Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027214945
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unter der Predigt; die Waffen sind jedoch geschliffen. Die erste Trommel, die im Lande gerührt wird, bringt die Sturmglocke vom gesamten Aargau zum Heulen, wie ein übeltönendes Horn die Hunde.«

      »Wohlan, liebwerte Bundesgenossen,« sagte Leuenberg, »so lasset uns ungesäumt zur Besprechung schreiten, um deretwillen wir hier zusammengetroffen sind, und mit Hand und Mund beteuern, das zu halten, worüber wir einig werden, denn nicht umsonst wird in bildlichen Darstellungen die Zeit mit geschwungenen Flügeln dargestellt, und schwerlich sehen wir uns so bald wieder, wenn wir einmal nach allen Weltgegenden voneinander geschieden sind. Du, Addrich, hast Du für unsere Sicherheit bei Dir Sorgfalt getragen?«

      »Leuenberg,« rief Gideon, »solche Frage geziemt Dir nicht, wo Du weißt, daß ein Soldat hier wohnt. Ich selbst habe ringsum treue Wachen ausgestellt, die alles Verdächtige genau beobachten: denn der Landvogt von Lenzburg würde nicht faul sein, wenn er wüßte, welches Nest hier auszunehmen wäre.

      »Habet keinen Kummer,« sagte Addrich. »Sogar Junker Mey von Rued besorgt von hier aus nichts Arges. Er schickte gestern einen Boten, jedoch nicht um zu horchen, sondern um meine Nichte wegzulocken.«

      Gideon konnte bei diesen Worten eine große Bestürzung nicht verbergen. Er sah mit einem fragenden, flammenden Blicke auf Addrich. Dieser aber fuhr gelassen fort: »Also nur Weibergeschichten! Es war eine gute Haut, ein Aarauer Spielmann, der mir Beichte saß, weil er mich nicht kannte. Wir haben ihn aus Vorsicht in's Luzerner Gebiet geschickt, da mag er von uns erzählen.«

      Schybi lachte und sagte: »Auch glaube ich, die Weibel und Knechte des Landvogts wagen sich nicht in dies Thal herauf, denn sie fürchten die Nachbarschaft des Addrich, wie des Satans Zwillingsbruder.«

      »Das ist wahr,« rief der Untervogt von Buchsiten, »hätte mir Leuenberg nicht berichtet, welch ein Biedermann Du wärest, Addrich, ich hätte mich nicht zu Dir getraut, so Arges reden die Leute. Woher das Geschwätz? Vielleicht, weil Du so furchtbar drein schauest?«

      Addrich erwiderte etwas verdrossen: »Hast Du bei Dir zu Hause keine Esel? Als ich noch ein mäßiges Vermögen besaß, hieß ich Strolch und Straßenräuber. Als ich einige Thaler erworben hatte, hieß ich Schatzgräber. Weil ich meinem Verstande folge und nicht mit Narren in das gleiche Horn stoße, bin ich im Bunde mit der Hölle, und weil ich des Pfarrers Deutschlatein auf der Kanzel nicht anhören will, macht er mich zum Gottesläugner und alle Sonntage zu etwas anderem. Wen Neid und Bosheit einmal mit Ruß geschwärzt haben, den waschen alle Tugenden nicht wieder weiß. Vieltausendmal habe ich den Tag verwünscht, an dem ich das Simmenthal verließ und mich hier, bei dem dummen und dummtückischen Geschmeiß, ansässig machte.«

      »Bei dem allen, Addrich, gehorchen sie Dir, als wärst Du ihr Vogt,« sagte Schybi.

      »Weil sie keinen Gott, sondern nur den Teufel fürchten,« versetzte Addrich. »Die Heiden sind nicht heidnischer gewesen, als dies menschliche Vieh. Schon mehr als einer ist in großer Heimlichkeit zu mir geschlichen, und hat mich um Gottes willen gebeten, ihn in Verbindung mit dem Teufel zu bringen. Sie wollen ihm Leib und Leben eigenhändig mit Blut verschreiben, wenn er ihnen hinlängliches Wohlleben, oder auch nur einen Heckthaler in den Sack schafft. Wenn sie schon während der Sonntagspredigt schlafen, weil sie sich an den Psalmen müde schrieen, preist der Pfarrer doch ihre Christlichkeit: denn so oft sie ihre Säue schlachten, füllen sie ihm die Rauchkammer mit Würsten und Schinken . . . Aber, Ihr Herren, Euch erwartet hier zunächst im Zimmer die Morgensuppe. Noch seid Ihr nüchtern. Erweiset mir die Ehre und setzt Euch hinzu. Nachher schreiten wir frischer zu Rat und That.«

      Damit unterbrach er das Gespräch. Nach einigen höflichen Weigerungen und Entschuldigungen folgten ihm die Gäste und nahmen ihre Plätze um die dampfende Schüssel ein.

      11.

       Die Brautwerbung.

