Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Voß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027223008
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noch die des Lebens durchzumachen, die ich erlitten habe. Der Preis des Künstlers wird ihr in den Schoß sinken, ohne daß sie darum eine Dornenkrone zu tragen braucht.

      Ich gönne ihn dir, liebe Schwester.

      In den Kritiken werde ich gefragt – es klingt fast wie Vorwurf oder Warnung – wohin ich bei meinem entfesselten Spiel dereinst zu gelangen dächte. Bis zu den Grenzen meiner Darstellungskraft, meine Herren. Was wißt ihr davon, weshalb ich so, gerade so spiele. Ich will mir weder Beschränkung auferlegen lassen, noch selbst auferlegen. Ich will von meiner Seele alle Bande abreißen und sie dahinstürmen lassen. Welch ein Gefühl, wenn ich mich in diese leidenschaftlichen Gestalten einwühle bis in die tiefste Faser ihrer Herzen hinein! Welche Wollust für mich, wenn ich für sie wahnsinnig werde, oder statt ihrer sterbe! Ich will es in diesen Dingen zu einer Meisterschaft bringen, wie sie bis jetzt noch nicht dagewesen.

      Veronika beschwört mich, mich zu schonen. – Das tun sie alle und alle quälen sie mich damit. Ich will und kann mich nicht schonen. Mich hat das Spielen immer angegriffen; wenn ich also jetzt manchmal matt und erschöpft bin, wer braucht sich darüber zu wundern? Sie sollen mich überhaupt zufrieden lassen.

      Veronika freilich, wenn sie fünf Stunden mit ganzer Stimme memoriert hat, fühlt sich so kräftig und frisch, als käme sie aus einem Bade. Dafür besitzt sie auch die physische Stärke, so daß sie ebensogut Gemsjägerin wie Schauspielerin sein könnte. Sie scheint sich immer in der Luft der Alpen zu befinden. Wie blaß und zart dagegen bin ich. Ja, wenn ich ihre Mittel hätte.

      Ich schäme mich, es niederzuschreiben: ich bin sozusagen in Mode gekommen. Die Stadt, in der ich nicht auftrete, hat keine volle Theatersaison. Was man alles mit mir treibt! Trotzdem ich nur bei erhöhten Preisen spiele, ist das Haus doch stets ausverkauft. Jede Aufführung wird für mich zur Festvorstellung. Man kommt, nicht um das Stück zu hören, sondern um mich spielen zu sehen. Ihr göttlichen Geister, die ihr in euren Werken durch mich so gekränkt, so beleidigt, so gelästert werdet, verzeiht mir!

      Veronika wohnt jetzt selten einer meiner Vorstellungen bei. Sie ist durch und durch ein eigenartiges Geschöpf. Ich lasse sie gewähren.

      Man schreibt jetzt Stücke für mich – gerade keine Meisterwerke. Dennoch spiele ich sie, wenn ich nur darin sterben kann. Rolla, Rolla, besinne dich! Komm zu dir, denke an – –

      Heute, nach der Vorstellung, haben sie mir die Pferde vom Wagen gespannt. Es hat mich doch eigentümlich erregt ober vielmehr aufgeregt. Die Menge umdrängte mich jubelnd. Veronika fand ich traurig und niedergeschlagen. Nächstens wird sie zum erstenmal auftreten.

      Fernow soll in der Nähe sein.

      Dreiundzwanzigstes Kapitel

       »Singt: Weide, Weide, Weide«

       Inhaltsverzeichnis

      Fernows Nähe muß ein falsches Gerücht gewesen sein; ich habe keinen Augenblick daran geglaubt. Bin ich denn krank? Stehe ich denn in Gefahr? Nein, meine Zeit ist noch nicht da.

      Ich habe mein Projekt durchgeführt und eine eigene Gesellschaft engagiert und fühle mich nun weit freier, weit leichter. Natürlich sind die Kräfte nur mittelmäßig, aber doch gut eingeübt. Dem Publikum ist es ja ziemlich gleich: es will mich haben und nichts als mich. Ich gebe dem Publikum also, was es will. Die Presse ist natürlich wieder gegen mich; ich lese keine Zeitungen mehr.

      Veronika hat als Maria Stuart debütiert. Der Erfolg war nicht so durchschlagend, als ich erwartet hatte. Ich spielte die Elisabeth. Mir kam Veronika sehr groß vor, ich begreife das Publikum nicht. Doch zeigt mir dieser Vorfall wieder einmal deutlich, wie recht ich habe: sie verstehen eben nicht viel von wahrer Kunst.

      Veronika benahm sich sehr königlich. Sie hatte allerdings die Rezensenten für sich. Man prophezeite ihr einstimmig große Dinge, wenn sie sich hüte, in meine Fußtapfen zu treten. Die Herren sagten mir damit nichts Neues. Veronika hat als Schauspielerin den Namen ihrer Mutter angenommen.

