Karin Bucha Staffel 1 – Liebesroman. Karin Bucha. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Bucha
Издательство: Bookwire
Серия: Karin Bucha Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959796712
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Mensch, der schwer an dem Verlust des Liebsten trägt. Sie sucht keine äußeren Werte bei uns, sie sucht nach einer verständnisvollen Seele –«

      »Gefühlsduseleien!« unterbrach sie ihn kalt. »Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis, auch keine Veranlassung zur liebevollen Großmutter oder gar zur reuigen Schwiegermutter. Ich werde bis zum äußersten um meine Stellung im Hause kämpfen. Das ist mein letztes Wort.«

      Sie raffte ihre Kleider zusammen und rauschte an ihm vorbei.

      Die starre Seide ihres Kleides knisterte.

      Nikolaus fror, bis ins Herz hinein fror er. Eine Weile lehnte er am Tisch und kämpfte Bitterkeit und Schmerz in sich nieder.

      Petra!

      In Gedanken sprach er diesen Namen. Sie und das Kind – um sie beide drehte sich nur noch sein Denken.

      *

      »Morgen, Muttchen!«

      Lachend umfing der große blonde Mann die zierliche Gestalt der Mutter, die sinnend am Kaffeetisch gestanden hatte und nun mit einem kleinen Schrei herumfuhr.

      »Gott, Junge, hast du eine Art«, sagte sie vorwurfsvoll, ein Lächeln verbeißend. Immer, wenn sie sich zur Strenge zwingen wollte und nur einen Blick in die lachenden, strahlenden Augen des Sohnes warf, war sie entwaffnet.

      »Schon fertig?« Sie rückte ihm einen Sessel zurecht, aber der Rechtsanwalt Dr. Helmuth Wendler umfaßte die Mutter, drückte sie sanft in einen der Korbsessel und nahm dann selbst Platz.

      »Jawohl, teures Mutterherz, schon fertig. Immer bin ich der Meinung, du wirst mit meinen Klienten nicht fertig. Es sitzt doch sicher das ganze Sprechzimmer voll!«

      »Nicht einmal eine Maus verläuft sich dorthin«, erwiderte sie nicht ohne Wehmut. »Daß du da noch lachen kannst, Junge.«

      Um Dr. Wendlers Mund zuckte es spöttisch.

      »Warum nicht, Muttchen?«

      Über den Kopf der Mutter hinweg glitt sein Blick durch das geöffnete Fenster. »Leide ich Not? Die beste aller Mütter nenne ich mein, ich habe ein Dach über dem Kopf und strecke meine langen Beine immer unter einen reichlich gedeckten Tisch. Draußen lacht die Sonne geradezu unerhört freundlich auf meine Rosenpracht, und die Vögel zwitschern, als wollten sie sich allesamt lustig machen über den fleißigen Rechtsanwalt, der weiter nichts zu tun hat, als auf Kundschaft zu warten.«

      Lisa Wendler spürte die Ironie in seinen Worten, und sie tat ihr weh. Wenn er ihr auch stets ein lachendes Gesicht zeigte, sie wußte genau, wie es in ihm aussah. Mit Humor und Spott versuchte er, über die Enttäuschung hinwegzukommen, die er täglich erleben mußte, seit er sich hier als Rechtsanwalt niedergelassen hatte.

      »Viel zu abgelegen wohnen wir hier, Helmuth«, bemerkte sie traurig. »Du müßtest ein Büro in der Stadt haben. Wer soll sich wohl noch hierher verlaufen?«

      »Geduld muß man haben«, antwortete er ruhig. »Ich kann doch nicht verlangen, daß man mir, dem unbekannten Rechtsanwalt, das Haus einläuft.«

      »Aber der Anfang müßte gemacht werden«, beharrte sie. Dann besann sie sich, erhob sich und eilte zum Schreibtisch. »Übrigens Post ist für dich gekommen.«

      »Aha – der Anfang!« lachte er herzlich auf und sah der Mutter gespannt entgegen. Sie schwenkte einen Brief in der Hand und legte ihn fast feierlich vor seinem Teller nieder.

      Dr. Wendler warf einen Blick auf den Absender und murmelte:

      »Dr. Hartmut, Rechtsanwalt und Notar. Mit dem habe ich nichts zu schaffen.«

      Hastig öffnete er den Umschlag und vertiefte sich in den Inhalt des Schreibens.

      Lisa Wendler war mit einem kleinen Schreckenslaut wieder in ihren Sessel zurückgesunken. Ihre Lippen hatten jede Farbe verloren.

