Nach dem Sturze Roms zerfiel auch der Weinbau in Italien. Nachlässig wurden die Trauben geerntet, sorglos gekeltert, und der Most lange auf den Trestern gelassen, damit der Wein jene dunkle Farbe erlange, wie sie im Lande beliebt war. Solche Weine konnten sich nicht lange halten, wurden von fremden Ländern daher auch nicht begehrt. Doch in neuester Zeit beginnt sich das zu ändern; Weinbau und Weinbereitung in Italien sind in erfolgreichem Aufschwung begriffen.
Die alte Sitte, den Wein in Schläuchen zu befördern und dann in Amphoren aufzubewahren, hat sich jetzt auch im Süden verloren. Hölzerne Tonnen, die zur Römerzeit bei den cisalpinischen Galliern und den Alpenvölkern in Gebrauch waren, fanden ihren Weg damals schon nach Italien.
III.
Das Bild von Bordighera schwebt der Erinnerung stets umrahmt in Palmen vor, so wie man sich einst die alte syrische Stadt Palmyra nicht anders als im Palmenschmuck vorstellen konnte. In der That gedeihen nirgends an der Riviera die Dattelpalmen besser als in Bordighera. An der Ostseite des Cap d'Ampeglio sind wahre Palmenwäldchen zu sehen. Diese östliche Bucht ist ganz besonders gegen die Nordwestwinde geschützt. Zwischen den Mauern palmenreicher Gärten, über [pg 016] welchen schlanke Stämme ihre Krone neigen, empfangen wir ganz afrikanische Eindrücke und können vergessen, daß uns die volle Breite des Mittelmeeres von dem Lande der Oasen trennt. Pietätvoll wandern deutsche Reisende zu jener malerischen Palmengruppe hin, die in einer halben Stunde Entfernung, östlich von Bordighera, zu Madonna della Ruota den Meeresstrand schmückt. Es sind das die Palmen, die Scheffel in seinem Liede »Dem Tode nah« besang, und unter welchen er ein Grab sich träumte. Sie stehen, einige zwanzig an der Zahl (nicht zwölf, wie es in dem Liede heißt), um eine alte Cisterne und erwecken an dem einsamen, wilden Orte, von Meereswellen umspült, in der That poetisches Empfinden. Daß dieses hier nicht allein ein deutsches Gemüth ergreift, geht aus der Schilderung hervor, welche Charles Garnier, der Erbauer der Pariser Großen Oper und des Casinos in Monte Carlo, von diesem Ort in seinen »motifs artistiques de Bordighera« entwirft. Der Stil der Schilderung ist freilich etwas überschwänglich und erinnert an jene Verzierungen, welche die Garnier'schen »Prachtbauten« überreich schmücken: »Das ist der Ort, wohin ihr ziehen müßt, ihr Künstler; das ist die Stätte, die ihr sehen müßt, ihr Poeten; das ist der Erdwinkel, der euch fesseln muß, ihr Alle, die ihr nach lebendigen und mächtigen Eindrücken strebt, und die ihr findet, daß unser Herz höher schlägt im Anblick der Natur! Werden Erinnerungen an den Orient in euch schon wachgerufen, wenn ihr das alte Bordighera und seine Umgebung durchwandert, so steht ihr hier nicht mehr vor dem Vergleich, nicht mehr vor Ähnlichkeiten, nein, ganz Judäa findet sich in diesem Eindruck verkörpert. Das ist der Brunnen der Samariterin, der Brunnen der Rebecca; das sind die Juden, die Apostel, das ist Jerusalem, Nazareth, Bethlehem, die sich euch offenbaren in jenem bescheidenen Flecken bordigherischen Vorgebirges.« – Die sturmgepeitschten Palmen um diese alte Cisterne, mit dem unvergeßlichen Hintergrund des Meeres, haben zahlreichen Malern schon das Motiv zu stimmungsvollen Bildern gegeben. Es verursachte daher in Künstlerkreisen einige [pg 017] Aufregung, daß der Ort, vom deutschen Kunstgärtner Ludwig Winter angekauft, in einen Garten verwandelt werden sollte. Die endliche Verwerthung des Grundstückes in so dicht bevölkerter Gegend war aber nicht zu vermeiden; es muß noch als ein besonders glücklicher Zufall angesehen werden, daß dieser schöne Flecken Erde in kunstsinnige Hände gelangte. Herr Winter hat dem äußersten Vorsprung des Vorgebirges, das die Scheffel-Palmen trägt, seinen ursprünglichen Charakter gelassen und den Garten harmonisch zu der Umgebung gestimmt. – Anemonen, Reseda, Nelken und üppig blühende Rosensträucher decken jetzt den Abhang; große Palmen, die man hierher verpflanzte, entspringen dem zuvor so kahlen Boden; um einen weiten Wasserbehälter, wie man sie an der Riviera oft sieht, ist eine Pergola errichtet, zu deren Säulen die Palme den architektonischen Gedanken gab.
