Gern wäre ich jetzt liegen geblieben, denn ich fühlte mich erschöpft und meine zerstoßenen Gliedmaßen schmerzten mich in der That recht empfindlich, aber zwei Umstände verhinderten mich daran, zuerst brennender Durst, sodann der Verlust meines Messers, und Mangel an trocknen Holz; denn ohne Feuer hätte ich die recht beißend naßkalte Nacht in meiner dünnen und durchnäßten Leinwandblouse nicht ausgehalten.
Ich »calculirte,« daß ich mich wahrscheinlich auf dem scheidenden Rücken des St. Regis- und dem Roquette-River befand, nördlich mindestens zwanzig Meilen von der nächsten Ansiedelung, östlich sechs bis acht Meilen vom St. Regis und westlich etwa eben so weit vom Roquette-River entfernt, südlich aber vielleicht hundert Meilen weit dichte Waldung vor mir hatte.
Ich selbst war ohne Kompaß, ohne Feuerzeug, ohne Messer, ohne Decke, dünn gekleidet, nüchtern seit dem Morgen, eine Kugel in der Büchse und nur noch zwei in der Tasche, allerdings eine etwas ungemüthliche Situation. Nach reiflicher Ueberlegung hielt ich es für das Beste, vor allen Dingen den Roquette-River aufzusuchen und dann an seinen Ufern hinabzugehen; ich mußte dann doch am Ende auf unser Lager, oder auf irgend eine Ansiedelung stoßen. Fand ich nur erst Wasser, so konnte ich es im schlimmsten Fall wohl noch einen ganzen Tag ohne Speise aushalten. Das Empfindlichste war mir vor der Hand der Mangel eines guten, erwärmenden Feuers.
Den Mond zur Linken, gings nun westlich und nach dreistündigem höchst beschwerlichem Marsche, während welchem mein Fuß oft über Stämme und Steine stolperte und ich einen gefährlichen Moorbruch passiren mußte, befand ich mich glücklich am Ufer des Flusses. Ich verrichtete zuvörderst ein geringfügig Waidmannsgebetlein, und zwar keinesweges in der Meinung, daß dadurch irgend etwas Verdienstliches geschehe, sondern weil es mich in Wahrheit drängte, Dem, der ja auch hier mir nahe war, meinen Dank abzustatten. Mein Durst war mit zwei Mützen voll Wasser gestillt, aber nunmehr verlangten meine durchkälteten Gliedmaßen desto ungestümer nach Wärme.
Neue Verlegenheit: kein Messer, kein Feuerzeug. Ich suchte in allen Taschen nach etwas Papier, um mit Hülfe der Büchse Feuer zu bekommen, aber auch das fehlte; ich fand nichts als einen Brief von meinen Lieben aus der Heimath, der während meiner Abwesenheit in New-York eingetroffen und mir noch zur letzten Station nachgesendet worden, und den wollte ich doch nicht gern verbrennen; war er mir doch jetzt doppelt theuer in meiner Einsamkeit, als freundliches Liebeszeichen aus weiter Ferne! – Endlich fand ich einen ziemlich trocknen, verfaulten Stamm, derselbe ward tüchtig mit Pulver eingerieben, die Büchse dicht davor losgedrückt, die Funken zur Flamme angeblasen, und bald loderte der Stamm hell empor, durch seine wohlthuende Wärme die Mühe reichlich lohnend. Bei seinem Scheine hatte ich die Freude, als Ersatz für das mangelnde Nachtmahl, die lieben Zeilen noch einmal zu durchlesen, dann warf ich mich todtmüde unter die breiten Aeste einer Ceder, als einziges Kopfkissen ein gut Gewissen, über mir als Bettdecke den gestirnten Himmel, diesen großen Mantel aller Trostbedürftigen. Meine Uhr zeigte auf halb Zwei, ich war demnach ziemlich sieben Stunden in der Irre umher marschirt.
Mehrmals ward ich aus dem tiefen Schlafe aufgeschreckt durch den gellenden Schrei einer Nachteule, so nahe, daß ich aufsprang und nach der Büchse griff, meinend, ein Panther wolle mich mit seinem nächtlichen Besuche beehren.
