»Guten Abend, meine Schöne. Ich hatte mich so darauf gefreut, deine Stimme zu hören. Ich denke sehr viel an dich. Hast du meine Rosen bekommen? Ich…«
Ein Knacken und Krächzen erfolgte, dann war die Verbindung unterbrochen. Bettina hatte nicht die geringste Ahnung, wo Jan sich derzeit aufhielt. Auf jeden Fall war es ihm nicht möglich gewesen, ein weiteres Mal anzurufen. Und darüber war sie froh.
Sie hatte ein schlechtes Gewissen.
Jan hatte den Rosen nicht nur einen wundervollen Brief beigelegt, sondern auch seine Visitenkarte mit sämtlichen Telefonnummern.
Sie hätte sich, und das tat ein höflicher Mensch, bedanken müssen, was sie ja auch normalerweise getan hätte.
Aber sie war so verwirrt gewesen, daß sie sowohl den Brief als auch die Visitenkarte sofort entsorgt hatte.
Wie sollte sie ihm das je beibringen?
Mit dem Telefon bewaffnet, ging sie ins Obergeschoß ihres Hauses.
Jan würde jetzt nicht mehr anrufen. Dazu war es zu spät. Aber auf den Anruf von Thomas wartete sie noch, den wollte sie nicht verpassen.
In der Zwischenzeit konnte sie sich aber schon für die Nacht fertigmachen.
Vorsichtshalber nahm sie das Telefon mit in ihr Badezimmer.
Sie hatte Thomas ja schon eine SMS geschrieben, daß sie ihn liebte.
Gleich würde sie es ihm noch einmal sagen und sich auch dafür entschuldigen, daß sie so herumgezickt hatte.
*
Thomas hatte, aus welchem Grund auch immer, nicht angerufen, und als sie versucht hatte, ihn zu erreichen, weil ihr vor Müdigkeit bereits die Augen zufielen, war er nicht ans Telefon gegangen.
Wahrscheinlich war er durch Geschäfte aufgehalten worden. Er hatte ja nicht ahnen können, daß sie sich, um seinen Anruf nicht zu verpassen, die Nacht um die Ohren schlug.
Es fiel ihr schwer, einzuschlafen, und sie schlief sehr unruhig und wälzte sich hin und her.
Dennoch war sie am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe wach und ging hinüber in die Destille, wo sie bereits Toni vorfand.
»Hast du dich wieder beruhigt?« erkundigte sie sich nach der Begrüßung.
»Klar, als ich unten am Fluß war, war mein Ärger vorbei. Aber Arno ist so richtig nachtragend. Er war heute früh noch sauer.«
»Wieso? Habt ihr euch schon gesehen?«
»Na klar, die beiden sind schon losgefahren.«
»Das ist doch viel zu früh. Die Kinder haben vormittags ja noch Schule.«
»Leni konnte es nicht erwarten, sie hatte Angst, in einen Stau zu geraten und wollte deswegen auf Nummer Sicher gehen.«
»Verrückt.«
»Finde ich auch. Aber gut, daß du schon hier bist, Bettina. Uns werden die 12er-Kartons knapp. Ich fahr mal los und hole eine Ladung. In der Kartonagenfabrik fangen sie ja bereits um sechs an.«
»Meinst du nicht, daß wir anfangen sollten, uns die Kartons zustellen zu lassen, Toni?«
Davon wollte er aber nichts wissen.
»Wo denkst du hin, die Versandkosten können wir uns wirklich sparen. Außerdem kann ich dann auch immer gleich ein Auge auf die Restposten werfen. Wir können viele davon gebrauchen und haben dadurch schon so manchen Euro gespart.«
Toni war wirklich ein Goldstück!
Er versuchte für die Firma zu sparen, hatte Verbesserungsvorschläge und arbeitete, als sei es sein eigener Betrieb.
Im ›Wein-Kontor‹ hatten sie auch sehr gutes Personal gehabt. Vielleicht nicht ganz so gut wie Toni, aber auch auf das Wohl der Firma bedacht. Doch diese Leute hatte Frieder ja allesamt entlassen. Es gab niemanden mehr von der alten Riege, die sich mit der Firma identifiziert hatte, die für ihren Chef durchs Feuer gegangen wäre. Und all das, was sie für ihren Vater getan hatten, hätten sie ohne weiteres auf Frieder übertragen, weil sie eben der Firma und dem Inhaber verbunden waren.
