Nun war die große Verlegenheit da. Meinem Diener wurde befohlen, die Bänder wieder anzunageln, er erklärte jedoch, dies wäre das Letzte, was er täte. Niemand öffne einen Koffer auf diese Art, wenn man dazu die Schlüssel haben könne, außer in der Absicht etwas zu stehlen. Es seien kostbare Sachen in dem Koffer, die für den Scherif und Metical Aga bestimmt seien, und diese könnten gestohlen worden sein, da die Bänder schon vor seiner Ankunft aufgebrochen worden seien. Er wasche wegen dieses Vorgehens seine Hände in Unschuld, wisse aber ganz bestimmt, dass sich sein Herr sowohl in Kairo als auch in Jidda darüber öffentlich beschweren werde.
Der Wesir trug seinen voreiligen Entschluss wie ein Mann. Er nagelte den Koffer selbst zu, ließ sich sein Pferd bringen und begab sich in Begleitung von fünfzig nackten Schwarzen, die man hier Soldaten nennt, zu dem Bengalischen Haus, worüber die ganze Faktorei in Bestürzung geriet.
Vor sechsundzwanzig Jahren waren die zwischen Ostindien und Jidda Handel treibenden englischen Kaufleute, vierzehn an der Zahl, bei Tisch durch eine Meuterei dieses rohen Volkes alle ermordet worden.
Nun wurde eilig nach dem englischen Kavalier gefragt, den niemand gesehen hatte; aber es hieß, einer seiner Diener sei im Bengalischen Haus. Ich saß gerade auf meiner Matte und trank Kaffee, als der Wesir auf seinem Pferd kam und der Hof sich mit Menschen füllte. Einer der Zollbedienten fragte mich, wo mein Herr sei. »Im Himmel«, antwortete ich. Ein Diener des Emir Bahar brachte nun den Wesir zu mir, der nicht abgestiegen war. Er wiederholte dieselbe Frage. Ich verstünde die Absicht seiner Frage nicht, entgegnete ich ihm, ich sei aber der Mann, dem das Gepäck gehöre, welches er zu dem Zollhaus habe bringen lassen. Die Briefe des Großherrn und des Ali Bey beträfen meine Person.
Er war voller Erstaunen und fragte, warum ich denn in einem solchen Aufzug erschienen sei. »Ihr könnt das nicht im Ernst fragen«, sagte ich, »kein kluger Mann würde sich wohl in Anbetracht der Reise, die ich gemacht habe, besser kleiden. Aber Ihr habt mir auch keine Wahl gelassen, da alles außer dem, was ich auf dem Leib trage, seit vier Stunden im Zollhaus ist und Ihr darüber verfügt.«
Wir gingen nun alle zu unserem höflichen Wirt hinauf, zu Kapitän Thornhill, bei dem ich mich für mein voriges Betragen damit entschuldigte, dass ich gleich bei meiner Ankunft einen so schlechten Empfang durch meinen eigenen Verwandten hatte erdulden müssen. Er lachte herzlich über meine Erzählung, und von der Zeit an lebten wir in der vertrautesten Freundschaft.
Alle Schwierigkeiten waren nun beigelegt, auch mit Yousef Cabil, und alle Hände waren damit beschäftigt, die überzeugendsten Empfehlungsbriefe an den Naybe4 von Massaua, an den König von Abessinien5, seinen Minister Michael Suhul6 und an den König von Sennar auszufertigen.
Es ist bekannt, wie wenig die gewöhnlichen Empfehlungsbriefe nützen. Wir waren alte Reisende und kannten die morgenländische Art gar zu gut, als dass wir durch bloße Höflichkeitsbriefe hintergangen werden konnten. Keine Völker sind in ihrer Korrespondenz untereinander höflicher als die Morgenländer. Aber ihre Höflichkeitsfloskeln bedeuten nicht viel mehr als ähnliche Ausdrücke in Europa. Sie zeigen lediglich, dass der Schreiber ein Mann mit Manieren ist. Das ist aber auf einer so langen, so gefährlichen und so ernsthaften Reise wie der meinigen bei Weitem nicht genug.
Wir suchten also wirksamere Briefe zu erlangen, Briefe über Geschäfte und Verbindlichkeiten von einem Mann an den anderen. Wir bemühten uns sehr, dies dem Metical Aga, der ein sehr guter Mann, aber sonst kein sehr großer Kopf war, begreiflich zu machen. Meine Briefe von Ali Bey brachen den Bann und verpflichteten ihn zuerst einmal zur Aufmerksamkeit. Ein Paar schöne Pistolen, die ich ihm mitbrachte, verschafften mir dann seine Zuneigung, dies umso mehr, als ich zu keinem Geschenk verpflichtet war, weil ich ihm Briefe von jemandem, der über ihm stand, überbrachte.
