Canolles spielte diese Scene mit so anmuthiger Höflichkeit, mit so verführerischer Geberde, indem er mit seinem breiten Hute seine so reine, von schwarzen, seidenen-Haaren beschattete Stirne wieder bedeckte, daß der Vicomte mehr von seiner vornehmen Miene, als von seinem Verfahren berührt wurde. Er hatte sich, wie gesagt, entfernt; Castorin folgte ihm gerade und steif in seinen Steigbügeln, Pompée welcher auf der andern Seite den Wegen geblieben war, stieß Seufzer aus, daß die Kieselsteine ans der Straße hätten zerspringen sollen; der Vicomte, welcher zahlreiche Betrachtungen angestellt hatte, beschleunigte nun den Gang seinen Pferdes, holte Canolles ein, welcher sich stellte, als sähe und hörte er ihn nicht, und flüsterte ihm, mit einer kaum verständlichen Stimme die Worte: »Herr von Canolles!« zu.
Canolles bebte und wandte sich um, ein Schauer der Lust durchlief seine Adern, und es kam ihm vor, als ob sich alle Musik der himmlischen Sphären vereinigte, um ihm ein göttliches Concert zu geben.
»Vicomte!« entgegnete er.
»Hört, mein Herr,« antwortete dieser mit einer weichen, samtartigen Stimme, »ich fürchte in der That, unhöflich gegen einen Mann von Eurem Verdienste zu sein. Vergebt mir meine Schüchternheit. Ich wurde von Aeltern erzogen, welche voll von Befürchtungen, entstanden aus Liebe für mich, waren: ich wiederhole, vergeht mir, ich habe nie die Absicht gehabt, Euch zu beleidigen, und zum Beweise unserer aufrichtigen Aussöhnung erlaubt mir, an Eurer Seite zu marschiren.«
»Wie?« rief Canolles, »hundertmal, tausendmal! Ich hege keinen Groll, und zum Beweise . . .«.
Und er reichte ihm die Hand, in welche ein zartes, leichtes, flüchtiges Händchen fiel oder vielmehr schlüpfte.
Der Rest der Nacht ging in tollen Plaudereien des Barons hin, und der Vicomte hörte beständig und lachte zuweilen.
Die zwei Diener folgten. Pompée erklärte Castorin, wie die Schlacht von Corbie verloren worden war, während man sie hätte vollkommen gewinnen kennen, würde man es nicht versäumt haben, ihn in den Rath zu rufen, welcher am Morgen der Schlacht gehalten wurde.
»Doch sagt,« sprach der Vicomte zu Canolles, als der erste Schimmer des Morgens anbrach, »wir habt Ihr Eure Angelegenheit mit dem Herzog von Epernon abgemacht?«
»Die Sache war nicht schwierig,« erwiederte Canolles. »Nach dem, was Ihr mir mittheiltet, hatte er mit mir und ich nicht mit ihm zu thun. Entweder ist er müde geworden, mich zu erwarten, und hat sich zurückgezogen, oder er ist halsstarrig gewesen, und wartet noch.«
»Aber Fräulein von Lartigues ist, fügte der Vicomte mit einem richten Zögern bei.
»Fräulein von Lartigues, Vicomte, kann nicht zugleich zu Hause mit Herrn von Epernon und im Goldenen Kalbe mit mir sein. Man muß von den Frauen nicht zu viel verlangen.«
»Das ist keine Antwort, Baron; ich frage Euch, wie Ihr Euch, verliebt in Fräulein von Lartigues, von Ihr trennen konntet?«
Canolles schaute den Vicomte mit bereits zu klar sehenden Augen an, denn es war Tag, und es lag aus dem Gesichte des jungen Mannes kein anderer Schatten als der seines Hutes.
Er fühlte sich nun von einer tollen Lust erfaßt, zu antworten, wie er dachte; aber Pompée, aber Castorin, aber die ernste Miene des Vicomte hielten ihn zurück. Dann regte sich noch ein Zweifel in ihm.
»Wenn ich mich täuschte, wenn es trotz dieses kleinen Handschuhs und dieser kleinen Hand ein Mann wäre. In der That, ein solcher Mißgriff müßte mich völlig niederschmettern!« sagte er zu sich selbst.
Er geduldete sich also und erwiederte die Frage des Vicomte mit jenem Lächeln, mit welchem man Alles beantwortet.