Doch das hatte Frieder nicht interessiert. Er hatte nicht auf Firmentreue und Loyalität gesetzt, sondern auf junge und dynamische Leute, die viel erwarteten, vor allem ein hohes Gehalt.
Um zu wissen, wie sich diese Leute verhalten würden, wenn das ›Wein-Kontor‹ in eine finanzielle Krise geraten sollte, dazu mußte man kein Prophet sein. Sie würden fluchtartig die Firma verlassen wie Ratten ein sinkendes Schiff.
Nachdem Toni gefahren war, setzte Bettina sich an ihren Schreibtisch und stellte die Rechnungen und Versandpapiere für die nächsten Kommissionen zusammen.
Sie war zwar in der Firma ihres Vaters ausschließlich für die Werbung zuständig gewesen, dankte insgeheim ihrem Vater jetzt noch, daß er darauf bestanden hatte, sie in alle Abteilungen zu schicken. Er war der Meinung gewesen, daß man in seinem Metier nur gut sein konnte, wenn man wußte, wie das Ganze funktionierte. Und diese Voraussicht ihres Vaters kam ihr jetzt zugute.
Sie fand sich zurecht, und das war gut so, denn Personal hätte sie sich überhaupt nicht erlauben können. Es war schon ein Glücksfall, daß Toni eine Ausbildung in der Spirituosenbranche genossen hatte.
Bettina arbeitete zügig und konzentriert, und sie zuckte förmlich zusammen, als das Telefon klingelte. Nicht das Firmentelefon, sondern das für die Vermietung der Appartements, das zu ihr geschaltet war, weil Leni und Arno ja die Kinder abholten.
Sie meldete sich.
»Ich stehe hier auf Ihrem Hof«, hörte sie eine ungehaltene Männerstimme. »Ist denn niemand da, der für die Vermietung der Appartements zuständig ist? So etwas geht doch nicht.«
Bettina erinnerte sich, daß erst am Freitag neue Gäste kommen sollten.
Und jetzt stand jemand auf dem Hof?
»Einen Moment bitte, ich komme sofort«, sagte Bettina, legte auf und verließ eilig das Büro.
Auf dem Hof entdeckte sie einen gut gekleideten Mann, der nervös auf und ab ging.
Wenn er sich nicht ausdrücklich nach den Appartements erkundigt hätte, wäre sie der Meinung gewesen, wieder einen dieser Immobilien-Haie vor sich zu haben, die ihr Grundstücke abschwatzen wollten.
Seit die meisten ihrer Grundstücke Bauland geworden waren, konnte sie sich dieser Aasgeier kaum erwehren.
»Hallo, ich bin Bettina Fahrenbach. Was kann ich für Sie tun?« begrüßte sie freundlich den Mann.
Der hielt inne, musterte Bettina.
»Ihnen gehört das hier?« erkundigte er sich. »Das alles?«
»Ja.«
»Sehr schön, wirklich sehr schön und vor allem ruhig. Genau das, was ich suche.«
Doch ein Immobilienmensch?
»Sie haben nach den Appartements gefragt«, erinnerte sie ihn.
»Ja, ja, ich weiß, aber das übrige Ambiente muß schließlich auch stimmen.«
»Wenn Sie möchten, dann zeige ich Ihnen jetzt die Appartements. Es sind acht, allesamt mit Bad, alle ähnlich eingerichtet. Dazu gibt es einen großen Aufenthaltsraum nebst Küche. Diese Räume können von allen Gästen benutzt werden.«
Sie führte ihn zum ehemaligen Gesindehaus und zeigte ihm, da im Augenblick keine Gäste da waren, alle Appartements.
Er schaute sich alles aufmerksam an.
»Sehr schön, sehr gediegen und geschmackvoll eingerichtet. Auch die Bäder sind sehr schön. Es ist zwar nicht das, was ich mir eigentlich vorgestellt habe, aber ich miete.«
»Für welches Appartement haben Sie sich entschieden?