Nach kurzer Rast in Potsdam, wo wir unser zerrissenes Schuhwerk und unser durchlöchertes Waldnegligé als milde Stiftung zurückließen und uns wieder etwas säuberlich machten, um als honnette Menschen in der Gesellschaft erscheinen zu können, gingen wir mit der Eisenbahn hinüber nach dem Champlain-See.
Dieser lange, schmale See bietet ungleich mehr Reiz dar, als die canadischen Seen, denn seine Breite beträgt selten mehr als vier bis fünf engl. Meilen, und die oft längs desselben hinlaufenden Gebirgsketten des Staates Vermont, so wie auf der anderen Seite des Staates New-York, gewähren dem Auge eine eben so angenehme als malerische Abwechselung. Möglich auch, daß der angenehme Eindruck, den die Gegend auf uns machte, noch gesteigert ward durch den lieblichen Duft der auf der Landschaft lag, und die herrlichen Herbstfarben der Bäume, welche das Ufer bekränzen. Noch nirgend habe ich bis jetzt solchen Farbenreichthum einer Landschaft gesehen. Amerika ist berühmt wegen seiner prachtvollen bunten Herbstblätter, und verdient diesen Ruf im vollsten Maße. Dabei haben seine Wälder noch den Reiz der außerordentlichsten Mannichfaltigkeit der Hölzer; sogenannte Familien- oder Geschlechtswaldungen, wie bei uns, habe ich hier nirgend getroffen; auf verhältnißmäßig sehr kleinem Raum sahen wir dicht gedrängt bei einander die Eiche, die Buche, den Ahorn mit hochrothen Blättern, Hikory und Sassafrasstämme, dazwischen wieder die schwarze melancholische Tanne, die knorrige Kiefer, und manchmal sogar die Birke mit ihrem hellgelben Laube und weißem Stamme durchblitzend. Durch das verschiedenzeitige Welken all dieser Blätter entstehen tausend Schattirungen und Uebergänge, vom dunkelsten und zugleich möglichst brillanten Purpurroth, bis zum hellsten Goldgeld, und von da in gleicher Weise durch alle Abstufungen bis zum saftigsten Dunkelgrün, was besonders bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang, wo die Ferne bald in blauen, bald in violetten Duft gehüllt ist, eine wahrhaft zauberische Wirkung hervorbringt.
Den See kreuzend, gelangten wir nach Whitehall, malerisch in einer Schlucht gelegen, an der Mündung des Sees, wo ein Canal ihn mit dem Hudson in Verbindung setzt. Durch diesen Canal kommen die Produkte des fernsten Westen über den Ontario, den Sanct-Lorenzstrom, den Champlainsee und Hudson bis New-York, ein Weg von vier- bis fünftausend engl. Meilen, welchen die verschiedenen Handelsgegenstände zurücklegen, ohne das Schiff zu verlassen, in das sie in Detroit oder Michican geladen worden sind. Außerdem laufen noch zwei andere Canalwege südlich nach demselben Punkt, von drei Hauptbahnlinien und zahllosen Canälen und Zweigbahnen nach anderen Staaten durchkreuzt, wo ein ähnlicher Stand der Dinge herrscht, und führen die Güter dem Orte ihrer Bestimmung zu. Fast alle diese Riesenwerke sind erst in den letzten fünfzig Jahren entstanden und ohne daß der Staat als solcher auch nur einen Dollar dazu gegeben. Das sind die Segnungen einer gesetzlichen Freiheit, wie die ungesetzliche Freiheit und Anarchie der Fluch der Völker ist! – Eine, im Verhältniß zu dem ungeheuren Territorium schwache Bevölkerung, hat diese Werke vollführt und vollführen können, weil ihrer Entwickelung nach allen Seiten hin ein unbegränztes Feld offen stand, weil der kühne Unternehmungsgeist der Einen, wie der Fleiß und die Thätigkeit Anderer nicht eingezwängt wird von veralteten Zunftgesetzen, der Erwerb nicht geschmälert und aufgezehrt wird vom Zahn des alles verschlingenden Monopolwesens. Doch ist das Alles ja von so vielen Anderen viel besser gesagt und beleuchtet worden, als ich es zu thun vermöchte, und wollte ich das Lob Amerikas mit vollen Backen posaunen, so gliche dies einer Abhandlung über den wohlthätigen Einfluß des Sonnenlichts.
