»Dabei ists bei weitem nicht abgethan,« rief Gideon. »Du sollst nicht glauben, daß, wenn man einen Bauer an einen Degen bindet, er davon alsbald Soldat werde. Wo bleibt die Disziplin? Wo sind Eure sachverständigen Hauptleute und Feldobersten? Wer hat die Leute schon in Rotten und Fähnlein geteilt, daß jeder seine Stelle und seine Pflicht kenne? Was wollt Ihr mit einem Haufen unerfahrener, toller, halsstarriger, aufrührerischer Bauern ausführen?«
»Mit Deinen deutschen und schwedischen Bauern freilich nichts,« antwortete Schybi ärgerlich. »Anders ists mit dem Schweizer. Er ist ein geborener Soldat, und weiß sich binnen wenigen Tagen des Spießes, Degens, der Musketen und brennenden Lunten zu bedienen, den Trab recht zu halten und in voller Rüstung einen guten Weg zu laufen. Alle Kriegskunst und Disziplin des Herzogs Leopold und Karls von Burgund sind bei Morgarten und Murten erfolglos geblieben.«
»Holla, Schybi, die Welt steht nicht mehr auf dem Flecke, wo Du sie in Deiner Chronik gesehen hast,« rief Gideon lachend. »Der große König Gustav Adolf und der unüberwindliche Held Torstenson haben die Kriegskunst auf den Gipfel ihrer Vollkommenheit gehoben, wovon Ihr Euch hier zu Lande nicht träumen lasset. Heutzutage gehören zu den zehn Ausgaben eines guten Kriegsmannes erstlich, daß er – –«
15.
Mancherlei Nachricht.
Hier unterbrach ihn Addrich's Rückkehr. »Nun, Ihr Männer,« sagte dieser, »jetzt rührt Arme und Beine, statt der Zungen. Stärkt Euch noch zur Reise. Der Tisch ist rasch zum Morgenessen gedeckt, bald dann ist's Mittagszeit. An Tafelmusik fehlt's nicht, denn man läutet durch's Kulmerthal die Sturmglocken.«
»Ist der Feind in den Aargau eingedrungen?« rief Leuenberg mit ernstem, etwas entfärbtem Gesichte. »So eile jeder an seinen Platz. Vorher lasset uns aber einen Beschluß über die Zukunft fassen, damit wir einträchtig verfahren; denn um deswillen sind wir an diesem abgelegenen Orte, im Moos, zusammengetreten.«
»He, Leuenberg,« sagte Gideon spöttisch, »wie nimmst Du doch die Botschaft so kalt auf, daß Dir die Worte davon wie blasse Schneeflocken auf's Gesicht fallen.«
»Mir? Was Du nicht alles siehst!« erwiderte Leuenberg mit gezwungenem Lächeln. »Fliegen Dir etwa Funken um die Augen? . . . Ihr Herren, zur Sache! Die Zeit ist für Kindereien zu kostbar. Eile, Vater Ulli, wecke Dein Volk, und dann auf damit zum Rhein, nach Eurer Stadt. Die reichen Baseler begehren keinen Krieg, wenn sie mit silbernen und goldenen Kugeln nichts ausrichten. Sie bringen dem Ersten, der kommt, Freund, oder Feind, die Thorschlüssel entgegen, sobald man ihnen die Schlüssel ihrer eisernen Geldkästen nicht abfordert. Du, Hauptmann Renold, bleibst an Addrich's Seite, und richtest nebst den andern Hauptleuten den Aargauer Landsturm ein . . . Und Du, tapferer Christen Schybi, dessen Namen schon in den Thälern und Alpen unsers Oberlandes Weiber und Kinder preisen . . .«
»Beim Sanniklaus! Du sollst bald von mir hören!« rief Schybi. »Ich halte Dir Wort.«
»Du hältst den Bund der zehn Ämter also fest und aufrecht?« fuhr Leuenberg fort. »Und alles muß rückgängig, null und nichtig werden, was indessen zwischen Eurem Landvolk und der Stadt Luzern durch die Gesandtschaften von den sechs katholischen Orten verhandelt, vermittelt und abgeschlossen sein mag.«
»Wäret Ihr im Oberlande und Aargau,« erwiderte Schybi, »früher auf den Beinen gewesen, hätten wir niemals Unterhandlungen und Friedensvorschlägen das Ohr geliehen. Ich stände heute mit meinen braunen Entlebuchern innerhalb der Mauern von Luzern und rechnete mit Schultheiß, Rat und Hundert ab.«
»Sieh da,« sagte Addrich und schob die kleinen Fenster und Vorfenster zurück, »Felix fährt von der Höhe der Bampf herab, wie ein Pfeil. Knabe, was bringst Du neues? Trete herein!«
Nach einer kurzen Weile ging die Thür auf. Felix, ein junger Bursche, trat atemlos in's Zimmer. Man umringte ihn.
