Herodes war also in der Tat durch die Wachen bewacht, welche bei jedem Schritte, den er in den Kulissen machte, ihren Platz verließen und ihm mit eben so viel Regelmäßigkeit folgten, als wir seitdem in dem vortrefflichen Drama Marion de Lorme die Garden des Herrn von Nangis ihrem Oberherrn haben folgen sehen.
Endlich ging der Vorhang, den man nach dem ersten und zweiten Act heruntergelassen hatte, zum dritten Male aus; der furchtbare Augenblick nahte heran. Banniére hörte, mehr todt als lebendig, einen Vers nach dem andern entfliegen, und bei jedem Verse, der entflog, fühlte er seinen Eintritt näher kommen. Obgleich die Schauspieler die gewöhnlichen Tempi nahmen, schien es ihm doch, als beschleunigten sie ihren Vortrag aus eine wahnsinnige Art. Die Szenen gingen eine nach der andern an seinen Augen vorüber, wie jene dunkeln Dünste, welche an einem niedrigen Himmel die stürmischen Westwinde fortreißen. Endlich kam die dritte Szene des dritten Acts, diejenige, welche unmittelbar dem Eintritte von Herodes vorhergeht. Wie eine steigende Flut sah der unglückliche Banniére den Augenblick, wo er vor dem Publikum zu erscheinen hatte, aus sich zukommen; bald waren zwischen ihm und diesem äußersten Augenblicke nur noch vier Verse, bald nur noch zwei, nur noch einer! Mit dem letzten Halbverse floß ein kalter Schweiß über die Stirne von Banniére. Eine Art von Schwindel bemächtigte sich seiner, er schaute umher, ob ein Weg für seine Flucht offen sei; als er sich aber umwandte, sah er Olympia, die ihm zulächelte und ihn mit einem Blicke ermutigte. Er hörte um sich her leise sagen: »Auf! auf!« er fühlte, wie eine kleine Hand, mächtiger als die Hand eines riefen, ihn von hinten schob, und eine Stimme voll Harmonie rief ihm zu: »Mut! Mut!« Der Hauch, der dieses Wort begleitete, brannte aus seiner Wange. Er machte einen Schritt und fand sich den Lichtern, dem Lustre und dreitausend Blitzen gegenüber, welche aus den Augen der Zuschauer hervorsprangen, und unter denen er schimmernd von ihrem höllischen Glanz die der zwei ehrwürdigen Väter der Gesellschaft Jesu funkeln zu sehen glaubte.
Er trat langsam, keuchend, geblendet und bereit, bei jedem Schritte auf dem unmerklichen Abhang des Bodens zu stolpern, ein.
Doch er war so schön von Gestalt und Gesicht, er trug in seinen Zügen einen Charakter von so düsterer Melancholie, er hatte ein so wohlgeformtes Bein, ein Auge so voll Flammen, daß, um ihn gleich von Anfang zu beruhigen, und dann, um ihm für seine Gefälligkeit zu danken, ein Beifallsdonner in diesem stehenden Parterre losbrach, das die Neugierde unter ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft schwanken machte, wie unter einem Sommerwinde ein Kornfeld sich beugt und schwankt.
Die Wirkung war rasch; die Wolke, welche die Augen von Banniére bedeckte, hellte sich auf; das Blut, das In seinen Ohren brauste, unterbrach sein Klingen, und elektrisiert durch diese Bravos, wie der Renner durch das Lob oder durch die Peitsche angestachelt wird, griff er mutig seinen ersten Vers an.
Das, woraus er sich verlassen konnte, war sein Gedächtnis, das, woraus er sich nicht verlassen konnte, war seine Person. Seine Person machte Effekt. Die Hälfte der Partie war also gewonnen.
Unter den Bravos stählte sich Banniére wieder; er sagte sich, im Ganzen sei er ein Mensch wie alle andere Menschen, durch den Verstand den Leuten des Saales gleich, durch sein Talent vielleicht Meister der Leute der Szene.
Banniére sprach daher seine Tiraden beinahe so beherzt auf dem Theater, als er sie im Foyer gesprochen hatte.
In Ermangelung des Wissens hatte er die Stärke, In Ermangelung des Detail hatte er das Feuer, und da in seiner ersten Szene mit Olympia diese ihm leise zwei oder dreimal sagte: »Gut! sehr gut!« so spielte er in der Tat sehr gut, denn er spielte, wie er es in der Meditationsstube gethan hätte, ohne die Gefahr zu kennen.
