»Das heißt gesprochen wie ein Ehrenmann!« fiel ihm Addrich ins Wort.
»Verstehen wir uns jedoch recht,« fuhr Leuenberg fort. »Was begehren wir von den Städten? Neue Freiheiten? Nein! Nur das Recht, was unsern Altvordern zugehörte, was ihnen besiegelt und verbrieft war, und ihnen im Laufe der Zeiten allmählich aus der Hand gespielt worden war. Erkennen wir unsere Obrigkeiten und Regierungen nicht mehr an? Mit nichten! Wir ehren zur Stunde das hochobrigkeitliche Ansehen derselben mit aller Treue in allen ehrlichen Dingen. Warum nennen sie uns Rebellen? Wir sollen, sagen sie, unsere Beschwerden auf gesetzlichem Wege vorbringen. Haben wir denn nicht unterwürfig über die Schmälerung unserer Freiheiten, über die neuen Lasten und Abgaben, über die Hartherzigkeit und Hoffart der Landvögte geklagt? Warum trieben sie unsere Boten mit Schimpf, Schande und harten Drohungen fort? . . . Was bleibt uns also übrig? Das Recht des Landes ist so Recht, wie das Recht der gebietenden Stadt, und der Bauer ist fürwahr in seiner Haut ein Mensch, so gut und so gewiß als der Patrizier in der seinigen. Sind wir Rebellen, treulose, meineidige, verdorbene Leute, wie uns das Manifest von Baden schilt, so sind es die alten Helden für Erhaltung ihres Rechtes in den drei Ländern auch gewesen.«
Der Untervogt von Buchsiten unterbrach ihn hier ungeduldig und sagte: »Wozu wiederholst Du das Weltbekannte? Zur Sache, zur Sache geschritten!«
»Nun denn, zur Sache!« versetzte gelassen Niklaus Leuenberg. »Der ungerechte Übermut der Städte in der Eidgenossenschaft, welcher sich alles zu wagen erlaubt, hat mit dem Stanzer Ereignis Anno 1481 begonnen. Damals gaben sie sich Hand und Wort, einander wider das Volk in allen Dingen Beistand zu leisten. Von dieser Zeit an konnten die Stadtkälber jedes Recht, das ihrem Eigennutz beliebig war, wie Gras fressen, und sie haben auch den Bund wider eigene Untertanen allezeit treuer, als den Bund gegen auswärtige Feinde gehalten. Damals sprang der Demokrat dem Aristokraten und der Protestant dem Katholiken bei, wenn es der Niedertretung Recht begehrender Landleute galt. Gelt, Schybi, das freie Unterwaldnervolk zeigt jetzt über die Stadtmauern der Herren von Luzern den Entlebuchern schön die Zähne?«
Schybi verzog das Gesicht verdrießlich und sagte: »Die von Ury, Schwyz und Unterwalden sind in ihren Ländern nicht demokratischer, als es Zürich, Bern und die anderen Städte hinter ihren Ringmauern sind; aber alle Vettern und Gevattern sind untereinander gegen die Unterthanen.«
»Wohlan denn!« rief Leuenberg. »Die Herren schlossen ihren Bund. Wir haben dasselbe Recht zum Bunde für unsere Freiheiten. Lasset uns neben der Eidgenossenschaft der Herren eine Eidgenossenschaft des Volkes gründen. Jede Landschaft der Schweiz soll eingeladen werden, unserm Bunde beizutreten; einer jeden soll dieser Bund die Freiheiten und Gerechtsame gewährleisten, die sie nachweist; keine darf mehr fordern, als von ihrer Herrschaft verbrieft gewesen und gebührlich ist. Keine Landschaft darf fernerhin eigenmächtig mit den Städten unterhandeln. Entlebuch und Emmenthal, Luzerner Volk und Oberland nebst Aargau, Solothurner und Baseler Gebiet treten zuerst in das Volksbündnis ein und beschwören es. Dies muß in Manifesten durch alle Kantone und Vogteien öffentlich bekannt gemacht und den Regierungen in Städten und Ländern ihre unverletzten Rechte vorbehalten werden. Das ist mein Sinn. Was saget Ihr? Addrich, Du hast noch nichts gesprochen,«
»Was soll ich über die Thorheiten sprechen?« erwiderte Addrich mit einem Lächeln, worin die Bitterkeit des Mißmuts über seine getäuschten Erwartungen zu sehen war. »Ihr Leute taugt weder zum Kriege, noch zum Frieden, weder zum Gehorchen, noch zum Befehlen. Darum sehe ich den Anfang der Dinge klar voraus und Euch alle der Reihe nach in Armensündergestalt mit verbundenen Augen auf dem Sandhaufen, und Eure Köpfe unter dem Schwerte des Scharfrichters tanzen. Ihr habt den Stein aufgehoben und geschleudert, jetzt, wo er aus der Faust ist, beratet Ihr, wohin er fliegen, wohin er treffen müsse? Geht, geht, Ihr habt das Spiel bei der ersten Karte verloren und ich mit Euch. Ich vermutete bei Eurem Verstande eine richtigere Ansicht.«
Hier brach der mürrische Alte barsch ab, stand vom Stuhl auf und warf diesen zur Seite. Die übrigen, in nicht geringer Bestürzung, sprangen zu ihm und beschworen ihn, zu reden.
