»Nein,« erwiderte Olympia, »nein; nicht morgen will ich spielen, sondern heute, nicht morgen will ich einen Succeß haben, sondern heute Abend. Man liest die Rolle heute, oder ich werde morgen nicht spielen.«
»Aus welchen Gründen?« fragte der Redner.
»Mein Lieber,« erwiderte Olympia, »meine Gründe sind meine Sache; würde ich sie Ihnen angeben, so fänden Sie dieselben vielleicht nicht gut, während ich sie vortrefflich finde. Ich will heute spielen, heute! Heute!«
Und nachdem sie ihren Willen aus diese entschiedene Weise ausgesprochen, fing Olympia an mit dem Fuße aus den Boden zu stoßen und ihren Fächer zu zerstückeln, und dies mit jenem heftigen Zittern, das bei nervösen Frauen das Herannahen einer furchtbaren Krise andeutet.
Banniére war jeder Bewegung der schönen Königen gefolgt; seine Augen verschlangen sie, sein Atem hing an jedem ihrer Worte, und die Nervenerregung, welche sie ergriff, empfand er aus Sympathie.
»Aber, meine Herrn,« sagte er, »Sie sehen wohl, daß es dieser Dame unwohl werden, daß sie in Ohnmacht fallen, vielleicht, vor Zorn sterben wird, wenn Sie die Rolle des Herodes nicht lesen. Mein Gott! lesen Sie doch diese Rolle! Ist es so schwierig, eine Rolle zu lesen? Ah! sollte ich nicht Jesuit sein! Ah! wäre ich nicht Noviz!«
»Nun! wenn Sie nicht Noviz wären,« fragte der Redner. »was würden Sie tun?«
«Ich würde sie, bei Gott! spielen,« rief Banniére fortgerissen von der Gemütsbewegung, die bei ihm die wachsende Ungeduld von Olympia verursachte.
»Wie! Sie würden sie spielen?« fragte der Redner; »was sagen Sie da?«
»Warum nicht!« versetzte Banniére stolz.
»Sie müssten sie zuvor können.«
»Oh! wenn es nur das wäre: ich kann sie.«
»Wie! Sie können sie?« rief Olympia.
»Nicht nur die Rolle von Herodes, sondern alle Rollen des Werkes.«
»Sie können die Rolle von Herodes?« wiederholte Olympia, indem sie einen Schritt gegen Banniére machte.
»Zum Beweise,« sprach Banniére, den Arm ausstreckend und vorwärts schreitend, wie man dies damals tat. Zum Beweise gebe ich Ihnen hier den Eintritt von Herodes.«
Und er fing an zu deklamieren:
Eh quoi! Sohéme aussi semble éviter ma vue; Quelle horreur devant moi s'est partout répandue. Ciel! ne puis-je inspirer que la haine et l'effroi? Tous les coeurs des humanis sont ils fermés pour moi? 8
Erstaunt, umringten alle Schauspieler Banniére, der bis zum Ende der Szene gegangen wäre, hätten ihn Olympia nicht dadurch, daß sie ausgerufen: »Er kann es! er kann es!« und die Schauspieler durch Beifall klatschen unterbrochen.
»Nun!« rief der Redner, »das ist ein Glücksfall!«
»Mein lieber Herr,« sagte Olympia, »es ist kein Augenblick zu verlieren; legen Sie diesen abscheulichen Jesuitenrock ab, der Sie so hässlich macht, daß man Angst bekommt; ziehen Sie das Kostüm von Herodes an, und auf die Bühne, geschwinde, geschwinde!«
»Aber, Madame. . .«
»Sie haben den Beruf, mein Freund,« fuhr Olympia fort, »das ist Alles, was man braucht; das Übrige wird nachher kommen.«
»Abgesehen davon, daß Sie nie eine so gute Gelegenheit, zu debütieren, finden werden,« sprach der Redner.
»Vorwärts,« rief Olympia, »rasch eine Ankündigung, rasch die Kleider von Champmeslé. Schaut ihn doch an; er ist sehr hübsch, der Junge; das ist kein Kalbskopf wie Champmeslé.«
»Das ist einmal ein König des Orients! das ist eine Gestalt! das ist eine Stimme!«
»Oh! geschwinde, geschwinde!«
Banniére gab einen Schrei unsäglichen Schreckens von sich. Er fühlte, daß sich in diesem Augenblick das Geschick seines ganzen Lebens entschied. Er wollte widerstehen. Olympia nahm ihn bei seinen Händen. Er wollte sprechen, Olympia drückte ihm ihre rosigen Finger aus die Lippen. Betäubt, berauscht, verrückt, ließ er sich endlich durch die Ankleider fortführen, welche aus ihm in zehn Minuten einen König Herodes in der Loge von Champmeslé machten.