Was Olympia betrifft, welche ihr Theater seit langer Zeit kannte, was Olympia betrifft, die statt böswillige Jesuiten im Saale zu haben, hier Herrn von Mailly und einen ganzen Generalstab von Anbetern hatte, so ließ sie sich fortreißen, wie sie es vielleicht nie bei Champmeslé gethan hatte, und machte alle ihre Effekte, ohne einen einzigen zu verfehlen, unterstützt, wie sie war, durch das billigende Gemurmel des ganzen Saales und durch die geräuschvolleren Bravos der Garnison.
Die Vorstellung war schön. Banniére hatte sich nicht nur nicht geirrt, sondern er hatte auch die Stichwörter den Wachen, den Vertrauten, den Schauspielern, den Mimen eingeblasen.
Man erinnert sich, daß Banniére das ganze Stück auswendig konnte.
Nach seinem ersten Austreten wurde er auch von allen Frauen und allen Männern der Truppe mit Komplimenten überschüttet. Nach seinem zweiten Auftreten hatte er auch nur noch die Frauen für sich, welche ihm, man muss es sagen, in ihrer Bewunderung bis zum Ende des Stückes treu blieben.
Als das Stück beendigt war, umarmte Olympia Banniére nicht mehr, sie dankte ihm.
Banniére fühlte diese Nuance nicht. Er war zu sehr betäubt. Der Mensch, der sich mit schwerem Weine berauscht hat, kennt des Aroma der zarten Weine nicht mehr.
Man wünschte also Banniére Glück, man schmeichelte ihm, man umringte ihn; er entzog sich allen diesen Glückwünschen, denn er hegte immer noch aus eine unbestimmte Art die Hoffnung, in das Noviciat zurückzukommen, und floh nach der Loge, wo er sich aus- und angekleidet hatte.
Er hatte viel Mühe, sie wieder zu finden, doch er fand sie am Ende.
Das Erste, was Banniére beim Eintritt in seine Loge bemerkte, war ein Bad bestimmt, die Befleckung des Körpers durch das Wasser zu tilgen, wie man die Befleckungen der Seele durch die Beichte tilgt. Champmeslé hatte die Gewohnheit, ein Bad nach jeder neuen Leistung zu nehmen. Banniére schaute dieses Bad mit Begierde an. Banniére dachte, da er die Rolle von Champmeslé gespielt habe, so könne er wohl das Bad von Champmeslé nehmen. Von Folgerung zu Folgerung kam er sogar dahin, daß er sich bewies, er habe alle Rechte aus dieses Bad, während Champmeslé keines darauf habe.
Banniére legte also sein Herodes-Kostüm ab und streckte sich wollüstig in diesem Bade aus.
Er war hier seit zehn Minuten, rieb sich nach Herzenslust mit der Seife von Champmeslé und sah, wie einen vergangenen Traum, vor sich bis aus die kleinsten Einzelheiten alle Ereignisse dieser feierlichen Vorstellung, als man an die Thür seiner Loge klopfte.
Banniére bebte in seinem Bade wie ein Dieb, der aus frischer Tat ertappt wird.
»He! was will man von mir?« fragte er. »Man kann nicht herein.«
Banniére war voll Schamhaftigkeit.
»Man verlangt nicht hineinzukommen,« antwortete die Stimme des Friseur.
»Man verlangt den König Herodes.«
»Wo?«
»Im Foyer.«
»Und was will man vom König Herodes?«
»Der Herr Graf von Mailly gibt den Herren und Damen ein Abendessen und sagt, dieses Abendessen wäre unvollständig, wenn es die Königin Marianna ohne den König Herodes hätte.«
Banniére antwortete einen Augenblick nichts; er dachte, er habe keine andere Kleider anzuziehen, als seine Jesuitenkleider, und er würde eine traurige Figur bei diesem heiteren Abendbrot mit seiner schwarzen Tracht spielen.
»Sagen Sie, ich danke von ganzem Herzen dem Herrn Grafen von Mailly für die Ehre, die er mir erweisen wolle,« erwiderte Banniére, »aber ich könne sie nicht annehmen, da ich kein Kleid habe.«
»Wie, kein Kleid?« rief der Friseur; »haben Sie nicht das Kostüm des Königs Herodes, ganz von Hermelin, Sammet und Seide?«
»Ja,« versetzte Banniére, »doch das ist ein Kostüm und kein Kleid.«
»Ei! Jedermann ist im Kostüm,« sagte der Friseur; »das ist im Gegenteil eine der Bedingungen des Abendbrots.«
»Fräulein