»Eitle Mühe!« rief Addrich. »Wen die Not nicht beten lehrt, der lernte vom Pfarrer nicht. Es ist um unsere Hälse zu thun, um Erhaltung des Leibes, Lebens und Vermögens; Ihr aber kannegießert wie neue Ratsherren im Schöppli-Leist. Das Volk ist im Aufstande, der Felsen rollt bergunter, der Strom schwillt über die Ufer: nun fährt alles aus, soweit es kann und muß. Denkt nicht, daß Ihr wehren und leiten könntet, Ihr müßt vorwärts, so weit Ihr könnt und müßt, nicht so weit Euch's gefällt. Die erschrockenen und ergrimmten Städte machen keinen Frieden. Ihre Hoheit muß obsiegen oder zu Grabe gehen. Es giebt zwischen Tod und Leben keinen Weg. Ihr werdet als neue Telle glänzen oder als elende Rebellen bluten; das bezwungene Volk zahlt dann die Kriegskosten und bekommt einen strafferen Maulkorb.«
»Nun denn, Addrich,« riefen alle, »Dein Rat, Dein Rat!«
»Mein Rat?« fragte der Alte entgegen. »Lasset die Trommeln rühren, die Fahnen tanzen, gehet, schlaget, sieget oder fallet. Bietet die Angehörigen und Leibeigenen aller Kantone auf. es gilt die Freiheit oder Knechtschaft aller. Sendet Verwirrung aus von einem Ende des Landes zum andern. Je größer der Schrecken und die Lähmung der Städte, desto leichter ihre Niederlage. Nichts bleibe auf der alten Stelle. Pflüget den zum Rasen gewordenen Acker tüchtig, aber erst wenn die Schollen umgekehrt liegen, egget frische Saat ein. Was dann werden kann, wird werden!«
»Teufel! Der will unsere Eisberge in den Abgrund der Seeen werfen, und die Alpen mit dem Nagel seines Daumens wie verschrumpftes Papier glätten,« rief Schybi lachend. »Das giebt – beim Sanniklaus – einen Jüngsten Tag.«
»Schybi,« sagte Addrich mit düsterm Gesichte, »Du wirst dieser Stunde gedenken, wenn Du das Armensünderglöckchen läuten hörst und sie Dich, Psalmen singend, hinaus zum Hochgericht geleiten.«
Der Leuenberg rieb sich die Stirn und sagte: »Addrich, bei meinem Leben, Du hast nicht übel gesprochen. Wie aber soll es enden, wenn wir über alles Recht hinausgehen?«
»Das Recht geht mit dem Sieger, das Unrecht mit dem Besiegten,« antwortete der Alte. »Ihr Emmenthaler seid Berns erkaufte Leute und Leibeigene; freie Schweizer waret Ihr nie; für Euch schoß kein Wilhelm Tell den Pfeil. Wähnet Ihr, ich trage meinen Kopf für Eure Lumpereien von Ohmgeld und verrufenen Batzen zum Schaffot? Es gilt Freiheit des Volkes vom Lemanersee bis zum Rhein: frei von Leibeigenschaft, frei von der Willkür des Stadtstolzes soll der Landmann sein; von Geburt nicht geringer als der Schultheiß, und nicht ärmer an Recht. Wir treten durch dasselbe Thor in die Welt hinein und hinaus. Mensch ist Mensch im Zwillich oder Samtkittel. Gott hat das Recht der Erstgeburt nicht erfunden, und Brüder können Brüder nicht leibeigen kaufen und besitzen. Unnatur und Unrecht vertilgen, das ist Natur und das ist Recht. Dafür gehe ich mit Euch zum Siege oder zum Schaffot, dafür ist beides gleich ehrenvoll vor der Welt und vor Gott.«
Sie schwiegen bei diesen Worten sämtlich; nur Ulli Schad stammelte erschrocken: »Wie meinst Du's? Alle Obrigkeit, sagt die heilige Schrift, ist von Gott. Es muß Obrigkeit sein, die Gewalt hat.«
»Obrigkeit und Unterthan muß sein, aber das Gesetz gehet über beide und Gott über alle!« antwortete Addrich,
Da wurde von außen ans Fenster gepocht, wo einer der Moosknechte, wie Addrichs Leute genannt wurden, Wache hielt. Der Alte begab sich hinaus. Seine Gäste standen schweigend im Nachdenken umher.
»Mit Eurer Gunst,« sprach nun Gideon, »Ihr gaffet verblüfft ins Blaue hinein, und es geht Euch, wie dem Knecht Rupprecht. Da er wollte ein Reiter werden, hatte er keinen Gaul; da er einen Gaul bekam, hatte er keinen Sattel; da er einen Sattel fand, mangelten ihm Stiefel und Sporn; und endlich, als er alles hatte, fehlte ihm der Mut und er saß da, wie Matthes von Dresden. Mich dünkt, Addrich hat wahr gesprochen. Vor der Hand habt Ihr nichts zu beraten, als woher Geld und tapfere Mannschaft nehmen, um dem Feinde zu jeder Stunde die Degenspitze zu zeigen. Liegen die Städte zu Euren Füßen, dann ists an der Zeit, Beratung zu halten,