Am anderen Morgen nach dem Frühstück, d. h., nachdem ich abermals aus dem Fluße getrunken, machte ich mich auf, den Fluß hinabzugehen, wegen der vielen Sumpfstellen, die man entweder umgehen oder durchwaden muß, ein etwas beschwerlicherer Marsch, als eine Promenade im Dresdner großen Garten.
Auch fand ich hier eine alte, oftgehörte Jagderfahrung sehr handgreiflich bestätigt, daß nämlich der Jäger, der am nöthigsten Wild braucht, keine Klaue zu sehen bekommt. Wenigstens ging es mir an dem Tage so, und mit knurrenden Magen mußte ich durch den Wald schreiten, der von Wild wimmelt, alle Augenblicke einmal frische Fährten kreuzend. Es war die Geschichte vom Herrn Tantalus.
Einmal rauschte ein prächtiger Adler kaum dreißig Schritte vor mir empor, die Jagdpassion riß mir die Büchse an den Backen, aber im Zielen fiel mir noch zu rechter Zeit ein, daß ich jetzt nur noch eine Kugel in der Büchse und eine in der Tasche hatte, die dritte war ja in den Baumstamm gefahren, und so blieb das Rohr stumm.
Endlich gegen zehn Uhr stieß ich wieder auf das Lager, und ich versichere Euch, von der Hirschkeule die ich in Angriff nahm, blieb außer dem Knochen auch nicht ein Atom übrig.
Die Genossen waren besorgt um mich gewesen und hatten wiederholt ihre Gewehre abgefeuert; allein zu jener Zeit war ich wenigstens schon vier Meilen von ihnen entfernt.
Zweierlei höchst weise Erfahrungen hatte ich bei dieser Gelegenheit gesammelt, erstens, daß es sehr unklug ist, ohne Compaß und ohne Feuerzeug in solcher Wildniß zu jagen, und zweitens, daß man sich in einem amerikanischen Urwalde doch nicht so leicht zurecht findet, als in unseren von Flügeln und Schneusen durchschnittenen königlichen Forsten. Uebrigens aber war ich sehr froh, daß meine abhärtende Lebensweise und frühzeitiges Vertrautsein mit unangenehmen Situationen mich in den Stand setzten, mich vorkommenden Fährnissen leichter zu entziehen. Ersteres verdanke ich Eurer Erziehungsweise, geliebte Eltern, letzteres großentheils dem wackeren alten Ohm. Sei Euch allen mein Dank dafür übers Meer geschickt, dem guten Ohm aber insbesondere noch für die treue Büchse, die mir in kalter Nacht Feuer, und außerdem noch manchen guten Braten verschafft hat.
3.
Wir hatten nun Studien vollauf gesammelt und genug der Freuden des Waldlebens, denn unsere Decken boten uns nicht mehr genügenden Schutz gegen den Frost, der in letzter Nacht über einen halben Zoll Eis gebracht hatte. Nach dreiwöchentlichem Aufenthalt, am 6. October brachen wir daher auf, um uns wieder der Civilisation zuzuwenden. Unsere Reise ging den Fluß entlang, gen Potsdam zu.
Wir hatten in unserm Lager den Besuch eines Amerikaners, eines Dokter H.... aus Potsdam gehabt, der mehre auf Kosten der Regierung zur Erleichterung des Holzflößens im Fluße erbaute Dämme zu inspiciren hatte. Dieser Gentleman ersuchte uns, ihm einige correcte Skizzen dieser Dämme zu zeichnen, um dieselben seinem Rapporte an die Regierung beizufügen, eine Arbeit die in wenigen Tagen erledigt war und uns die Summe von 50 Dollars einbrachte, sehr willkommene Subsidien, da unsere Reisekasse verwünscht knapp zu werden begann. Unterwegs erhandelte ich von einem Indianer ein schönes Paar Elenhörner, von einem Ende zum andern sechs und einen halben Fuß lang und in den Schaufeln acht Zoll breit, in hiesigem Lande ein wahres Prachtexemplar.
Auch die Feuerjagd habe ich versucht, doch in anderer Art als Fritz Gerstäcker sie uns beschrieb. Wir jagten auf dem Fluß in Gesellschaft eines alten Jägers, der die Führung des Bootes