»Noch viele Verwundete warten auf unsere Hilfe,« begann er, »wir dürfen nicht rasten; unter den Trümmermassen liegt noch mancher Brave verborgen, der des Ausgrabens mit Verzweiflung harrt. Wir vertrauen deinem Schutz einstweilen diese drei Männer an, bis wir hierher zurückkehren. Überwache die Unglücklichen, es sind Aufseher, alle drei dem Tode nahe!«
Man setzte die Sänften im Schatten der Palmen zu Boden. Isaak, des Gehorsams gewöhnt, nickte stumm vor sich hin; die Ägypter kehrten zur Pyramide zurück, bald machte sie gelb aufwirbelnder Sand unsichtbar. Gleichgültig schweiften die Augen des Ebräers über die drei Sänften – es waren ja ägyptische Aufseher, die dort mit dem Tode rangen, es waren ja seine Peiniger, seine Feinde – sollte er Mitleid mit ihnen fühlen? Sie waren ja nun kraftlos, die Geißel konnten sie nicht mehr schwingen, keine Befehle mehr geben! Alle lagen sie regungslos, wie Leichen unter dem grünen Baldachin der Palmen, Blutflecken auf den Gewändern, die Mienen ausdruckslos nach den Blättern gerichtet, die Augen glanzlos. Zuweilen huschte ein schmerzhafter Zug über eines der Gesichter. Isaak sah, wie sich eine große Fliege, deren Stich äußerst schmerzhaft, dem einen der Aufseher auf die Stirne setzte, um das Blut seiner Wunde, welches unter der Binde hervorquoll, zu schlürfen; der Hilflose versuchte das Tier zu verscheuchen; sein Stich verursachte ihm, wie es schien, unnennbare Qual. Der Jude aber sah teilnahmlos zu, wie sich der Elende abmühte. Dem anderen war der Verband von dem Arme gesunken, sein tropfendes Blut rötete das Gras; der Ebräer tat, als bemerke er nichts davon. Nun arbeitete sich der dritte Verwundete unter einer Last von Binden und Kissen hervor, schlug die geröteten Augen auf und stammelte ermattet: »Wasser!«
Isaak sah gleichmütig zu ihm hinüber; da verwandelten sich seine bis dahin starren Züge. In seinem Auge leuchtete eine dämonische Lust, er lachte dem keuchend sich Abmühenden höhnisch zu.
»Wasser,« lallte dieser noch einmal.
Isaak sprang auf.
»Du bist's,« rief er hinüber. »Du! Set! der meinen Vater schlug! Gott gab dich in meine Hände! O wie gütig ist Gott! Sieh her, elender Ägypter, hier liegt der, den du schlugst – erkennst du uns?«
»Isaak,« hauchte Set, »reiche mir Wasser, ich werde dir's vergelten. Mein Kopf brennt, mein Eingeweide steht in Flammen, hab' Erbarmen.«
»Erbarmen? Hattest du Erbarmen mit mir und meinem Vater?«
»Ich befehle es dir, reiche mir Wasser!«
»Befiehl so lange du willst und sieh zu, wer dir gehorcht.«
Isaak wandte sich ab. Einige Minuten verstrichen lautlos. Endlich streckte der Aufseher noch einmal seine Arme aus.
»Verzeihe mir, Isaak,« wimmerte er, »es ist wahr, ich bin euch ein strenger Herr gewesen, doch es soll besser werden. Ich verspreche es dir. Ich bin nun machtlos in deine Hände gegeben, wirst du deine Gewalt mißbrauchen? Bedenke, daß man dich zur Rechenschaft ziehen wird, tust du mir Übles.«
»Was kümmert's mich,« murmelte der Ebräer, »kann ich nur meinen Rachedurst für diesen Augenblick befriedigen, später mögen sie mit mir anfangen, was sie wollen. Ich reiche dir kein Wasser. Leide Qual, wie wir sie litten.«
Der Ägypter sank stöhnend zurück. Isaak war im Begriff, den Körper seines Vaters von neuem auf die Schultern zu laden, als ihn der Anblick des verschmachtenden Set zum Mitleid zu bewegen schien. Er schritt zum Brunnen, sammelte mühsam die letzten Wasserreste des zerbrochenen Gefäßes in einer Scherbe und hielt sie dem Ägypter vor die brennenden Lippen. Dieser erhob sich.
