Frau von Béarn war wirklich eine alte Prozeßkrämerin, sehr ähnlich der Gräfin d’Escarbagnas oder Frau von Pimbeche, den zwei guten Typen jener Zeit, führte übrigens, wie man sieht, einen herrlichen Namen.
Flink, mager, eckig, stets aufmerksam, stets Augen, denen einer erschrockenen Katze ähnlich, unter den grauen Brauen in ihren Höhlen wälzend, hatte Frau von Béarn die Tracht der Damen ihrer Jugend beibehalten, und da die Mode, so launisch sie auch sein mag, sich herbeiläßt, zuweilen wieder vernünftig zu werden, so war das Costume der Mädchen von 1740 zufällig das Kleid einer Alten im Jahre 1770.
Weite Guipures, Spitzenmäntelchen, ungeheurer Kopfputz, unermeßliche Taschen, colossaler Sack und eine Halsbinde von geblümter Seide, dies war die Tracht, unter der Chon, die vielgeliebte Schwester und Vertraute von Madame Dubarry, Frau von Béarn fand, als sie sich dieser unter dem Namen von Mademoiselle Flageot, das heißt, als die Tochter ihres Advokaten vorstellte.
Die alte Gräfin trug sie (es ist natürlich von der Kleidung die Rede) ebensowohl aus Geschmack, als aus Sparsamkeit. Sie gehörte nicht zu den Leuten, welche über ihre Armuth erröthen, denn diese Armuth rührte nicht von einen Fehler von ihr her. Sie bedauerte nur, nicht reich genug zu sein, um ihrem Sohn ein seines Namens würdiges Vermögen zu hinterlassen; dieser Sohn war ein ganz provinzmäßiger junger Mensch, schüchtern wie ein Mädchen und viel mehr den Süßigkeiten des materiellen Lebens, als den Gunstbezeugungen des Ruhmes zugethan.
Es blieb ihr übrigens das Hülfsmittel, meine Güter die Güter zu nennen, die ihr Advokat den Saluces streitig machte; da es indessen eine Frau von großem Verstande war, so fühlte sie wohl, daß ihr, wenn sie auf diese Ländereien entlehnen müßte, kein Wucherer, und es gab deren sehr kühne in Frankreich zu jener Zeit, kein Anwalt, und es fanden sich sehr verschlagene zu allen Zeiten, auf diese Garantien etwas leihen, oder die geringste Summe in der Hoffnung ans Wiederersatz aus dem streitigen Object vorschießen würde.
Beschränkt auf eine Rente aus der nicht in den Prozeß verwickelten Grundbesitzungen und auf ihre Gülten, floh deshalb Frau von Béarn, welche ein Einkommen von ungefähr tausend Thalern hatten den Hof, wo man zwölf Livres im Tag nur für die Miethe der Carrosse ausgab, welche die Frau Sollicitantin zu den Herren Richtern und zu den Herren Advokaten führte.
Sie floh ihn besonders, weil sie daran verzweifelte, ihren Actenfascikel von vier bis fünf Jahr aus dem Fache ziehen zu sehen, wo er wartete, bis die Reihe an ihn käme. Heut zu Tage dauern die Prozesse lang; doch ohne das Alter eines Patriarchen zu erreichen, kann derjenige, welcher einen Prozeß anfängt, hoffen, ihn auch zu Ende gehen zu sehen, während in frühern Zeiten ein Prozeß zwei bis drei Generationen durchmachte und wie jene fabelhaften Pflanzen in Tausend und eine Nacht nur am Ende von zwei bis dreihundert Jahren blühte.
Frau von Béarn wollte aber nicht den Rest ihres Vermögens dadurch verschlingen lassen, daß sie die im Prozeß begriffenen zehn Zwölftel wieder zu erlangen suchte; sie war das, was man in jeder Zeit eine Frau der alten Zeit nennt, nämlich vorsichtig, klug, stark und geizig.
Sie hätte sicherlich ihre Angelegenheit selbst geführt, selbst vor Gericht geladen, plaidirt und exekutirt. und zwar besser als irgend ein Advokat, Anwalt oder Huissier, aber sie trug den Namen Béarn, und dieser Name setzte vielen Dingen ein Hinderniß entgegen. Daraus ging hervor, daß. verzehrt von Kummer und Angst, sehr ähnlich dem göttlichen Achill, der unter sein Zelt zurückgezogen tausend Tode litt, wenn die Trompete erscholl, gegen die er taub zu sein sich stellte, Frau von Béarn, die Tage damit hinbrachte, daß sie, die Brille auf der Nase, alte Pergamente entzifferte, und ihre Nächte, daß sie sich in ihren persischen Schlafrock drapirte und mit flatternden grauen Haaren vor ihrem Kopfkissen den Prozeß der von den Saluces zurückgeforderten Erbschaft plaidirte, einen Prozeß, den sie stets mit einer Beredtsamkeit gewann, mit welcher sie so sehr zufrieden. war, daß sie dieselbe unter ähnlichen Umständen ihrem Advokaten gewünscht hätte.
