Dieses Geld dient zur Unterstützung des Krankenhauses von Ventimiglia. Wer eingehende Studien im Garten machen will, erhält hierzu vom Besitzer jederzeit Erlaubniß. Früher Eigenthum der Familie Orengo in Ventimiglia, trägt auch heute noch die schöne Villa im Garten, welche Herr Thomas Hanbury bewohnt, den Namen des Palazzo Orengo. Als Herr Hanbury diese Besitzung im Jahre 1866 erwarb, war sie von einem mageren Olivenhain bedeckt. Ludwig Winter hat sie in den feenhaften Garten verwandelt, der jetzt den Besucher entzückt. Der Garten deckt eine Fläche von ungefähr vierzig Hektaren und fällt von der Kunststraße, welche das Dorf Mortola in hundert Meter Höhe durchzieht, bis zum Meere ab. Die in dem Numullitenkalk tief gerissene Schlucht, an welche die Besitzung anlehnt, gewährt ihr Schutz gegen die Winde und ermöglicht die Entwickelung einer so üppigen Vegetation, wie sie auch an der Riviera kaum ihres gleichen findet. Freilich mußte durch künstliche Bewässerung vorgesorgt werden, daß die lange Dürre des Sommers nicht verhängnißvoll für die Pflanzen werde. Denn man rechnet in La Mortola über zweihundert Tage im Jahr, an welchen der Himmel völlig wolkenlos bleibt, und auch innerhalb des winterlichen Halbjahres gibt es nur etwa vierzig Regentage.
Es wäre ein gewagtes Beginnen, wollte ich an dieser Stelle alle die zahlreichen Pflanzenformen schildern, welche der Garten von La Mortola birgt. Es kommt mir nur darauf an, die Reichhaltigkeit desselben hervorzuheben. Was aber diesen Garten insbesondere belehrend macht, ist der Umstand, daß alle Pflanzen Schilder tragen, auf welchen ihr Name, der abgekürzte Name des Autors, der sie benannte, ihre Heimath, sowie die Familie, [pg 031] der sie angehören, angegeben ist. So kann jeder Besucher des Gartens erfahren, wie die Pflanze heißt, die ihm durch ihre Schönheit oder ihren Wohlgeruch auffällt, eine Pflanze, nach deren Namen er vielleicht vergeblich schon in manchem anderen Garten der Riviera forschte. Herr Hanbury ist bemüht, seinem Garten auch wissenschaftlichen Werth zu verleihen und sucht unaufhörlich neue, interessante, technisch wichtige oder durch ihre Heilkraft ausgezeichnete Gewächse für denselben zu erwerben. Ein kenntnißreicher deutscher Gärtner, Gustav Cronemeyer, stellte vor einigen Jahren ein wissenschaftliches Verzeichniß aller Pflanzen des Gartens auf. Dieses Verzeichniß umfaßt über 3600 Arten. Es wurde an alle botanischen Anstalten der Welt versandt, mit der Aufforderung, aus den Schätzen des Gartens für wissenschaftliche Zwecke zu schöpfen. Auch die Samen und Früchte des Gartens erntet man alljährig, um sie wissenschaftlichen Anstalten dienstbar zu machen. Da Herr Hanbury gleichzeitig stattliche Schulgebäude in La Mortola errichtet, da er neuerdings auch ein schönes botanisches Institut in Genua erbauen ließ, um es der dortigen Universität zu schenken, so läßt sich wohl behaupten, daß er einen edlen, nachahmenswerthen Gebrauch von seinen Reichthümern macht. Leider ist der eifrige Leiter des Gartens, Gustav Cronemeyer, vor kurzem gestorben, und gewährt es nur einen Trost, daß sein Nachfolger, ebenfalls ein deutscher Gärtner, Herr Dinter, mit gleichem Eifer in seine Spuren tritt.
Gerade im Frühjahr ist es, wo der Garten von La Mortola in vollstem Blüthenschmucke prangt. Besonders tragen die Akazien dazu bei, ihn um jene Zeit so üppig zu verzieren. Ueber neunzig Arten der Gattung Acacia stehen da in Cultur, von den fein gefiederten, mimosenartigen an, deren Blättchen jeder Windhauch in Bewegung setzt, bis zu jenen starrend stachlichen Arten, welche schon durch ihren botanischen Namen als »bewaffnet« (armata), »struppig« und »schauerlich« (horrida) hinreichend gekennzeichnet werden. Manche Akazien sind von gelben Blüthen so überdeckt, daß das grüne Laub unter denselben fast verschwindet, [pg 032] und die meisten verbreiten zur Blüthezeit ein liebliches Aroma. Benennungen wie »lieblich«, »angenehm« (suaveolens) zeichnen noch besonders einzelne Arten aus. Der höchste Preis des Wohlgeruchs gebührt aber unstreitig der tropisch-amerikanischen Acacia Farnesiana, welche ihre veilchenduftenden Blüthenköpfchen den ganzen Winter über treibt. Diese Blüthenköpfchen dienen in Grasse und in Cannes unter dem Namen »fleurs de cassie« in ausgiebiger Weise den Zwecken der Parfümerie. Den Namen »Farnesiana« erhielt diese schon lange in Südeuropa bekannte Pflanze wohl daher, daß sie in den farnesianischen Gärten in Rom zuerst gezüchtet wurde. – Durch ihr zartes, zierliches, doppeltgefiedertes Laub von bläulich grüner Farbe, fällt hier, wie auch an den anderen Stellen der Riviera, die Acacia oder Albizzia Julibrissin auf, ein stattlicher Baum vom Aussehen einer Mimose, dessen hellviolette Blüthenköpfchen aber erst im Juli zur Entfaltung kommen. Sie stammt von der Südküste des kaspischen Meeres, ihr Arten-Name ist persisch und bedeutet Seidenblume. – Von der südafrikanischen steifen Acacia horrida stammt eine geringe Gummisorte, die als Capgummi bekannt ist. Das feinste Gummi arabicum tritt aus der Rinde der senegambisch-kordofanischen Acacia Senegal, ähnlich wie bei uns Kirschgummi aus der Rinde von Kirschbäumen, hervor.
Durch ein ganz besonders feines Aroma zeichnet sich in dem Garten von La Mortola außer der Acacia Farnesiana ein gelbblühender Strauch, die Pteronia incana vom Cap aus, welche zu derselben Abtheilung der Compositen wie unsere Astern gehört, deren Blüthenköpfchen aber einen, man könnte fast sagen, vergeistigten Aprikosenduft verbreiten. Sehr wohlriechend in allen seinen Theilen ist ein anderer Strauch vom Cap, die Rutacee Diosma fragrans. Nicht umsonst hat sie, so wie ihre nächsten Verwandten, die bei uns viel in Gewächshäusern cultivirt und als Bouquetgrün benutzt werden, den Namen Diosma, d. h. »Götterduft«, erhalten.