Madame Marie Dumas war aufgestanden und reichte Herrn Meding die Hand.
»Nehmen Sie einen herzlichen Händedruck, mein Herr,« rief sie, »ich bin ein guter Freund meiner Freunde, wie der Herzog hier bestätigen wird, ich hoffe, wir werden uns öfter sehen und gute Freunde werden.«
Herr Meding verbeugte sich.
»Nun, mein lieber Herzog, leben Sie Wohl!« rief Madame Dumas, »ich wollte Ihnen nur guten Tag sagen – und Sie ein wenig in Feuer setzen,« fügte sie lächelnd hinzu, »also – bald einen guten, tüchtigen Krieg. – Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, mein Herr,« sagte sie, sich zu Herrn Meding wendend, und schnell eilte sie aus der Tür.
»Nun,« sagte der Herzog, »wie sind Sie zufrieden hier?«
»Ich habe soeben dem Marquis de Moustier meinen ersten Besuch gemacht,« sagte Herr Meding, neben dem Herzog Platz nehmend, »und habe bei ihm ein volles und richtiges Verständnis für die delikate, rein persönliche Natur meiner Mission gefunden, ich habe nur Grund, in jeder Beziehung zufrieden zu sein, man kommt mir mit allen Aufmerksamkeiten und Rücksichten entgegen, während ich doch vollständig den privaten Charakter meiner Anwesenheit in Paris behalte, es ist nicht ganz leicht,« fügte er mit einem traurigen Lächeln hinzu, »die so zarten Grenzen der Stellung eines Gesandten in partibus infidelium zu ziehen, übrigens habe ich den Marquis sehr kriegerisch gefunden, er glaubt an den Ausbruch des Konflikts und rechnet auf sympathische Strömungen und Aktionen in Süddeutschland und den annektierten Ländern.«
Der Herzog blickte nachdenklich zu Boden.
»An der holländischen Grenze soll sich ein hannoverisches Korps sammeln,« sagte er.
»Es findet dort allerdings eine Emigration von hannöverischen Offizieren und Soldaten statt, über welche ich jedoch nur äußerlich und ungenügend informiert bin,« sagte Herr Meding,« »ich habe indes dem Marquis de Moustier nicht verhehlt, daß mir sowohl der jetzige Augenblick als auch die Veranlassung des Konflikts erhebliche Bedenken einflößt.«
Der Herzog erhob den Blick mit dem Ausdruck forschender Spannung.
»Diese luxemburgische Frage,« fuhr Herr Meding fort, »ist, wie es mir scheint, eine ganz spezifisch französische Frage, und wenn auch die Aussicht auf einen Krieg die unzufriedenen Elemente in Hannover und vielleicht noch in anderen Teilen Deutschlands in Unruhe und Bewegung versetzt, so glaube ich doch kaum, daß die nationalen Interessen der föderativen Parteien Deutschlands dabei irgendwie ihre Rechnung finden können. – Die Frage,« sagte er nach einer augenblicklichen Pause, als der Herzog schwieg, »ist wesentlich eine Kompensationsfrage, bei welcher die definitive Anerkennung alles Geschehenen zugrunde liegt, und dann, wenn dieselbe zum kriegerischen Konflikt vorschreitet, handelt es sich dabei einfach um eine Eroberung deutschen Gebietes, das heißt um eine Sache, bei welcher allen denen, die durch die letzten Ereignisse betroffen sind und eine andere Konstituierung Deutschlands wünschen, das nationale Gefühl jede aktive Beteiligung schwer – fast unmöglich machen wird.«
»Aber die Hannoveraner wollen schlagen,« sagte der Herzog.
»Einzelne junge Offiziere und Soldaten,« erwiderte Herr Meding; »würde aber hinter einer solchen Erhebung bei dieser Veranlassung Deutschland stehen, stehen können? – Frankreich muß sich vor allem hüten,« fuhr er fort, »die Frage zu stellen: Deutschland gegen Frankreich, denn bei einer so gestellten Frage bin ich überzeugt, daß alle, auch die heterogensten Elemente Deutschlands einig werden würden, und Sie selbst, Herr Herzog – jeder Franzose müßte uns verachten, wenn es anders wäre.«
Der Herzog stand auf und tat einige Schritte durch das Zimmer.
»Es ist eine sehr schwierige Situation,« sagte er.