Man begreift bei dieser Lage der Dinge, daß die Ankunft von Chon, die sich unter dem Namen von Mademoiselle Flageot vorstellte, eine sanfte Erschütterung bei Frau von Béarn hervorbrachte.
Der junge Graf war beim Heer.
Man glaubt so gern, was man wünscht. Frau von Béarn ließ sich auch ganz natürlich von der Erzählung der jungen Frau einnehmen.
Es war indessen wohl ein Schatten von Verdacht zu fassen; die Gräfin kannte seit zwanzig Jahren Meister Flageot, sie hatte ihn zweihundertmal in der Rue du Petit-Lion-Saint-Sauveur besucht, und nie hatte sie auf dem viereckigen Teppich, der ihr so winzig für das ungeheure Cabinet vorkam, nie hatte sie, sagen wir, auf diesem Teppich die Spiele eines Kindes wahrgenommen, das auf eine geschickte Weise die Pastillen in den Büchsen der Clienten und Clientinnen suchte.
Aber es handelte sich wohl darum, an den Teppich des Anwalts zu denken, es handelte sich darum, das Kind wieder zu finden, das darauf spielen konnte. es handelte sich darum, seine Erinnerungen zu durchwühlen: Mademoiselle Flageot war Mademoiselle Flageot, und alles Andere Nebensache.
Ueberdies war sie verheirathet und, was den letzten Wall gegen jeden schlimmen Gedanken bildete, sie kam nicht ausdrücklich nach Verdun, sondern sie begab sich zu ihrem Gatten nach Straßburg.
Vielleicht hätte Frau von Béarn Mademoiselle Flageot nach dem Briefe fragen müssen, der sie bei ihr beglaubigte; doch wenn ein Vater seine Tochter, seine eigene Tochter nicht ohne einen Brief schicken kann, wem soll man dann eine Vertrauenssendung geben? Und dann noch einmal, wozu solche Befürchtungen? Wozu ein solcher Verdacht? In welcher Absicht sollte man sechzig Lieues machen, um eine solche Erzählung preiszugeben?
Wäre sie reich gewesen, hätte sie wie die Frau eines Banquier, eines Generalpächters oder eines Parteigängers Equipagen, Silbergeschirr und Diamanten mitnehmen müssen, so hätte sie denken können, es sei ein von Dieben angezetteltes Komplott. Aber Frau von Béarn lachte. wenn sie zuweilen an die Täuschung dachte, welche Diebe erfahren würden, die so schlecht unterrichtet wären, das, sie bei ihr zu stehlen versuchten.
Als Chon mit ihrer bürgerlichen Toilette und mit ihrem schlechten, einspännigen Cabriolet, das sie auf der vorletzten Post, wo sie ihre Chaise zurückließ, genommen hatte, verschwunden war, stieg Frau von Béarn, überzeugt, der Augenblick, ein Opfer zu bringen, wäre gekommen, selbst in eine alte Carrosse und trieb die Postillons dergestalt zur Eile an, daß sie eine Stunde vor der Dauphine durch Lachaussée kam, und kaum fünf bis sechs Stunden nach Mademoiselle Dubarry die Barrière Saint-Denis erreichte.
Da die Reisende sehr wenig Gepäcke hatte und da es das Dringendste für sie war, die gerichtliche Verhandlung zu betreiben, so ließ Frau von Béarn ihren Wagen in der Rue du Petit-Lion vor der Thüre von Herrn Flageot anhalten.
Dies geschah, wie man sich leicht denken kann, nicht ohne daß eine große Anzahl Neugieriger, und die Pariser sind es insgesammt, vor dieser ehrwürdigen Kutsche stehen blieb, welche aus den Remisen von Heinrich IV. zu kommen schien, an dessen Lieblingsgefährt sie durch ihre Solidität, durch ihren monumentalen Bau und ihre schneckenförmig gewundenen ledernen Vorhänge erinnerte, die mit einem abscheulichen Aechzen auf einer Stange von grünlichem Messing liefen.
Die Rue du Petit-Lion ist nicht breit. Frau von Béarn verstopfte sie majestätisch, bezahlte die Postillons und befahl ihnen, den Wagen nach dem Wirthshause zu bringen, wo sie gewöhnlich abstieg, nämlich nach dem tränenden Hahne in der Rue Saint-Germain-des-Prés. Sie stieg, sich an dem fettigen Seile haltend, die schwarze Treppe von Herrn Flageot hinauf; es herrschte hier eine Kühle, welche der durch die Schnelligkeit und den Eifer der Reise angegriffenen. Alten nicht mißfiel.
Als ihn seine Dienerin Marguerite die Frau Gräfin von Béarn meldete, zog Meister Flageot seine Hose, die er der Hitze wegen tief hatte hinabfallen lassen, in die