Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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werden. Ich werde sie so spielen, daß die auf der Galerie glauben sollen, ich sei es wirklich geworden. Und wie ich die vergifteten Rosen küssen will!

      Meine Adrienne hat einen unerhörten Erfolg gehabt. Nur meine Rezitation aus der Phädra im dritten Akt wirkte nicht so stark, wie ich glaubte, daß sie wirken würde. Soll ich für solche Leidenschaft nicht mehr über die Töne verfügen können? Dagegen fühlte ich bei meinem Wahnsinn und Tod meine Meisterschaft. Hier fand ich für meine Empfindung einen Ausdruck, der mich erstaunte und zugleich erschreckte. Nachdem ich das Gift aus den verwelkten Rosen getrunken, verwirrten sich meine Gedanken, mein Kopf begann zu schmerzen, ich suchte nach den Worten meiner Rolle und besann mich nicht sofort darauf, ich ward von einer unsagbaren Angst ergriffen, mein Atem ging schwer. Ich meinte ersticken zu müssen.

      Im Publikum wurde man unruhig, dann wieder ganz lautlos. Ich spielte immer weiter und zwar von der Situation fortgerissen, immer natürlicher und lebenswahrer. Als ich allmählich starb, zuckte mein Körper, verzerrten sich meine Züge, mein letzter Seufzer ward zu einem entsetzlichen Aufschrei. Kaum hatte ich die Kraft, mich vom Stuhl zu erheben und vor dem Publikum zu erscheinen, das mich unzähligemal zu sehen verlangte. Veronika stürzte an meine Brust.

      »Du bist wirklich nicht gestorben, du lebst wirklich!« stammelte sie, am ganzen Leibe zitternd, vor Entsetzen halbtot.

      Der Direktor war in Verzückung. Rezensenten und Agenten umlagerten mich; ich konnte durch die Menge, die draußen auf mich wartete, kaum zu meinem Wagen gelangen. Nun bin ich sehr ermattet, sehr beglückt. Einen weiß ich, der mich heute heftig schelten würde, daß ich auf dem besten Wege sei, mich selbst zu zerstören. Guter, armer Mann, diesmal würde deine Schülerin nicht auf dich hören. Sie kann nichts dafür.

      Heute ist in allen Zeitungen meine Lady Macbeth besprochen. Ich finde, man ist ungerecht gegen mich. Mein »krasser Realismus«, den man mir vorwirft, ist eben Wahrheit. Die Deutschen können nun einmal keine Wahrheiten auf der Bühne vertragen. Sie nehmen den Laokoon zur Hand und bestimmen die Grenzen der Kunst mit einem Maßstab. Ein Zoll über ihre Linie hinaus heißt bei ihnen bereits Überschreitung aller Gesetze und Regeln der Kunst. Ich kann nicht zugeben, daß wir uns selbst in solche Fesseln schlagen sollen. Wo bleibt bei der Konvention, bei dem Typus – bei solchem Kanon, das freie künstlerische Schaffen, die Eigentümlichkeit, die Individualität des Künstlers?! Die Kunst muß aus dem Allgemeinen hervortreten wo sie es nur vermag. Jeder, der dazu die Kraft in sich fühlt, soll es tun. Ich ahme nicht nach, sondern ich schaffe. Zeigt mir einen Verstoß gegen die Wahrheit, beweist mir, daß ich die Natur karikiere und ich will euch recht geben so sehr und ganz, daß ich die erste bin, die mich nicht mehr eine Künstlerin nennt.

      Die Ästhetiker tadeln an meiner Lady Macbeth zum Beispiel auf das heftigste, daß ich meinen Mitspieler veranlaßt, in der Mordszene mit blutigem Dolch aus der Kammer des Königs zu stürzen. Aber wie hat dieser blutige Dolch gewirkt! Beredter als der Schauspieler es konnte, schilderte und illustrierte der blutgefärbte Stahl die furchtbare Szene. Erst jetzt glaubte man den König wirklich ermordet, man glaubte diesem Mord selbst beigewohnt zu haben: man sah eben das Blut, der blanke Dolch des Mörders schwächt alles, macht alles unwahrscheinlich und komödienhaft. Als Macbeth den Mord vollbracht und sofort entfloh, hat er gewiß nicht vorher seinen Dolch sorgfältig abgewischt. Der blutige Dolch ist also eine Wahrheit. Wo liegt hier mein Verbrechen?

      Meine Nachtwandlerszene nennen sie genial, aber auch hier finden sie Übertreibung. Ich sei unschön geworden. Unschön! Wie dieses eine Wort zum Verräter an ihnen wird! Als wenn die Wahrheit immer Schönheit sein könnte? Nun, so seid in Gottes Namen unwahr, aber nur um Himmels willen nicht unschön.

      Am höchsten stellen sie in der Bankettszene mein Vorbereiten des letzten Aktes. Das dürfen sie auch loben!

      Meine Adrienne analysieren sie, wie ein Arzt einen Leichnam seziert. Sie lassen mir alles mögliche gelten, nur nicht mein Bestes, nur nicht eben – meine Wahrheit. Was kann ich dafür, wenn eine schwächliche Dame über mein Sterben in Ohnmacht fiel? Ist der Künstler für die Nerven des Publikums verantwortlich?