      Dadurch, daß sie bei ihrer Jugend schon so ganz und gar Tragödin ist, kann ich in meiner Gesellschaft kaum Rollen für sie finden. Das ist sehr schlimm. In den meisten Stücken, in denen ich auftrete, weiß ich sie nicht zu beschäftigen. Rollen, wie Emilia Galotti und die Miß sind ihr förmlich zuwider. Es wäre auch ganz gegen ihre Natur, ebenso wie es nicht zu ihrer Gestalt, nicht zu ihrem Organ, nicht zu ihren Bewegungen paßt. Ich lasse also ihretwegen Schiller spielen. Um zu glauben, was sie aus der Luise macht, muß man es sehen. Die abscheuliche Lady wird dagegen immer kläglicher. Trotzdem gebe ich sie; ja und wirke sogar damit. Ich spiele sie aber auch mit einer Leidenschaft, mit einer Realität – –

      Ich fürchte, Veronika und ich werden uns trennen müssen; sie muß an eine große Bühne, in ein reineres Element. Sie könnte doch bei mir Schaden nehmen und wie wollte ich das verantworten.

      Ich schrieb bereits an die Hofbühne von ... und erwartete täglich die Antwort. Wie würde ich mich freuen, wenn sich ihr Talent voll und ganz entfalten könnte. Edles, stolzes Mädchen!

      Kürzlich erhielt sie Nachricht von ihrem Bruder, die sie sehr froh machte. Pfarrer Andreas fängt an, in seinem Vaterlande eine große politische Rolle zu spielen. Er will nächstens kommen, um seine Schwester auf der Bühne zu sehen. Der wird staunen! Ich will für diese Zeit, so gut es geht, die Jungfrau einstudieren lassen; denn als Jungfrau muß er sie sehen. Veronika ist glücklich.

      Ich fürchte mich vor diesem Besuch. Er wird doch hoffentlich allein kommen?

      Bei Fernow ist Luise.

      Die Antwort der Hofbühne ist da; Veronika hat Gastspiel auf Engagement erhalten, gerade wie einst ich, und doch wie so ganz anders als ich. Doch daran denkt man nicht mehr.

      Veronika nahm die Nachricht großartig auf. Auch über unsere baldige Trennung scheint sie sehr gelassen zu denken. Dennoch weiß ich, daß sie mich liebt wie niemand auf der Welt, selbst ihren Bruder nicht ausgenommen.

      Zwischen uns ist etwas anderes getreten, eigentlich ein reines Nichts – so wenigstens kommt es mir vor. Ich kann es nicht einmal nennen. Sie wird über Nacht berühmt werden, aber niemals glücklich sein. Doch das will sie auch nicht.

      Seltsam! Wenn ich an unsern Abschied denke, bleibt es auch in mir ziemlich ruhig. Es ist mir ganz unheimlich. Ich werde doch dem Leben nicht schon so abgestorben sein, daß ich nichts mehr betrauern oder beweinen kann? Ich bin doch noch und scheine nicht nur zu sein?!

      Welche Leere in mir, welche Öde!

      Wir arbeiteten fleißig an der Jungfrau, Veronika wird herrlich sein. Über ihren dritten Akt war ich heute entzückt und hingerissen. Darin leistete sie das Höchste. Auch in der Szene mit dem Walliser war sie überwältigend, namentlich was das Spiel anbetrifft. Sie ist Zoll für Zoll eine Heldin aus dem Volke. Ihre letzte Szene dagegen ist schlecht. Sie spielt Johannens Tod so unwahr, wie er gedichtet worden.

      Und wie schön sie ist!

      Über mich nur so viel: Auch ich habe neulich vor einem Parterre von Fürsten gespielt. Es war mir sehr gleichgültig und zwar so sehr, daß ich es mir merken ließ. Dennoch empfing ich alle möglichen Ehrenbezeugungen. Wie lästig!

      In der nächsten Woche erwarteten wir den Pfarrer. Ich werde mich darauf vorbereiten; doch das wird kaum nötig sein. Ich brauche mich im Leben nur noch vor einem zu hüten, was mir gefährlich werden kann: das ist das Denken. Wen der Himmel liebt, den bewahre er vor Gedanken.

      Da sollte bei Mensch doch lieber gleich ohne Gedanken geboren werden.

      Der Pfarrer ist seit einigen Tagen da und wirklich, wirklich – es hat nichts in mir aufgewühlt.

      Ich bin immer so schwach. Das empfinde ich auch beim Spiel; für den letzten Akt reicht mein Organ nicht mehr aus. Mit halbem Organ und gar keinen Kräften spiele ich das Stück zu Ende. Aber wie spiele ich es! Ihr solltet sehen, wie sie an meinem Munde hängen, wie sie zittern und schaudern. Und dann der Jubel! Gott mein Gott, dieses Leben ist doch schön!

      Die