Gotthold stand am letzten Fenster, schaute in das Blaue hinaus und bemühete sich, durch zusammengesuchte Entschuldigungen auf die empfindliche Wunde ein Heilpflaster zu legen, die ihm die vom Vater eben erhaltenen Vorwürfe über sein Benehmen geschlagen hatten.
Du wirst mit Deiner nutzlosen Bescheidenheit in deinem Leben zu nichts kommen, hatte dieser gesagt: immer stellst Du Dich unten an die Thür; immer dünkst Du Dich der Letzte zu seyn; immer lässest Du Dir das Beßte wegfischen; immer nimmst Du vorlieb, was Dir Andere übrig lassen; so hast Du es von Jugend auf gemacht, und darum wirst Du ewig unten bleiben und ewig übersehen werden; denn wo der Mensch sich hinstellt, da steht er. Die Gräfinn Waiblingen, was muß sie von Dir denken! Sie ist vielleicht die Einflußreichste im ganzen Lande! wußtest Du Dich ihr zu empfehlen, Dich ihr angenehm zu machen, die erste Ehrenstelle, das glänzendste Hofamt, der ausgezeichnetste Wirkungkreis, vielleicht ein noch höheres Besitzthum konnte Dir werden. Sie hat von Dir gehört; sie weiß von Deinen Kenntnissen, von Deinem moralischen Werthe; sie weiß, daß Du von deinen Reisen zurückgekehrt bist, und dem glücklichen Zufalle, oder was mir fast wahrscheinlich ist, ihrem heimlichen Wunsch, den Gepriesenen persönlich kennen zu lernen, haben wir die unvermuthete Freude zu danken, sie heute hier zu sehen; und wie nimmst Du Dich nun! Statt ihr etwas Verbindliches über das Glück zu sagen, womit unser Haus heute durch ihre Gegenwart beehrt werde, was jedem nur irgend gebildeten Manne so nahe lag, machst Du, als ich Dich ihr vorstelle, eine Verbeugung, wie sie unsers Schulmeisters Eingeborener nicht ungeschickter zu Stande bringen kann, murmelst, aus lauter kleinbürgerlicher Verlegenheit, ein paar unverständliche Worte in den Bart, und starrst sie mit so unverwandten Augen an, daß sie die ihrigen niederschlagen muß und über und über roth wird. Du warst, als Sohn vom Hause, dem es zukam, die Honneurs desselben zu machen, ihr, Dir und mir schuldig, sie zum Tanze aufzufordern. Zehn Andere, die klüger sind und mehr Lebenstakt haben als Du, drängen sich herzu; Du, wie immer, bleibst hinten; ich muß Dich endlich holen; ich muß, weil Du mit Deiner ärgerlichen Blödigkeit kein Wort über die Lippen bringen kannst, für Dich sprechen; und als sie Dir in den verbindlichsten Ausdrücken ihr Bedauern zu erkennen gibt, deinen Wunsch nicht gewähren zu können, machst Du, statt ihr, wie sie das von einem jungen Manne deiner Erziehung wohl erwarten konnte, auf eine schmeichelnde Art deinen Schmerz über die Einbuße des gehofften Glückes zu betheuern, einen nichtssagenden Bückling, und ziehst schweigend von dannen. Was hilft Dir all Dein Wissen, deine Bildung und dein innerer Werth, wenn Du Dich nicht geltend zu machen verstehst! – Einen Freudentag wollte ich Dir machen, und Du verbitterst mir ihn durch deine Manier, die mich für deine ganze Lebenszukunft in gerechte Sorge setzt; der Junge meines Kammerdieners würde sich gewandter zu nehmen wissen, und dessen Erziehung kostet seinen Vater nicht den hundertsten Theil von dem, was ich auf Dich gewendet.
Ganz Unrecht hatte, meinte Gotthold bei sich im Stillen, der Vater nicht. Sollte er das Gefühl, das von der frühesten Jugend an seine Handlungen leitete, Blödigkeit, Bescheidenheit, Genügsamkeit, oder Mangel an Egoismus nennen, aber er konnte sich darum nicht hassen. So hast Du es von Jugend auf gemacht, hatte der Vater gesagt, und er mußte in der Erinnerung an die Vergangenheit lächeln, denn was der Vater darüber erwähnt, war buchstäblich wahr; so entsann er sich z. B., daß, wenn er mit seinen Spielkameraden Kirschen gegessen, er entweder die schlechtesten oder gar keine bekommen, weil die andern immer besser zugelangt, und entweder die bessern herausgelesen oder alle aufgegessen hatten; indessen er konnte sich darum nicht gram seyn. Hatten doch die Kirschen seinen kleinen Freunden damals geschmeckt, und lebte er doch auch noch. Später, als er in das gesellschaftliche Leben der größern Welt getreten – er konnte nicht läugnen, daß er sich da überall mehr in sich zurückgezogen hatte, als eigentlich nöthig gewesen wäre; aber das Vordrängen, was er hie und da bei andern jungen Leuten seines Alters bemerkt hatte, war ihm immer in den Tod zuwider gewesen; sie hatten, das konnte er nicht in Abrede stellen, wie die Dränger überall, mehr Glück gemacht als er; sie waren mehr bemerkt worden als er; sie hatten, wenigstens im Anfange, mehr gefallen als er; aber wer ihn mit der Zeit näher kennen gelernt hatte, war ihm ja auch gut geworden, und hatte ihn immer lieber gewonnen; wozu, meinte er also, sollte er sein Glück erjagen, erstürmen; was ihm werden sollte, war ihm bisher ja doch immer geworden.
Heute, – des Vaters bitterer Tadel, hatte ihn tief verwundet, am meisten die Bemerkung, daß Aurora die gute Meinung, die sie von ihm vielleicht vorgefaßt, durch sein Benehmen verloren haben könne; doch, bei näherer Bekanntschaft, dachte er, wird sich das wohl wieder in das Geleis bringen lassen. Hofämter, Ehrenstellen, – die mochte er nicht – der ausgezeichneteste Wirkungkreis – er kannte keinen ausgezeichnetern, als den ihm das Schicksal zugesichert hatte, das Glück, auf seinen dereinstigen Gütern Gutes zu schaffen – vielleicht ein noch höheres Besitzthum – vielleicht ein noch höheres Besitzthum, wiederholte er, und stellte sich gegen sich selbst, als wolle er sinnen, was damit der Vater habe sagen wollen, und lächelte über dessen Eitelkeit, sich einzubilden, daß sein Gotthold der Seligkeit werth seyn könne, dieses reizende, ihn an Einsichten, Verstand, Bildung und Lebensweisheit weit überwiegende Götterkind einmal als Schwiegertochter ihm zuzuführen.
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