Die Empfehlungsbriefe wurden in einer Art abgefasst, wie ich es nur wünschen konnte, waren aber dennoch nach der Meinung eines würdigen und mir freundschaftlich gesinnten Mannes, der seit meiner Ankunft um mich besorgt war, nicht ausreichend. Dies war Thomas Price, der Kapitän des »Löwen von Bombay«. Er machte dem Metical den Vorschlag, einen seiner Leute gemeinsam mit mir und den Briefen nach Abessinien zu schicken, und ich glaube fest, dass ich neben der göttlichen Vorsehung dieser Maßnahme mein Leben zu verdanken habe. Damit war auch Kapitän Thornhill völlig einverstanden. Ein Abessinier namens Mahomet Gibberti wurde also dazu bestimmt, mit besonderen Briefen, außer denen, die ich selbst mitbrachte, mich zu begleiten und ein Augenzeuge meiner Aufnahme zu sein.
Es war noch einige Zeit nötig, um diesen Mann in Bereitschaft zu setzen, und ich hatte noch einen ansehnlichen Teil des Arabischen Meerbusens zu untersuchen. Ich traf also alle Anstalten zur Abreise von Jidda, nachdem ich mich schon so lange Zeit hier aufgehalten hatte.
Die Freundschaft meiner Landsleute blieb mir während meines ganzen Aufenthalts erhalten und begleitete mich bis an Bord. Wenn andere den Stolz der englischen Ostindienfahrer beklagen, war ich so glücklich, nicht einmal einen Schein davon in Jidda empfunden zu haben. Es wäre besser für mich gewesen, wenn man mich etwas mehr vernachlässigt hätte.
Der ganze Kai in Jidda war voller Menschen, die gekommen waren, um den Englischen Gruß7 zu sehen. Zugleich mit mir segelte ein anderes Schiff nach Massaua ab, welches den Mahomet Abd el-Kader, den Statthalter von Dahalac, zu seiner Residenz bringen sollte. Dahalac ist eine große, von Massaua abhängige Insel, die aber einen eigenen Firman hat, der alle zwei Jahre erneuert wird. Dieser Mann war ein Mohr und Sklave des Naybe von Massaua. Er war in Jidda gewesen, um sich seinen Firman von Metical Aga zu erbitten, und Mahomet Gibberti sollte mit mir kommen, um diesen dem Naybe zu überbringen. Abd el-Kader war kaum in Massaua angelangt, als er – wie es dem Hang dieser Menschen zu maßloser Übertreibung entspricht – die Nachricht verbreitete, es würde ein vornehmer Mann oder Prinz, den er in Jidda getroffen habe, demnächst nach Massaua kommen. Dieser habe dem Scherif und Metical Aga wertvolle Geschenke gebracht und dafür von Yousef Cabil, dem Wesir des Scherifs, eine große Summe in Gold empfangen. Überdies habe er von den Engländern alles, was er nur wollte, bekommen, und diese hätten ihm zu Ehren während seines mehrmonatigen Aufenthalts in Jidda ständig Feste veranstaltet. Und als er zum Imam des Glückseligen Arabien8 abgereist sei, hätten alle englischen Schiffe die Fahnen wehen lassen und drei Tage lang vom Morgen bis zum Abend Salut geschossen. Die Folge dieser Erzählung war, dass der Naybe einen Mann mit unsäglichen Reichtümern erwartete, der sich in seine Hände begeben würde. Die Gefahr, in die mich dieser lügnerische Bericht brachte, war größer als alle folgenden Misslichkeiten, die mich auf meiner weiteren Reise noch erwarten sollten.
Am 8. Juli 1769 verließ ich den Hafen von Jidda an Bord meines vorigen Schiffes. Ich erlaubte dem Rais9, eine kleine Ladung auf eigene Rechnung mitzunehmen, jedoch unter der Bedingung, keinem einzigen Passagier die Mitreise zu gestatten. Der Wind war günstig, und wir segelten zwischen der vor Anker liegenden englischen Flotte hindurch. Der Rais wunderte sich ungemein über die Ehre, die seinem kleinen Boot widerfuhr, da jedes Schiff, wenn wir an seinem Heck vorbeifuhren, die Flagge hisste und mit elf Schüssen grüßte, ausgenommen das Schiff meines schottischen Freundes, welches zwar auch die Fahne wehen ließ, aber keinen Schuss abfeuerte. Er stand jedoch auf dem Verdeck und rief durch sein Sprachrohr: »Der Kapitän wünscht dem Herrn Bruce eine glückliche Reise.« Ich stand ebenfalls an Deck und antwortete durch mein Sprachrohr: »Herr Bruce wünscht dem Kapitän … eine baldige völlige Rückkehr seines Verstandes!«
Über Loheia und Mokka segelte Bruce an der jemenitischen Küste südwärts, besuchte einige Inseln und verbrachte seine Zeit vorwiegend mit astronomischen Berechnungen und kartografischen Aufnahmen. Es war ihm bekannt, dass kurz zuvor der dänische Forscher Carsten Niebuhr einige Zeit im Jemen geweilt hatte und mit ausgezeichneten Ergebnissen nach Hause gekommen war. Aus diesem Grund widmete Bruce dem Land selbst wenig Aufmerksamkeit. Auch die Furcht seines Kapitäns vor Seeräubern konnte ihn nicht davon abbringen, bis Bab el-Mandeb weiterzusegeln, der Meerenge zwischen dem Roten Meer und dem Indischen Ozean.
Darauf