*
Petra hatte das Gefühl, lange und tief geschlafen zu haben. Sie fühlte sich bedeutend kräftiger, und der dumpfe Druck im Kopf hatte nachgelassen.
Sie stieg aus dem Bett.
»Haben Sie einen Wunsch, gnädige Frau?«
Wie auf Abwegen ertappt, fuhr Petra zusammen. Da saß Alma, die Haushälterin. Man hatte sie wohl hierhergesetzt, damit sie ihren Schlaf behüte.
»Ich will aufstehen«, sagte Petra freundlich. »Wo ist Frau Beate Eckhardt?«
»Die gnädige Frau hat sich zu einem kurzen Schläfchen hingelegt.«
Petra nickte und lauschte in die Stille des Hauses. Es war, als ob das ganze Haus schlafe.
War jetzt die Gelegenheit zur Flucht günstig?
»Und wo ist mein Kind… und seine Pflegerin?«
»Sie ist fortgefahren, eine Besorgung zu machen. Lorchen schläft«, erwiderte Alma freundlich.
»Ich danke Ihnen, ich brauche Sie nicht mehr.«
»Gnädige Frau sollten noch etwas ruhen, die Hitze…«, mahnte Alma besorgt.
»Mir geht es gut. Wenn Sie mein Kind wecken und anziehen wollten, ich möchte es mit zum Friedhof nehmen«, bat Petra mit abgewandtem Gesicht.
»Gern, gnädige Frau.«
Alma huschte davon.
Ja – so würde es gehen! Wie traurig war es, daß sie sich aus dem Haus stehlen mußte, ohne ein liebes, dankbares Wort für die Menschen, die es nur gut mit ihr meinten.
Es ging aber nicht anders!
Alma kam wieder und meine lächelnd:
»Ich habe auch den Wagen bestellt, gnädige Frau.«
»Den Wagen?« Petra wollte schon ablehnen, besann sich aber. »Danke!«
Das kam ihr nur gelegen.
Sie handelte in den nächsten Minuten wie unter Zwang. Nur nicht nachdenken, nur nicht wankend werden, hämmerte sie sich ein.
Alma kam mit der Kleinen und meldete ihr, daß der Wagen vorgefahren sei. Leonore flog in Petras Arme.
»Wir fahren Auto, Mutti?« sprudelte sie los. Sie hatte rote Bäckchen vom Schlaf und glänzende Augen.
Wieder zog es schmerzhaft durch Petras Herz. Sie riß das Kind mit in eine ungewisse Zukunft.
Aber sie bekämpfte alle Bedenken. Sie würde arbeiten, damit Leonore keine Not litt.
»Bitte gehen Sie inzwischen mit Lorchen voraus«, bat sie Alma. »Ich will nur meinem Schwager ein paar Zeilen zurücklassen.«
Eilig verließ sie das Zimmer, ging hinüber in den großen Raum, in dem Eugen Eckhardts Bild hing, und ließ sich am Schreibtisch nieder.
Ohne sich zu besinnen, schrieb sie:
Lieber Nikolaus!
Verzeih mir, daß ich ohne ein Wort des Dankes, ohne Abschied, aus dem Haus gehe. Ich habe mich entschieden. Ich verzichte auf das Erbe, ich kann auch nicht Deine Frau werden.
Ich habe keine Zeit, Dir meine Gründe dafür auseinanderzusetzen. Es fällt mir schwer, Deine Güte und Beates Liebe mit meiner Flucht belohnen zu müssen, aber ich kann nicht anders.
Petra.
Etwas später bestieg sie den Wagen. Johannes hatte das Kind schon in die Ecke gesetzt und stand abwartend neben dem Schlag. Da streckte sie ihm die Hand entgegen.
»Leben Sie wohl, Johannes«, sagte sie, und ihre Augen waren verschleiert. Dann wandte sie sich an den Chauffeur und gebot ihm laut und deutlich:
»Zum Friedhof!«
Betroffen starrte der Alte hinter dem Wagen her.