      Heute abend spiele ich wieder und morgen abend wieder und so alle Tage. Sie sagen: auf solchem Wege würde ich erkranken. Ich werde krank, wenn ich nicht spielen kann.

      Von allen Seiten kommen Anerbieten zu glänzenden Engagements, doch gedenke ich auf keins einzugehen. Ich will vollkommen frei bleiben, bald hier, bald dort sein; vielleicht, daß ich mit einer eigenen Gesellschaft reise. Fernow freilich würde dazu den Kopf schütteln.

      Veronika hatte heute einen Brief von ihrem Bruder erhalten; seine Wunden heilen langsam. Fernow ist noch immer bei ihm. Beiden geht es gut. Ich wußte es ja: er ist stark – stärker als ich.

      Ich bin längst nicht mehr in H ..., sondern unterdessen schon in B... und F... gewesen und werde in einigen Tagen von hier nach W ... abreisen. Es ist, wie ich gesagt habe: wenn ich einmal einen Tag nicht spielen kann, bin ich krank, todkrank! Ich lebe nur auf der Bühne, sobald ich dieselbe verlassen, beginnt meine Scheinexistenz. Dann ist alles Lüge und Komödie, ein widerwärtiges Possenspiel.

      Mein Repertoir besteht aus folgenden Gestalten: Lady Macbeth, Adrienne, Sara Sampson, Gräfin Orsina, Medea. Hebbels Judith, Maria Magdalena usw. Von Schiller spiele ich nichts, will ich nichts spielen.

      In alle meine Gestalten nehme ich geistig den blutgetränkten Dolch aus Macbeth mit hinüber. Kritik, Publikum und ich, jedes von uns dreien bleibt bei seiner Ansicht. Wohin ich komme, werde ich in übertriebener Weise gefeiert und in übertriebener Weise angefeindet. Mich kümmert weder das eine noch das andere. Man spricht viel zu viel von mir.

      Seit Monaten schon ist Veronika meine Schülerin. Wie ich lehre, wie sie lernt! Doch das ist nicht ganz richtig ausgedrückt: ich versuche zu lehren, aber sie braucht nichts zu lernen. Es ist alles da, liegt alles in ihr verborgen und braucht nur heraufbeschworen zu werden. Ich bin nur der Zauberer, der mit der Wünschelrute anschlägt und den Schatz hebt. Welch ein Talent! Ich muß immer wieder von neuem staunen. Welche Mittel! Diese Gestalt, dieses Organ, diese Bewegungen!

      Das Mädchen kann von ihren Bergen fast unmittelbar als Tragödin auf die Bühne herabsteigen. Was an dieser mächtigen Natur noch zu sehr – eben Natur ist, laßt ihre Kraft nur um so größer erscheinen. Von einer bestimmten Lehrmethode kann bei dieser Anlage kaum die Rede sein. Ich gebe ihr die Gestalt, das heißt: ich nenne ihr den Namen derselben, schlage vielleicht auch ihren Grundton an; und sogleich hat sie sie erfaßt, und wie richtig, wie großartig! Bin ich einmal anderer Ansicht als sie, so hört sie aufmerksam zu, wobei sie gewöhnlich die Augen schließt; schüttelt, wenn ich geendet habe, vielleicht leise verneinend ihr schönes Haupt und bleibt meistens unbeirrt auf ihrem Weg. So beschränkt sich denn meine Lehrtätigkeit eigentlich nur auf das Technische: die Ausbildung ihres Organs. Und das ist bei dieser Klangfülle leichte Arbeit.

      Prosa spricht sie übrigens nicht besonders gut; ihr Reich ist der Vers: der Wohllaut. Daher ist denn auch Schiller ihr Gott, Lessing versteht sie nicht, Shakespeare überwältigt sie noch. Nicht gerade zu meiner Freude habe ich bemerkt, daß sie eine große Vorliebe für Racine und Corneille hat. Sie wird daher im Pathetischen größer sein, als ich ihr wünschen möchte. Überhaupt ist es das ideale Gebiet, das sie einmal unumschränkt beherrschen wird. So gehen denn unsere Wege weit auseinander, wenn sie auch dasselbe Ziel haben mögen: die Höhe der Kunst. Ich merke schon jetzt, wie sie mit meiner Auffassung nicht einverstanden ist, wie sie dadurch verwirrt, erschreckt, geängstigt wird – nicht um ihretwillen. In ihr ist alles klar, in sich ruht sie fest. Es bekümmert mich sehr; aber ich kann es nicht ändern. Ich bin eben anders wie sie.

      Ich muß viel über den Unterschied zwischen uns beiden nachdenken.

      Ich erziele meine künstlerischen Resultate weit mühsamer als sie: durch strenge Arbeit, hartes Studium und viel Grübeln – zu viel Grübeln! Ihr wird das Darstellen so leicht, wie dem Vogel sein Lied. Einmal in ihr Lebenselement eingetreten, könnte sie sich nicht auf lange Zeit daraus entfernen, wie zum Beispiel ich es gekonnt, allerdings unter welchen Kämpfen, welchen Qualen. Obgleich sie ihre größten Wirkungen durch Inspiration erzielt, bleibt sie dennoch immer ziemlich kühl und gelassen. Wo es mir ist, als ob mich Flammen verzehrten, scheint sie nur von Flammen beleuchtet. Wo ich mit Bewußtsein und künstlerischer