       Inhaltsverzeichnis

      Das ländliche Frühmahl, bei welchem, neben geräucherten Rinderzungen und Wildpretschnitten, die begeisternde Flüssigkeit nicht fehlte, die der Schweizer Bauer schon damals aus den schwarzen Bergkirschen zu ziehen wußte, verbreitete die beste Laune über die Gäste. Ihre Scherze und Blicke verfolgten dabei Änneli's flüchtige Gestalt, die zur Bedienung erschienen war. Nur Gideon Renold blieb, wider seine Gewohnheit, einsilbig und ohne Eßlust, und ehe noch das Mahl zur Hälfte beendet war, zog er den düstern Addrich auf die Seite und verließ darauf mit ihm die Stube. Als beide vor das Haus und in den Wald getreten waren, fragte Addrich: »Warum führst Du mich hierher? Was hast Du Geheimes?«

      »Geheimes? Nichts! Du weißt alles, was in und an mir ist, sonst könntest Du mich nicht, wie den Tanzbären, an der Kette schleppen,« antwortete Gideon und heftete die schwarzen, flammenden Augen auf das Gesicht des Alten. »Du aber, Addrich, behältst beständig Deine Maske vor und handelst ohne Aufrichtigkeit. Warum verschwiegst Du mir die wahre Absicht des Junkers Mey auf Deine Nichte? Zu sich locken wollte er sie also? Und das sagst Du erst, nachdem Du seinen Kundschafter fortgeschickt hast? Addrich, ohne Arglist und Betrug, rede! Wie stehen wir mit einander? Unter gegenwärtigen Umständen verlange ich klaren Wein von Dir. Sagst Du mir nicht die Hand der unvergleichlichen Epiphania zu, so . . .«

      »Fahre fort!« rief Addrich.

      »So . . . Ich habe dann andere Majestäten gesehen!«

      »Deine Zunge schlägt falsche Münze. Rein heraus mit der Sprache!«

      »So fahre alles in den höllischen Abgrund!«

      »Das also war's, Gideon? Schäme Dich! Du bist und bleibst doch ein gemeiner Lohnsoldat, der nur um blanken Sold dient, aber Vaterland, Ehre und alles bessere nebenbei mit in den Kauf nimmt, um daraus eine Schabracke für das schmutzige Roß seiner Selbstsucht zu machen. Also für des Mädchens Hand nur willst Du der guten Sache Deinen Arm vermieten?«

      »Der guten Sache! Beurteile selbst, Addrich, daß Dein Ehrgeiz und der Deiner Genossen nicht meine gute Sache sein kann. Epiphania ist für mich Leben, Welt, Himmel, alles, und allein für alles setze ich alles aufs Spiel. Ich glaube auch, ein Beweggrund, wie der meinige, sei in den Augen urteilfähiger Personen mehr wert, als Deine und Deiner Kumpane Sucht, Euch bäuerische Gnaden, Ratsherren und Schultheißen titulieren zu lassen.«

      »O Du elender Jungfernknecht, meinst Du, mich steche der Haber des ehrgeizigen Übermuts? Meinst Du, Leuenberg und Schybi, ich, oder ein anderer habe eine ganze Nation aus den hundertjährigen Wurzeln der Gewohnheit reißen können, um sie zum Schemel unseres eigenen Hochmuts zu machen? Ja, der Aufstand ist da; weißt Du, wer ihn angestiftet hat? Die Urheber und ersten Rädelsführer desselben sitzen in den Ratsstuben der Städte. Ihre blinde und hartherzige Ungerechtigkeit hat die Trommel des Aufruhrs gerührt und das zahme Roß scheu und wild gemacht. Wilhelm Tell ist erst durch den Landvogt Geßler zum Tell geworden. Weißt Du das nicht? Der faulende Mist treibt die schönsten Blumen und die süßesten Früchte aus der Erde und nur die stolze Tyrannei treibt die edle Freiheit aus ihrem Grabe heraus ins Leben.«

      »Redensarten! Redensarten! Die kenne ich und weiß sie gehörigen Ortes anzuwenden. Du und Deine Genossen haben das Roß scheu gemacht; nun aber wollet Ihr es auffangen und Euch, statt der alten Herren, in den Sattel schwingen. Ganz recht, Addrich. Ich will Dir in den Steigbügel helfen, wenn Du meine Bedingungen annimmst.«

      »Gehe, Lohnknecht, ich begehre nichts von Dir und nichts von der ganzen Welt. Ich wollte lieber, die Welt wäre nie dagewesen, so ständen wir nicht hier und Du quältest mich nicht mit Deiner Narrheit.«

      »Addrich, Du, ein Mann von Erfahrung und Einsicht, der in Ost- und West-Indien umhergefahren ist, solltest nicht so verkehrte Dinge reden. Ich will Dein Glück begründen, und fordere für mich dagegen Epiphania. Was liegt darin Thörichtes und Unanständiges? Gieb mir das schönste auf Erden, und ich kehre Bern dafür um, daß es die Türme seines Großmünsters in die Aar und dessen Fundament gen Himmel strecken muß.«

      »O Du Auerhahn, den die Balzzeit blind macht! Hier zu Lande wagt der schlechteste Tölpel Ehre, Leben und Gut für etwas besseres als Du.«