»Heda, lustig, Bürschchen!« schrie Gideon. »Hat Dir der Schrecken die Pluderhosen zu weit und die Gurgel zu enge gemacht? Warte nur, bis uns die blauen Bohnen um's Ohr pfeifen, da soll's spanische Bäuche geben und mehr Dysenterie, als im nassen Schlackerwetter der Herbsttage.«
»Es scheint, Hauptmann,« versetzte Addrich's Knecht, »Du hast die Probe schon an Dir gemacht, und bist bei den gelben Webern gewesen. Wir in den Bergen hier sind noch lange nicht Klupfi's Söhne. Steige den Berg hinauf zur Bampf, da siehst Du den Aargau und wie dort das Volk lebendig ist.«
»Welche Berichte bringst Du, Felix?« sagte Addrich.
»Meister, es wird gestürmt,« antwortete der Knecht. »Zuerst hörte ich's aus der Ferne rechts von Brugg her, dann gegen Lenzburg hin. Bald aber erschollen, links aus der Tiefe, die Glocken von Kulm und Gränichen her, oder rechts in der Nähe von Seon und Birrwyl; bald schweigen alle, bald nur einzelne, oder alle heulen durcheinander. Es ist ein Fest, das! Das Schnurren und Rollen und Trommeln läßt sich deutlich dazwischen vernehmen, wie auch einzelnes Rufen und Geschrei, als wäre aller Orten und Enden Feuer ausgebrochen.«
»Sieht man Bewegungen in den Thälern?« fragte Leuenberg.
»Nichts,« antwortete Felix. »Leute, die auf dem Felde sind, laufen quer über die Äcker den nächsten Weg zum Dorfe. Auf den Landstraßen rennt, wie eine verirrte Ameise, hier und dort ein Reiter; vermutlich sind's Müllerknechte, die Staffeten bringen.«
»Es ist Zeit für uns. Fort; fort!« rief der Untervogt von Buchsiten. »Daß wir mit heiler Haut zu den Unsern gelangen, und nicht dem Feinde in die Hände fallen.«
»Bevor Ihr den Weg antretet, Ihr Herren,« sagte Addrich, »setzet Euch mit mir zum Morgenessen. Ihr seid hier so sicher, wie in der Kirche. Die Wege sind weit, auch empfanget Ihr indessen wohl nähere Kunde über das, was vorgeht.«
»Nichts übereilt, Freunde, Addrich hat wahr gesprochen,« setzte Leuenberg hinzu. »Wir haben vielerlei Beratungen und Abrede vonnöten, und müssen ja heute nicht ins Zurzacher Schiff. Also folgen wir unserm freigebigen Wirte, wohin er uns führen will.«
Sie gingen. Die Mägde richteten das Mahl an, welches sich im Gespräche über die Dinge, die da kommen sollten, und beim Weine, der alle begeisterte, weit über die Zeit hinausdehnte, die selbst der vorsichtige Leuenberg dazu bestimmt hatte. Noch saßen sie da, lärmend durch einander scherzend, nur allein Addrich nicht, der nach seiner Gewohnheit düster blieb und schwieg, als eine der Mägde ihm sagte, daß Epiphania draußen stehe und ihn zu sprechen verlange. Wie die Gäste es hörten, rief der Untervogt von Buchsiten: »Laß Deine Nichte zu uns eintreten, Addrich. Warum verheimlichst Du sie vor unsern Augen? Wir haben die Sache wahr gefunden, die im Volke von Deinem Hause geht; Dich bedienen die zierlichsten Dirnen des Aargaues. Deine Tochter und Nichte jedoch sollen die Schönsten des Landes sein.«
»Auch läßt sich's denken,« stimmte ihm Leuenberg bei. »Dein Hauptmann Gideon Renold hat lange umhergekostet im deutschen, ungarischen und schwedischen Lande, und zuletzt hat ihn doch ein Schweizermädchen gefangen, den tapfern Helden. Mache ihn keiner eifersüchtig, rate ich Euch!«
Auf Addrichs Gebot trat Epiphania herein. Errötend und mit jungfräulicher Schüchternheit verneigte sie sich grüßend gegen die Männer, doch mit einer Art Hoheit, die man von ländlichen Schönen nicht zu erwarten pflegt. Die Fremden verstummten und erhoben sich mit unwillkürlicher Ehrerbietung von den Strohsesseln. Gideon bemerkte die Überraschung seiner Freunde in heimlichem Triumphe und grüßte Epiphania mit vertraulichem Lächeln über den Tisch hin. Sie aber, seiner nicht achtend, ging vorüber. Ihre Seele schien eines andern Gegenstandes voll. Ein Geheimnis, welches der erzwungene Ernst ihrer Mienen verbergen wollte, verkündete sich aus dem Entzücken, welches von ihren Augen widerglänzte und diesen Ernst milderte.
Sie beugte sich zu Addrichs Ohr und flüsterte