Man hielt in Barbezieux an, um zu frühstücken und die Pferde ausschnaufen zu lassen. Canolles frühstückte diesmal mit dem Vicomte, und bei dem Frühstücke bewunderte er diese Hand, deren nach Bisam duftende Hülle eine so große Aufregung ihn ihm hervorgebracht hatte. In dem Augenblick, wo man sich zu Tische setzte- war der Vicomte überdies genöthigt, seinen Hut abzunehmen und seine so glatten, so schönen, in eine so zarte Haut gepflanzten Haare zu entblößen, und jeder Andere, als ein bereits verliebter und folglich bereits blinder Mensch, wäre von seiner Ungewißheit befreit gewesen. Aber Canolles hatte zu sehr Furcht zu erwachen, um nicht die Dauer seines Traumes auszudehnen. Er fand etwas Reizendes in diesem Incognito des Vicomte, das ihm eine Menge von kleinen Vertraulichkeiten gestattete, welche ihm ein gänzlichen Erkennen oder ein volles Geständniß untersagt hätten. Er sprach also kein Wort, das den Vicomte auf den Verdacht bringen konnte, sein Incognito wäre verrathen.
Nach dem Frühstück begab man sich wieder auf den Weg, und man marschierte bis zum Mittagessen. Von Zeit zu Zeit brachte eine Müdigkeit, die er nicht länger verbergen konnte, auf das Gesicht des Vicomte eine bleichere Farbe oder in seinen Körper ein leichtes Beben, nach dessen Ursache ihn Canolles freundschaftlich fragte. Herr von Cambes lächelte dann und schien nicht mehr zu leiden. Er schlug sogar vor, den Schritt zu verdoppeln, was aber Canolles mit der Bemerkung zurückwies, man habe einen weiten Weg zu machen, und es sei folglich wesentlich, die Pferde zu schonen.
Noch dem Mittagessen fühlte der Vicomte eine gewisse Schwierigkeit, aufzustehen. Canolles erhob sich und unterstützte ihn.
»Ihr bedürft der Ruhe, mein junger Freund,« sagte er zu ihm; »eine auf diese Art fortgesetzte Reise würde Euch auf der dritten Etappe tödten. Wir reiten in dieser Nacht nicht, sondern schlafen im Gegentheil. Ihr sollt Euch eines guten Schlummere erfreuen, und das beste Zimmer den Gasthofs soll das Eurige sein, oder ich will sterben.«
Der Vicomte schaute Pompée mit so verblüffter Miene an, daß Canolles seine Lust zu lachen nicht unterdrücken konnte.
»Wenn man eine große Reise unternimmt, wie wir,« sprach Pompée »so müßte Jeder sein Zelt haben.«
»Oder ein Zelt für zwei,« versetzte Canolles mit der natürlichsten Miene der Welt, »das würde genügen.«
Ein Schauer durchlief den ganzen Körper den Vicomte.
Der Schlag war gethan und seine Wirkung entging Canolles nicht: aus einem Augenwinkel sah er, daß der Vicomte Pompée ein Zeichen machte. Pompée näherte sich seinem Herrn, dieser sagte ihm leise einige Worte, und bald ritt Pompée unter irgend einem Vorwande voraus und verschwand.
Anderthalb Stunden nach diesem Vorfall, worüber Canolles nicht einmal eine Erklärung forderte, erblickten die Reisenden, als sie in einen großen Flecken einritten, den Stallmeister auf der Schwelle eines Gasthauses von ziemlich gutem Aussehen.
»Ah! Ah,« sagte Canolles, »es scheint, wir werden die Nacht hier zubringen, Vicomte?«
»Ja, wenn Ihr wollt, Baron.«
»Ich will Alles, was Ihr wollt, denn, wie gesagt, ich reise für mein Vergnügen, während Ihr Eurer Äußerung nach in Geschäften reist. Nur befürchte ich, Ihr werdet in diesem Neste nicht bequem sein.«
»Oh!« erwiederte der Vicomte, »eine Nacht ist bald vorüber.«
Man hielt an und rascher als Canolles lief Pompée herbei und hielt seinem Herrn den Steigbügel. Canolles bedachte überdies, daß ein solcher Eifer eines Mannes gegen einen andern Mann lächerlich wäre.
»Rasch, mein Zimmer,« sagte der Vicomte. »In der That, Ihr habt Recht, Herr von Canolles,« fügte er, sich nach seinem Gefährten umwendend, bei, »ich bin wirklich sehr müde.«
»Hier, gnädiger Herr,« sprach die Wirthin und deutete auf ein ziemlich großer Zimmer; es ging nach dem Hofe, seine Fenster waren vergittert und darüber lagen die Speicher des Hauses.
»Wo ist mein Zimmer?« rief Canolles.
Und er warf lüstern seine Augen auf eine Thüre, welche an die des Vicomte stieß und deren Dünnleibigkeit einen sehr gebrechlichen Wall gegen eine so geschärfte Neugierde, wie die seinige, bildete.
»Das Eurige?« sprach die Wirthin, »folgt mir, gnädiger Herr, ich werde Euch führen.«
Und ohne daß es den Anschein hatte, als bemerkte sie seinen Ärger, führte sie ihn an das Ende einer ganz mit Thüren bevölkerten und von dem Zimmer des Vicomte