»Beim großen Osiris,« sagte er, »ich will dir's lohnen, wenn ich genese! Du handelst schön an mir, Jude.«
Eben beugte er seine lechzenden Lippen nach der feuchten Scherbe, als der Ebräer ein heiseres Gelächter hören ließ und, statt ihn trinken zu lassen, die Scherbe in den Sand schleuderte. Darauf überließ er den Sterbenden seinem Schicksal und wendete sich mit seiner lebendigen Last auf dem Rücken Memphis zu. Bald hatte er das Tor erreicht. Da lag es vor ihm, das gewaltige Memphis! Wie ein riesiges Gebirge von Türmen, Dächern und Hallen wölbte es sich in den Himmel, der sich erschrocken in sich selbst zu flüchten schien, befürchtend, dieser wogende Häuser-Ozean dränge bis in seine sonnigen Geheimnisse hinauf und belästige die ewigen Götter. Das war sie, die Stadt der Pyramiden, die Stadt des Apis mit ihren Göttern und Tempeln, ihrem Hafen, ihren stolzen Straßen! Er aber, der arme Jude, schlich sich furchtsam an den Posten vorbei, dem engen Schmutzviertel seines verachteten Stammes zu.
Zweites Kapitel
Im nördlichen Teil von Memphis war den Ebräern gestattet, zu existieren. Hier hausten sie ängstlich, wie die Mäuse in ihren Löchern, flohen das Licht und dienten ihrem Gott. Ein Jude, der sich in die anderen Stadtteile wagte, war fast immer schlimmen Mißhandlungen ausgesetzt, so daß sich die armen Geknechteten nur in ihren engen, schmutzigen Straßen behaglich fühlten. Manchen von ihnen zwang freilich ihr Gewerbe, auch die übrige Stadt aufzusuchen; dann schwebten die zu Hause zurückgebliebenen Angehörigen so lange in Angst, bis der Weggegangene wieder innerhalb der Grenzen seines Bezirkes gesehen wurde. Draußen im ägyptischen Stadtteil wogte, sobald die Abendkühle es erlaubte, eine dichte, bunte Menschenmenge. Sobald die Sonne sich zum Scheiden rüstete, sobald ihre letzten Strahlen die Gipfel der Pyramiden mit Purpur übergossen, ward es lebendig auf den Straßen von Memphis. Da ließen sie sich aus ihren Portalen tragen in prächtig bemalten Sänften, getragen von glänzend-schwarzen Sklaven, die vornehmen Beamten, die reichen Frauen, vielleicht um ein Bad im Nil zu nehmen. Da bot der Bäcker sein Brett, belegt mit kleinen Kühen oder Krokodilen aus Backwerk, schreiend an; da konnte man die zierlichsten Töpferwaren, die durchsichtigsten Glasschalen bewundern. Die Krieger schritten klirrend auf und nieder, die Priester ließen ihre Instrumente rasseln, wenn sie in den Tempel zogen oder eine von Klageweibern umheulte, grellfarbige Mumie zur ewigen Ruhe trugen. Da kehrten die Gespanne der Ackerbauer, beladen mit riesigen Kornähren, vom Felde nach Hause; die kleinen rotbraunen Kinder wälzten sich im rauschenden Gold des Getreides und der schlanke, nackte Jüngling lenkte, träge an ihren glatten Leib hingelehnt, die breiten Stiere. Da glänzten Fackeln auf den versteckteren Plätzen; ihr unheimlich düsteres Licht rötete den geschmeidigen Leib der Tänzerin, die, von Harfenspielerinnen und entzückten Zuschauern umgeben, Liebe in die Herzen der jungen Männer wirft. Einer solchen Gruppe sah ein kaum zwanzigjähriger Jüngling zu. Träumerisch, selbstvergessen stützte er sich an den Eckpfeiler eines Palastes, sein großer Blick hing teilnahmlos an der nackten Schönen, deren Zehen im Purpurschimmer der Fackeln über einen kostbaren Teppich zitterten. Er erkannte an ihrer helleren Hautfarbe sofort die Jüdin. Sie warf ihm, der ihr ohne Zweifel von allen ihren Zuschauern am meisten wohlgefiel, zuweilen einen brennenden Blick zu, aber der junge Mann beachtete solches nicht. Als das Rauschen der Harfen sich nun lauter erhob, die Bewegungen der Zügellosen heftiger wurden, so daß ihre großen Ohrringe klirrend mitzutanzen begannen, nährte sie sich ihm durch einen kühnen Seitensprung und streifte dabei absichtlich mit ihrem schönen Arm den seinen. Der Jüngling, durch die heiße Berührung aufgeschreckt, sah ihr erstaunt in die lächelnden Züge, in das von Goldflittern überhangene Auge.
»Rebekka heiße ich,« flüsterte sie ihm zu, er aber wandte ihr verachtungsvoll den Rücken. Sie durchbrach den Kreis ihrer Zuschauer und rief ihm nach: »Fliehst du mich, weil ich eine Jüdin bin? Oh! ihr Ägypter haßt zwar die ebräischen Männer, aber ihre Frauen liebt ihr, wenn sie schön sind.«
Der junge Mann gab den lachenden Zuschauern durch eine unwillige Bewegung der Hand zu verstehen, daß er das Weib nicht kenne.
»Ich kenne dich, glaub' mir!« lachte sie, ihre blendenden Zähne blinken lassend, »du heißest Menes und bist der Sohn der reichen Aso, der Witwe des verstorbenen Oberhofmeisters unseres zu den Göttern