Leben Sie wohl, hatte sie gesagt? Sie würde doch nicht…? Unsinn! Sie war nur ein wenig verwirrt, die junge Herrin.
Langsam kehrte er ins Haus zurück. Er wäre nicht so ruhig geblieben, hätte er gehört, wie Petra schon kurze Zeit später dem Chauffeur ein anderes Ziel nannte. »Zum Bahnhof!«
*
Zögernd lehnte Regina Reuter am Gartenzaun, der um das schön gelegene Häuschen lief.
Hier wohnte Dr. Wendler.
Zaghaft drückte sie auf den Klingelknopf. Das Tor sprang auf.
Helmuth Wendler kam, stutzte und streckte ihr freundlich die Hand entgegen.
»Nanu! Wie kommt der Glanz in meine Hütte?« fragte er überrascht.
»Ich muß Sie unbedingt sprechen«, stieß Regina hervor, so daß er sie ganz verwundert anblickte und dann in sein Zimmer führte.
»In welcher Angelegenheit?« fragte er sachlich werdend. Er bemerkte wohl ihre Nervosität und beinahe tat sie ihm leid.
»Es handelt sich um Frau Petra Eckhardt.«
»Um Petra Eckhardt?« Er schüttelte verständnislos den Kopf.
»Bitte, sprechen Sie«, ermunterte er sie.
»Sprenger war heute da, er wollte mich zwingen, eine falsche Aussage gegen Frau Eckhardt zu machen.«
Überrascht beugte sich Helmuth vor. .
»Sie? Lieber Gott, wie kommen Sie zu Sprenger? Was für eine Aussage sollten Sie machen?«
»Lassen Sie mich der Reihe nach erklären.« Sie schwieg, mußte sich erst sammeln. So einfach war es nicht, gerade vor diesem Mann ihre ehemalige Freundschaft mit Sprenger zu bekennen. Aber es gab kein Zurück mehr.
»Sprenger ist ein Mann ohne Gewissen. Er hat Frau Eckhardt ins Zwielicht gesetzt, ohne auch nur den geringsten Grund dafür zu haben. Ich weiß alles. Ich kenne seine Mittel, und da er offen zugab, daß er es dahin bringen würde, Petra Eckhardt in Armut zu stürzen, sah ich keinen anderen Ausweg, als zu Ihnen zu kommen und mich Ihnen anzuvertrauen.«
Eine tiefe Falte stand auf Helmuth Wendlers Stirn.
»Wie stehen Sie persönlich zu Sprenger?« fragte er kurz.
Regina senkte den Blick.
»Ich… ich habe ihm einmal nahegestanden.«
»Sie lieben den Mann und wollen ihn nun vor einer Dummheit bewahren?« forschte er weiter und empfand eine Höllenwut dabei.
Heftig schüttelte Regina den Kopf.
»Sie verstehen mich nicht, Herr Doktor. Ich will Frau Eckhardt vor weiteren Nachstellungen schützen, das heißt, das sollen Sie tun.«
»Und warum kommen Sie zu mir? Warum gehen Sie nicht zu Herrn Eckhardt?«
Groß, beinahe entsetzt, starrte sie ihn an. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet.
»Ich möchte meine Stellung nicht verlieren. Muß man nicht annehmen, daß ich mit Hintergedanken in das Haus gekommen bin?«
»Ist es nicht so?«
»Das kann ich beschwören, daß es nicht so ist«, erwiderte sie fest.
Da lächelte er erleichtert.
»Das glaube ich Ihnen.«
Regina lehnte sich zurück und schloß die Augen. Wenn sie doch nicht so aufgeregt wäre. Warum zitterte jeder Nerv an ihr? Warum war sie so unsicher? Zweifelte Dr. Wendler an ihrer Wahrhaftigkeit?
Ach nein! »Ich glaube Ihnen«, hatte er gesagt, und das meinte er auch. Dieser Mann kannte sicherlich keine krummen Winkelzüge.
Da war es wieder, das Vertrauen, das sie zu dem Mann geführt hatte.
Scheu sah sie zu ihm auf. Wie würde