»Ja, Holger hängt an den Kindern. Er wollte sie ja auch mitnehmen, aber Grit war dagegen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob sie das jetzt auch noch ist. Die Kinder sind ihr im Wege, das siehst du doch daran, daß sie sie zu uns abgeschoben hat.«
»Ja, das ist bitter. Aber wir freuen uns doch, daß sie hier sind, oder?«
»Wir freuen uns riesig«, bestätigte Leni. »Doch das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Du mußt ihr ins Gewissen reden. Wenn sie so weitermacht, verlieren die Kinder die Achtung vor ihrer Mutter.«
Leni hatte ja recht. Grit lebte ihr Leben auf Kosten der Kinder. Und das Traurige dabei war, daß abzusehen war, daß die Sache mit Robertino, Roberto oder wie immer sie ihn auch nannte, ohnehin ausgehen würde wie das Hornberger Schießen. Sie würde ihn verlieren und in einem Scherbenhaufen sitzen bleiben.
»Jetzt brauche ich erst mal einen Schnaps«, sagte Bettina.
»Und mir kannst du auch einen mitbringen«, fügte Leni hinzu.
Arno stand auf.
»Was wollt ihr denn trinken? Ein Horlitz-Tröpfchen, vielleicht mit Mango?«
»Am liebsten wäre mir ein Kräutergold«, rief Bettina.
»Den haben wir nicht mehr, wie du leider weißt.«
»Doch, ich habe ihn noch. Es ist mir gelungen, unterwegs zufällig eine Flasche zu ergattern, und die habe ich natürlich gekauft. Wartet, ich bin gleich zurück.«
Sie erzählte nicht, wo sie die Flasche gekauft hatte, sondern lief eilig davon.
Als sie zurückkam, hatte Arno bereits die Gläser bereitgestellt und goß beinahe andächtig das Fahrenbach-Kräutergold ein.
»Wenn doch bloß die Rezeptur auftauchen würde«, jammerte Leni, »dann könnten wir in unserer wunderschönen Likörfabrik wieder selber produzieren und wären nicht darauf angewiesen, für andere Leute zu vermarkten.«
»Was auch nicht schlecht ist, denn das bringt auch Geld in die Kasse«, bemerkte Arno. »Außerdem weiß ich, daß wir irgendwann wieder produzieren werden. Der Chef hat die Rezeptur niemals vernichtet. Nicht der Chef…«
Bettina gab ihm darauf keine Antwort. Es war müßig, darüber zu reden. Sie hatte die Rezeptur überall gesucht, überall nachgefragt – vergebens. Nun konnte sie nicht mehr vom Himmel fallen, und ihr Vater hatte sie auch nicht mit ins Grab genommen.
Leni hob ihr Glas.
»Prost… Nicht lang schnacken, Kopf in Nacken.«
Lachend hob Bettina ihr Glas.
»Woher hast du das denn?« wollte sie wissen.
»Habe ich irgendwo gelesen und fand den Trinkspruch super. Also, trinken wir mit dem Fahrenbach-Kräutergold auf das Fahrenbach-Kräutergold. Ich glaube nämlich auch daran, daß wir wieder produzieren werden.«
»Prost… Nicht lang schnacken… Wie ging der Trinkspruch noch weiter?« wollte Bettina wissen.
Leni wiederholte es, dann tranken sie sich zu.
Das Fahrenbach-Kräutergold war köstlich, ein absoluter Genuß, das wußten sie alle drei, doch es brachte sie nicht weiter.
*
Die Tage auf dem Hof waren nicht nur für die Kinder schön gewesen. Auch die Erwachsenen hatten sie genossen. Und Leni und Arno wollten Merit und Niels auch wieder zurückbringen, doch das lehnte Bettina ab, weil sie unbedingt mit ihrer Schwester sprechen mußte. Nicht nur wegen der Fehler, die Grit machte. Sie wollte etwas über Linus erfahren, und wenn Grit bislang nichts wußte, so würde sie es aber herausbekommen, schließlich waren sie und Frieder offenbar ein Herz und eine Seele.