      »Dr. Hartmut? Was mag er von dir wollen?«

      Aus ihren Augen war alle Fröhlichkeit gewichen. Ihre Hände schlossen und öffneten sich erregt. Fast furchtsam waren ihre weitgeöffneten Augen auf das Gesicht des Sohnes gerichtet, jeden Zug beobachtete sie ängstlich, und es schien, als würde sie kleiner in ihrem Sessel, als ducke sie sich vor einer auf sie eindringenden Gefahr.

      »Mutter!« In fassungslosem Staunen kam es von seinen Lippen. »Na, das ist aber verrückt!«

      »Was ist verrückt?« fragte sie bang.

      »Da lies!«

      Zaghaft griff Lisa nach dem Schreiben. Es brannte ihr wie Feuer in ihren Händen. Mühsam entzifferte sie:

      Ich bitte Sie, mich in der Testaments-Angelegenheit Eugen Eckhardt am 16. August zwischen 10 und 11 Uhr zu besuchen…

      Lisas Augen suchten den Wandkalender. Heute schon? Mein Gott! Es gab kein Entrinnen mehr!

      Die Vergangenheit stand auf, streckte ihr die Fangarme entgegen.

      Hilflos sah sie zu dem Sohn auf. Er war ernst und nachdenklich.

      »Und du willst hingehen?«

      Unbefangen lachte Dr. Wendler auf.

      »Gewiß, Muttchen, das will ich«, sagte er und zwinkerte ihr fröhlich zu. »Eugen Eckhardt, der schwerreiche Industrielle, hat mir vielleicht gar einen Teil seines Vermögens vermacht«, scherzte er und war über die Wirkung seiner Worte überrascht.

      Leichenblässe bedeckte ihr sonst so rosiges, fast faltenloses Gesicht. Das Haupt mit dem reichen Blondhaar sank tief auf die Brust hinab.

      »Mutter!«

      Er wollte sie besorgt umschlingen, aber ihr schroffes »Nicht! Nicht!« hielt ihn augenblicklich zurück.

      »Wie merkwürdig du bist, Mutter«, sagte er betroffen. Er wurde nicht klug aus ihr. Wie konnte sich die allzeit so beherzte Frau wegen dieses Schreibens so aufregen?

      »Das ist unmöglich«, stieß sie leise hervor. »Eugen Eckhardt ist tot?«

      »Aber, Muttchen!« Dr. Wendler umfaßte die schmalen Schultern, drehte die Mutter zu sich herum und sah ihr in die weit geöffneten Augen.

      »Du tust ja geradeso, als kenntest du den Mann? Wie kann man nur so erschrecken? Das bin ich gar nicht von dir gewohnt.«

      Lisa Wendler atmete tief auf, etwas wie Erlösung lag in diesem tiefen Atemzug. Dann erhob sie sich und strebte auffallend ängstlich von ihm fort.

      »Ja, eben, Helmuth.« Mit nervösen, fahrigen Bewegungen strich sie an ihrem schlichten dunklen Seidenkleid hinab. »Wie kann man sich nur so aufregen? Dabei geht mich dieser Mann gar nichts an, gar nichts«, setzte sie seltsam hart hinzu. – »Ich muß in die Küche, erinnere ich mich eben, Frau Seidler muß ja Anweisungen erhalten.«

      Kopfschüttelnd sah Dr. Wendler der schlanken Erscheinung seiner Mutter nach.

      Was hatte sie nur?

      Er nahm das Schreiben Dr. Hartmuts nochmals zur Hand und las es noch einmal aufmerksam, Wort für Wort.

      »Merkwürdig«, murmelte er, und damit meinte er nicht nur das Schreiben, sondern auch das seltsame Verhalten der Mutter. Er spürte, es hing mit diesem Brief zusammen.

      Verheimlichte die Mutter ihm etwas? Wußte sie mehr über den kürzlich verstorbenen Industriellen, als er ahnte?

      *

      Rechtsanwalt Dr. Hartmut empfing Dr. Wendler mit sehr viel Wärme.

      »Bitte, nehmen Sie Platz.«

      Steif ließ sich Helmuth Wendler nieder. Er sah den alten Herrn mit dem wuchtigen Schädel heute zum ersten Mal. Gehört hatte er jedoch schon viel von ihm. Er war ja auch Rechtsbeistand der Eckhardt-Werke.

      Eine solche Firma müßte man zu vertreten haben, dann würde man mit einem Schlag bekannt, ging es ihm durch den Kopf.

      Indessen blätterte Dr. Hartmut in Papieren, die vor ihm auf dem riesigen Schreibtisch