Hundert andere Mädchen hätten in den scherzenden Ton jetzt mit eingestimmt und die Sache auf sich beruhen lassen. Aurora ging ihren Gang fester; sie freuete sich in ihrer edeln Seele des feinen Gefühls für Recht und Unrecht, das in der Brust des Prinzen lebte; sie hatte gegen den bangen Glauben der fürstlichen Mutter und Aller, denen das Wohl des Landes am Herzen lag, die innige Ueberzeugung, daß der Prinz den Folgen seiner verschrobenen Erziehung entgegen zu arbeiten noch Zeit und Kraft habe, nur fühlte sie vor Allem die dringende Nothwendigkeit, ihn von den Umgebungen loszumachen, die auf die Schwächen seines Charakters vom gefährlichsten Einfluß seyn konnten.
Sie machte ihm darum mit sehr feiner Wendung bemerklich, wie leicht man doch, wenn man sich schuldig wisse, geneigt sey, seine Schuld auf Andere mit zu vertheilen, und sagte, als er sie nicht zu verstehen schien: Ew. Durchlaucht halfen sich vorhin mit der Ausrede: wir waren aber einmal in der Lust; hier darf sich Ihnen Niemand gleich stellen, und geschieht es, so ist es ein Mißverhältniß, Ihrer unwürdig.
Die fast zu starke Aeusserung rollte gewitterähnlich über den Prinzen weg; so hatte noch Niemand mit ihm gesprochen. Er verstummte vor der Gewalt des freimüthigen Ernstes, mit dem die gräfliche Jungfrau diese Worte gesprochen, und vor dem dunkeln Flammenblitz, der dabei aus dem sonnenklaren Auge des schönen Mädchens auf ihn schoß.
Sie haben wieder Recht, sagte er nach einer kleinen Pause, in der er sich mit dem, ihm vom Ober- Hof- und Ceremonienmeister eingeimpften Selbstdünkel gefragt zu haben schien, ob er sich ein solch kühnes Wort von der Tochter eines seiner Vasallen gefallen lassen dürfe, etwas verstimmt: und Sie sollen morgen sehen, fuhr er freundlicher fort: daß ich Sie verstanden habe und Ihre Ansicht ehre.
Am folgenden Vormittage schon fuhren die beiden Kammerjunker mit trübsinnigem Gesichte in der ganzen Residenz umher, um bei ihren Bekannten Abschiedkarten abzugeben; sie waren in die entlegensten Grenzgarnisonen als Lieutenants versetzt.
In diesem kleinen Ereigniß lag der Keim unzähliger Folgen. Die Fürstinn Mutter, die jahrelang vergeblich daran gearbeitet hatte, die beiden von ihr verhaßten jungen Leute aus der Nähe ihres Sohnes zu entfernen, traute ihrem Ohre kaum, als sie deren schleunige Abreise vernahm. Der eine dieser Wüstlinge war der Sohn des Gesandten an einem auswärtigen Hofe, der andere der Neffe des Oberstallmeisters; Beide waren als Gespielen mit dem Prinzen aufgewachsen, und darum von ihm unzertrennlich. Beider Familien rechneten, wenn der Prinz einmal zur Regierung kommen werde, auf den Kanal, den sie durch die jungen Leute immer offen zu erhalten suchen wollten, und darum hatten sie den wiederholten Bemühungen der fürstlichen Mutter immer entgegen zu arbeiten gewußt.
Sie erkundigte sich jetzt nach der nähern Bewandniß dieses überraschenden Vorfalls, und erfuhr durch ihre Vertrauten, daß der Prinz gestern, nachdem er von dem Feste des Finanz-Ministers zurückgekommen, bei dem Kriegs-Minister und dem Ober-Kammerherrn lange Konferenzen gehabt, und bei ersterem die Anstellung der beiden Verwiesenen mit einer an ihm früher nie bemerkten Festigkeit bewirkt habe; Andere hatten ihn vorher beim Finanz-Minister mit der Gräfinn Waiblingen nach der Tafel im Garten, in einer entlegenen Seiten-Allee auf- und abgehen gesehen, und Beide waren in sehr ernstem lebhaften Gespräch verwickelt gewesen; der Prinz hatte, wie er sich bei Auroren verabschiedet, etwas mißgestimmt ausgesehen.
Die Waiblingen hatte, nach dem frühern Bericht einer Hof-Ohrenbläserin, bei der Maikäfergeschichte mit der alten Hofdame über den Prinzen selbst sich jeden Urtheils enthalten, über das unverständige Betragen der beiden Kammerjunker aber sehr laut gesprochen, und über das Kapitel, daß böse Beispiele gute Sitten verderben, und, daß für Hof und Land die möglichstbaldige Ausrottung solches Unkrautes aus dem Waizenfelde der Hoffnung auf allgemeine Wohlfahrt höchst wünschenswerth scheine, sich recht erbaulich ausgelassen. Der Prinz hatte vom ersten Augenblicke an, da er Auroren gesehen, eine entschiedene Vorliebe für sie geäußert.