»Die die äußerste Vorsicht erfordert,« sprach Herr Meding, sich ebenfalls erhebend, »doch Sie werden sehen, Herr Herzog,« fügte er hinzu, »wie die Verhältnisse sich entwickeln, vor allem aber muß ich hier stets meinen Rat und meine Ansicht dahin aussprechen, was man auch tun möge, jeden Gedanken an Eroberung deutschen Gebietes aus der französischen Politik fernzuhalten, wenn Frankreich sich mit den autonomischen und föderativen Elementen Deutschlands verbünden will. – Wir können arbeiten – und kämpfen,« fuhr er fort, »für die Wiederherstellung des föderativen Deutschlands und der Rechte der einzelnen Stämme und Fürsten – ein Bündnis aber mit denjenigen Elementen, welche bei einem Eroberungskriege Sie unterstützen möchten, würde Ihnen weder ehrenvoll noch nützlich sein.«
»Ich freue mich,« sagte der Herzog nach einer kurzen Pause, »Sie noch gesehen und Ihre Anschauung gehört zu haben, wir werden weiter darüber sprechen, sobald ich mich noch mehr orientiert haben werde. – Apropos,« fuhr er fort, »wann wird Ihr Journal »La Situation« erscheinen, welches Herr Holländer vorbereitet, der im Winter in Wien und Hietzing war?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte Herr Meding, »ich will überhaupt mit diesem Unternehmen nichts zu tun haben.«
»Sind Sie denn nicht der Ansicht, daß der König Georg hier auf die öffentliche Meinung wirken müsse?« fragte der Herzog ein wenig erstaunt.
»Gewiß,« erwiderte Herr Meding, »und ich habe auch durchaus nichts gegen die Gründung dieses Journals, doch ist Grund genug für mich vorhanden, mich absolut fern davon zu halten, denn meine Stellung hier ist ohnehin schon diffizil genug! – Doch, Herr Herzog, ich will Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Sie bleiben noch einige Tage hier?«
»Einige Tage gewiß,« sagte der Herzog, »und ich hoffe, Ihnen noch Gewisses über die Entwicklung der Situation mitteilen zu können. – Wo haben Sie Ihr vorläufiges pied à terre?«
»Im Hotel de Bade am Boulevard des Italiens,« sagte Herr Meding. und sich vom Herzoge verabschiedend, verließ er den Salon.
Der Herzog ging auf und nieder.
»Es ist eine sehr schwierige Situation,« sagte er für sich, »die Kaiserin, die den Frieden will, der Kaiser und Moustier, die den Krieg wollen, Österreich, das gelähmt ist und jedenfalls mit diesem Herrn von Beust niemals irgend etwas nach irgend einer Seite hin tun wird, welche Haltung ist da zu beobachten? – Aber will der Kaiser wirklich den Krieg, will er ihn jetzt?« sagte er, plötzlich stehenbleibend, »da liegt die Frage, welche das ganze Spiel regiert, und welche schwer zu lösen ist. – Doch versuchen wir immerhin, Licht in dieses Dunkel zu bringen.«
Er bewegte die Glocke.
»Meinen Wagen,« befahl er dem Kammerdiener, einen Blick auf die Uhr werfend, »ich muß nach den Tuilerien fahren.«
Siebzehntes Kapitel.
Napoleon III. hatte den Bericht des Doktor Conneau über das Befinden des kaiserlichen Prinzen erhalten, der noch immer nicht günstig lautete; noch immer verlangte der Arzt die höchste Schonung und Abgeschlossenheit für dieses Kind, auf welchem die Hoffnung der Dynastie und aller derer ruhte, welche auf die Dynastie ihre Hoffnungen für eine geordnete und sichere Zukunft Frankreichs fetzten.
Langsam ging der Kaiser, als der Arzt ihn verlassen, in seinem Kabinett auf und nieder.
»Fast möchte ich verzagen,« sagte er leise mit trübem Ausdruck,« »an der Arbeit für die Zukunft dieses Kindes, ist es nicht, als ob die Hand des Schicksals alle meine Berechnungen durcheinander wirft? – Tiefer und tiefer sinkt mein Einfluß, der Einfluß Frankreichs in Europa, ich fühle es wohl, diese schwarze Wahrheit tritt mir in den verschiedensten Gestalten in jedem Augenblick entgegen. – Oft will es mir vorkommen, als wäre die Aufmerksamkeit, mit welcher Europa meinen Worten lauscht, nur wie der succès d'estime eines Schauspielers, man bestreitet mir meine Rolle auf der Weltbühne noch nicht, aber – aus Gewohnheit, das eigentliche Interesse wendet sich ab von mir, wendet sich nach Berlin, diesem preußischen Minister zu, den ich glaubte