Und an der Thür dieser Loge trieb Olympia die Costumiers, die Friseurs an, unterstützte sie ihre Verführung durch neue Worte, trippelte unablässig und rief: »Vorwärts! Vorwärts!«
Stück um Stück entkleidet, sah Banniére sein Jesuitengewand in eine Ecke werfen, und nach zehn Minuten trat er aus seiner Loge, glänzend, strahlend, wirklich schön, verwandelt, herrlich wie die Königin, die ihn dadurch, daß sie ihn umarmte, vollends verführte.
Unterjocht, besiegt, gezähmt, sprach Banniére von diesem Augenblick an kein Wort mehr; er drückte seine beiden Hände auf sein in der Empörung Begriffenes Herz und ließ sich in die Kulissen führen, wohin er gerade kam, um folgende Ankündigung zu hören, die der Redner an das Publikum zu sprechen im Zuge war:
»Meine Herren, unser Kamerad Champmeslé, der im Verlaufe des Tages einige Zeichen von Unpässlichkeit gegeben hatte, ist von einer plötzlichen Erkältung befallen worden. Die Unpässlichkeit ist so ernst, daß wir ihn für uns und für das Theater verloren zu sehen befürchten mussten. Zum Glück will einer unserer Freunde, der die Rolle kann, die Güte haben, sie an seiner Stelle zu sprechen, damit das Schauspiel kein Hindernis erleide; da er aber nie aus einem Theater gespielt hat, und durchaus nicht auf dieses Debüt vorbereitet war, so nimmt er Ihre ganze Nachsicht in Anspruch.«
Glücklicher Weise für den Debütanten war Champmeslé beim Publikum nicht angebetet; der ganze Saal, der wohl gefühlt hatte, daß jenseits des Vorhangs etwas Außerordentliches vorging, brach auch in ein Beifall klatschen aus.
Dieses Klatschen dauerte noch fort, als, um den Enthusiasmus der Zuschauer nicht erkalten zu lassen, die drei Glockenzeichen ertönten, und es ging der Vorhang unter einer tiefen Stille und einer allgemeinen Erwartung aus.
Erklären wir nun, warum Fräulein Olympia von Clèves so hartnäckig an diesem Abend Herodes und Marianna spielen wollte.
X.
Olympia von Clèves
Mademoiselle Olympia von Clèves, die man bei der Schauspielertruppe kurz Olympia nannte, diese schöne Person, welche wir schon zweimal haben erscheinen sehen, das erste Mal aus der Straße, im Gefolge der Procession von Herodes und Marianna, das zweite Mal aus der Treppe des Foyer, und die jedes Mal einen so lebhaften Eindruck auf Banniére hervorgebracht hatte, Olympia von Clèves war ein Fräulein von Stande, das«in Liebhaber, ein Musketier, im Jahre 1720, als Olympia kaum sechzehn Jahre alt war, aus dem Kloster entführt hatte.
Dieser Musketier, nachdem er seiner Geliebten beinahe ein Jahr treu geblieben war, was fast unerhört in den Annalen der Compagnie, halte sie an einem schönen Morgen verlassen, und man hatte ihn nicht wieder gesehen.
Nun allein, verlassen, ohne Zukunft, verkaufte Olympia, welche es nicht wagte, zu ihrer Familie zurückzukehren, und ohne Mitgift nicht wieder ins Kloster gehen wollte, die wenigen Juwelen, die ihr blieben, und. debütierte, nachdem sie ein Jahr studiert hatte, auf einer Provinzbühne.
Sie war so schön, daß sie ausgepfiffen wurde.
Olympia begriff, daß, wenn die Natur so viel für eine Frau gethan halte, ihrerseits die Kunst auch viel für sie tun müsse. Sie fing an zu arbeiten, diesmal mit Ernst, und nach Verlauf eines Jahres wechselte sie das Theater und brachte es dahin, daß man ihr wegen ihres Talentes applaudierte, nachdem man sie wegen ihrer Schönheit ausgepfiffen hatte.
Allmählich und von Truppe zu Truppe, stieg Olympia bis zu den Theatern der großen Städte empor, und, ein lebendiges Problem für die Verliebten wie für die Weidmänner, genoss sie einen doppelten Ruf als gute Schauspielerin und als vernünftige Frau.
Nicht als ob Olympia von einem tugendhaften