Auf unserm Wege begegneten wir überall Werkstätten voll rüstiger und thätiger Arbeiter, welche den Mineralreichthum der Berge in den verschiedensten Formen der Welt übergeben, oder die Riesen des Waldes, zu Brettern, Latten, Kisten, Kasten, Fässern, Geräthen aller Art zerschnitten und verarbeitet, ihre Reisen zum Markt antreten lassen. Ueberall zeigt sich dies Land dem aufmerksamen Beschauer wie eine Art von Riesenkind, das oft Riesenwerke spielend verrichtet, daneben aber wieder Manches, das ihm zu tief dünkt, bei Seite wirft für spätere Zeiten, immer aber wachsend, sich kräftigend und Wunder für die Zukunft versprechend.
Die Gegend, durch die wir mußten, ist mit Blut getränkt; hier war der Schauplatz von Kämpfen ohne Zahl, zuerst mit den Indianern, um ihnen das Land abzugewinnen, dann die langen Fehden zwischen den Eingeborenen, den französischen und britischen Heeren. Namen wie Ticonderoga, Fort-Edward, Fort-William, Fort-Henri, rufen blutige Greuelscenen vor das Gedächtniß und selbst unser Jahrhundert hat bereits dergleichen blutige Spuren hinterlassen, im Jahre 1812 bei Plattsburg, wo viertausend Briten ihr Leben auf der Wahlstatt aushauchten.
Wir durchkreuzten auch den Boden, wo Cooper's letzter der Mohicans spielt. Bei Fort-Edward hielten wir an und wanderten hinüber nach Gleen-Falls. Dort stürzt der Hudson, noch ein unbändiger Knabe, wild durch zerklüftetes Gestein hinab, zu beiden Seiten der kleinen Insel, auf welche Lederstrumpf den Major Howard und die Töchter Monrooes führte. Wollt Ihr eine genaue Beschreibung der Localität, so les't Cooper's meisterhaften Roman, der Platz ist darin nach der Natur geschildert. An der Stelle, wo Nahuga den verfolgenden Indianern entschlüpfte, ist jetzt ein Marmorbruch; die Höhle, in welcher die Schwestern die Nacht zubrachten, ist ziemlich von Treibholz verstopft, doch kann man noch hineingelangen. Da, wo Hawkeye den Indianer vom Baume herunterschoß, stehen eine Menge Mühlen, statt des todten Kriegers, fallen jetzt Abschnitzel von Brettern in die schäumende Fluth, und die Spitze, welche zu erreichen zwei Kriegern das Leben kostete, wo Unca's Messer den Major vom Tomahawk des Feindes rettete, ist jetzt bloßgelegt von Wasser, was den Fällen durch einen Canal für den Betrieb der Mühlen entzogen wird.
Von hier ging es nach Saratoga, ehedem der heilige Platz des rothen Mannes, jetzt der Badeort par excellence für die elegante Welt. Noch springt die Quelle, die Hawkeye wieder aus dem Boden grub, doch statt der Calabasse, aus der die ermüdeten Jäger den Durst löschten, gewährt eine elegante Trinkhalle einen bequemen Raum, und da, wo früher in der heiligen Waldesruhe die Mineralquelle dem rothen Thonboden entsprang, wandelt jetzt der Fuß schöner Frauen, dem Stutzer auf Spaziergängen kokettirende Blicke zuwerfend.
Nicht zieht mehr der rothe Krieger an die heilige Quelle, um zu seinen Göttern zu beten, aber dennoch wallfahrten die neuen Kinder des Landes allsommerlich in Schaaren fashionabler Zugvögel hierher, um anderen Götzen zu opfern, um entweder in den Tanz- und Spielsälen Gesundheit und Vermögen zu zerrütten, oder die erstere in Kurhäusern wieder zusammenzuflicken. Verdrehtes Leben der sogenannten feinen Welt, die kokettirend, brillirend, raffinirend, intriguirend dahin zieht, denjenigen am meisten bewundernd, der es am besten versteht, durch die größte Modethorheit ihre Aufmerksamkeit so lange zu fesseln, bis eine andere, noch größere, sie schnell wieder in Vergessenheit bringt. C'est tout comme chez nous!
Als wir aber durch Saratoga kamen, sahen wir von alle dem nichts mehr; die Saison war zu Ende, das Kurhaus geschlossen, und außer einigen schläfrigen »Niggers«, die sich in den Hausthüren herumlümmelten, Alles todt und öde. Die Blätter fielen, die Schwalben zogen südwärts und die Maler heimwärts in ihr Atelier, beutelleer, aber beuteschwer, Geld, wie Farben und Leinwand aufgebraucht.
Ein Jahr in Central-Amerika.
I.
Vorwort. – Zweck der Reise. – Allgemeine Bemerkungen über Central-Amerika – Canalproject zur Verbindung des atlantischen und des stillen Oceans.