Im alten Testament werden die Dattelpalmen mit stolzen Königstöchtern verglichen. Nicht allen Dattelpalmen in den bordigherischen Gärten kommt aber so edle Gestalt zu. Es hängt das mit der Behandlung zusammen, welche die meisten Dattelpalmen hier erfahren. Man nimmt ihnen alljährig einen Theil ihrer Wedel. Die Familie Bresca in San Remo erhielt schon im sechzehnten Jahrhundert vom Papst Sixtus V. das Privilegium, Palmenwedel für den Palmsonntag nach Rom zu liefern, angeblich eine Belohnung für den Schiffscapitän Bresca, der im Jahr 1586, während der Aufstellung des Obelisken auf dem Sanct Petersplatz, als die trockenen Taue zu versagen drohten, durch den rechtzeitigen Ruf: »Wasser auf die Taue!« dem Baumeister Fontana aus schwerer Verlegenheit half. Die Familie Bresca ließ ihre Palmen in Bordighera ziehen, in dessen sandig-lehmigen Boden die Dattelpalme besser als in dem schweren Lehmboden von San Remo gedeiht. So reicht die Palmenindustrie Bordigheras bis in das Mittelalter zurück, und auch heute noch ist es dieser Ort, der die meisten Palmenwedel zur Feier des Palmsonntags nach Rom entsendet. Den Palmenwedel [pg 018] hat die christliche Kirche, wie so viele andere Symbole, der Bildersprache des Orients, des Heidenthums und des Judenthums entnommen, und wie Palmenwedel bei den Festen des Osiris in Ägypten, bei dem feierlichen Einzuge der Könige und der Königshelden in Jerusalem und bei den olympischen Spielen prangten, so schmücken sie heute noch am Palmsonntag die Altäre katholischer Kirchen.
Statt frei in den Lüften ihre Wedel zu schaukeln, müssen die meisten Palmen zur Herbstzeit es erdulden, daß ihre Krone im Innern pferdeschweifartig zusammengebunden werde. Diese Behandlung bezweckt eine bestimmte Ausbildung der neu hervorwachsenden Wedel. Nicht alle Palmstämme sind für diese Behandlung gleich geeignet, und unter den geeigneten werden noch solche unterschieden, die mehr für den katholischen und solche, die mehr für den jüdischen Ritus sich schicken. Denn auch die Juden brauchen Palmenwedel bei dem Laubhüttenfest. Der Bordighese bezeichnet kurzweg die eine Dattelpalme als »Cattolica«, die andere als »Ebrea«. – Die Blätter der katholischen Palme sind schlanker, die der jüdischen kürzer und gedrungener. An der katholischen Palme bindet man die mittleren Wedel fest zusammen, damit die neuen Wedel bei thunlichstem Lichtabschluß sich entwickeln und so möglichst farblos bleiben. Denn bei der Feier des Palmsonntags sollen sie nicht allein ein Siegeszeichen, sie sollen auch ein Bild himmlischer Reinheit sein. Im Dunklen werden solche Wedel auch schlank und lang; sie laufen spitz an ihren Enden aus und bleiben biegsam und