Da hatte die Mutter die Schlüssel zu dem Kammerjunker-Exil mit einemmale in der Hand. Hatte das Mädchen über den Prinzen eine solche wirksame Gewalt, so stand durch dasselbe noch mehr zu bewirken. Die wackere Frau sah und wußte Manches, was nicht hätte seyn sollen, was sie aber nicht ändern konnte, einmal, weil, während ihr Gemahl, seit Jahren auf das Krankenlager gebannt, sich der Regierunggeschäfte im Ganzen entzog, das Staats-Ruder in den Händen von einigen Männern lag, die wohl wußten, daß ihre Herrlichkeit nach des regierenden Herrn bald zu befürchtendem Tode nicht lange mehr dauern werde, und daher die kurze Frist mehr zu ihrem, als zum allgemeinen Nutzen verwenden zu müssen glaubten, und dann, weil der Prinz, in dem von den feinen Rechenmeistern absichtlich alle, früher zuweilen wohl an ihm bemerkte Liebe zu ernster Beschäftigung, durch Vergnügungen, Jagd und ähnliche nutzlose Zerstreuungen ertödtet worden war, jedem Versuche, ihn zur Besorgung dieser und jener, auf das öffentliche Landeswohl Bezug habenden Angelegenheiten zu vermögen, unter dem Vorgehen sich entwand, daß er in das Joch der Regierung zeitig genug werde eingespannt werden, und daher die schönen Jahre seiner Jugend lieber frei und ungestört genießen wolle.
Denselben Abend noch ließ die Fürstinn Auroren zu sich entbieten, und machte ihr den schmeichelhaften Antrag, sie zu ihrer Ehrendame ernennen zu wollen, um, wie sie sich ausdrückte, ein so geist- und gemüthreiches Mädchen immer in ihrer Nähe zu haben. Aurora, der die Hofluft nie wohlthat, lehnte auf die zarteste Weise das Anerbieten unter dem Vorwande ab, daß nach dem vor kurzem erfolgten Tode ihrer Mutter die Kindespflicht ihr nicht erlaube, den tiefgebeugten Vater jetzt allein zu lassen. Die Fürstinn, die um dieser Kindlichkeit willen Auroren noch lieber gewann, die es aber nicht über sich bringen konnte, ihren einmal gefaßten Plan aufzugeben, ließ sich mit der ihr eigenen Huld und Herzlichkeit herab, Auroren für die Annahme ihres Vorschlags durch freundliches Zureden geneigter zu machen, und warf endlich, da sie sah, daß auch dieß erfolglos blieb, die Aeusserung hin, daß Aurora nur dem Titel nach Ehrendame seyn solle; Deine eigentliche Stellung aber, setzte sie halb im Scherz hinzu: ist auf etwas Höheres berechnet; Du sollst, sie zögerte etwas, als getraue sie sich kaum, die ihr fast selbst seltsam vorkommende Idee in Worte zu übersetzen – Du sollst die Ober-Hofmeisterinn meines Sohnes seyn. Viktor’s frühere Erziehung, fuhr sie ernster werdend fort: ist vernachlässigt worden. Alle meine deßhalb bei meinem Gemahl zur Sprache gebrachten Vorstellungen blieben unbeachtet. Es mag vielleicht die schwerste Aufgabe seyn, einen Prinzen, den das Schicksal zum Thronerben bestimmt hat, zu erziehen, denn er soll kein Mensch, er soll ein Engel seyn, aber mehr als hier, hätte wohl geschehen können. Viktor’s Herz und Kopf sind gesund; er hätte den Vorzüglichern seiner Zeit sich vielleicht zur Seite stellen können, wenn auf die Bildung seines klaren Verstandes, auf die Richtung seines unverdorbenen Gemüthes strengere Sorgfalt verwendet worden wäre. Die Schule der Frauen, behauptet man ja allgemein, soll dem Jünglinge ersetzen, was bei ihm früher versäumt worden; sie soll das Herz des Mannes verfeinern, Lebenstact und Haltung berichtigen, und ihm das Gefühl einhauchen, ohne das der Mensch jedes Standes und Verhältnisses ewig und überall anstößt, und sich und Andere oft schmerzlich verwundet, das Gefühl des Schicklichen. Meine liebe Aurora, Du lieferst einen neuen Beweis, daß das, was die Beobachter des menschlichen Treibens von dem wirksamen Zauber der Frauen-Schule berichten, seinen Grund habe. Viktor’s höchstes Ziel ist deine Zufriedenheit mit ihm; Du bist seine Heilige, sein Idol. Deine Wünsche sind sein Gesetz. Ein Wink von Dir reicht hin, um sich und seinen Gewohnheiten Opfer zu bringen, die ich, und mancher verständige, wohl meinende Mann von ihm vergeblich verlangt, vergeblich erbeten haben. Sey, ohne daß er es weiß, seine Führerinn; werde sein Schutzgeist. Bleibe in meiner Nähe, daß er Dich täglich sehe, täglich Dich höre, und daß Du täglich ihm mit deiner Besonnenheit, mit deinem engelreinen Herzen zur Seite stehest – die Mutter bittet, das Land fordert, die Fürstinn befiehlt, daß Du Dich diesem, das Glück unsers Hauses, und das Gemeinwohl Deines Vaterlandes bezweckenden Vorschlage fügest, dessen Eröffnung nur die bange Sorge für Viktor’s Zukunft dem gepreßten Mutterherzen abdringen konnte.
Aurora sah weiter als die Fürstinn. Wenn sie den gebotenen Platz annahm, so trat sie in die