Sie hatten vereinbart, daß Bettina im Hause ihrer Schwester übernachten sollte und wollten sich abends in einem italienischen Restaurant treffen.
Bettina freute sich auf das Beisammensein mit ihrer Schwester. Das bot ihr endlich Gelegenheit, länger mit ihr zu sprechen. Am Telefon bot Grit ihr niemals Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch, sondern beendete alle Telefonate immer sehr schnell.
Sie mußten miteinander reden. Nicht nur wegen all der unerfreulichen Dinge, sondern um sich auch allgemein auszutauschen. Schließlich waren sie Schwestern und hatten sich früher doch recht gut verstanden. Inzwischen hatten sie sich so weit voneinander entfernt. Wenn sie jetzt nicht aufpaßten, würden sie sich eines Tages als Fremde gegenüberstehen, die sich nichts zu sagen hatten.
Pünktlich zur verabredeten Zeit hielt Bettina auf dem Parkplatz des Restaurants an. Sie kannte es nicht. Es war neu.
»Tante Bettina, dieses Restaurant ist doof. Können wir nicht woanders hingehen?«
»Aber wir sind hier mit eurer Mutter verabredet.«
»Hier gibt es keine Pizza… ich möchte Pizza essen«, jammerte Merit.
»Am besten drehen wir um und fahren zurück auf den Fahrenbach-Hof. Dort ist es viel schöner, und alles, was die Leni kocht, schmeckt super«, wandte Niels ein.
»Aber das geht doch nicht. Kommt, ihr zwei, laßt uns hineingehen. Bestimmt wartet eure Mutter bereits.«
»Die Mama kann nicht pünktlich sein, die kommt immer zu spät, sogar zum Elternabend in der Schule.«
Die Prognose Merits schien sich zu bewahrheiten, denn als sie das Restaurant betraten, war von Grit weit und breit nichts zu sehen.
Es war gut besucht, aber Grit, die offenbar hier bekannt war, hatte einen Tisch reservieren lassen, an den sie geführt wurden.
Bettina konnte verstehen, daß es den Kindern hier nicht gefiel. Es war alles ziemlich bombastisch, sehr passend zu dem Publikum, wo die Männer wahrscheinlich allesamt die neuesten Brioni-Anzüge trugen und die Frauen einander alle ähnelten, als habe der Schönheitschirurg versehentlich immer in die Schublade mit dem Bild von Angelina Jolie gegriffen, nur daß deren Lippen und Nase nicht künstlich entstanden waren, sondern echt.
Bettina bestellte eine große Flasche San Pellegrino für sich und die Kinder und begann, die Speisekarte zu studieren.
Es gab erlesene Gerichte, aber nicht unbedingt das, was Kinder mochten.
Die wenigen Pasta-Gerichte entsprachen auch nicht dem Kindergeschmack. Es gab sie mit Trüffeln, Garnelen, allen möglichen erlesenen Beigaben.
Kinder mochten Spaghetti Bolognese oder Spaghetti mit Tomatensauce, doch die gab es nicht auf der Karte.
Bettina schaute auf ihre Uhr.
Sie saßen jetzt bereits eine halbe Stunde hier, die Kinder begannen unruhig zu werden und auch müde.
Bettina versuchte, ihre Schwester zu erreichen, aber sie ging weder an ihr Telefon noch an ihr Handy.
Sie würde die Verabredung doch wohl nicht vergessen haben?«
»Tante Bettina, ich bin hungrig«, klagte Niels.
»Ich bin müde«, jammerte Merit.
Kurzentschlossen winkte Bettina den Kellner heran.
»Spaghetti Bolognese haben Sie wohl nicht?« erkundigte sie sich.
Beinahe entgeistert schaute er sie an. »Aber Signora, wir sind keine Pizzeria.«
So etwas Blödes hatte Bettina überhaupt noch nicht gehört.
»Nun gut, Spaghetti haben Sie in Ihrer Küche, Butter auch. Bitte bringen Sie den Kindern Spaghetti, nur mit Butter und für mich eine Portion Antipasti… ach ja, und dann hätten wir gern noch eine Flasche Wasser.«
Sie hatte bemerkt, daß ihre Flasche bereits fast leer war.
Der