Man hörte Pompée schnarchen.
Der Eilbote war eingetreten und wartete in der Wirtsstube; Canolles suchte ihn auf und las erbleichend den Brief von Nanon; denn der Eilbote war, wie man bereits errathen haben wird, Courtauvaux selbst, der ungefähr zehn Stunden nach Canolles abreiste und diesen, trotz aller Eile, erst auf der zweiten Etappe hatte einholen können.
Einige Fragen, welche Canolles an Courtauvaux richtete, ließen dem Baron keinen Zweifel darüber, wie nothwendig seine schleunige Abreise war. Er las den Brief zum zweiten Male und der Ausdruck: Eure teure Schwester Nanon, machte ihm begreiflich, was vorgefallen war, daß sich nämlich Fräulein von Lartigues dadurch aus der Verlegenheit gezogen hatte, daß sie ihn für ihren Bruder ausgab.
Canolles hatte wiederholt in nicht sehr schmeichelhaften Ausdrücken Nanon selbst von diesem Bruder sprechen hören, dessen Stelle er nun eingenommen. Dies vermehrte noch den Widerwillen, mit dem er dem Befehle des Herzogs Folge leistete.
»Es ist gut,« sagte er zu Courtauvaux, ohne ihm einen Credit in dem Wirthshause zu eröffnen? oder ihm seine Börse in die Hände zu leeren, was er bei jeder andern Veranlassung sicherlich gethan haben würde; »es ist gut: sagt Eurem Herrn, Ihr habet mich getroffen und ich habe auf der Stelle gehorcht.«
»Und Fräulein von Lartigues soll ich nichts sagen?«
»Sagt Ihr, ihr Bruder wisse das Gefühl zu schätzen, das sie bei ihrer Handlungsweise bestimmt habe, und sei ihr dafür verbunden. Castorin, sattle die Pferde!«
»Und ohne etwas Anderes zu dem Boten zu sprechen, der über diese unfreundliche Aufnahme ganz verblüfft war, ging Canolles zu dem Vicomte hinauf, den er bleich, zitternd und wieder angekleidet fand. Auf dem Kantine brannten zwei Kerzen.
Canolles warf einen Blick innigen Bedauerns auf den Alkoven und besonders auf die Zwillingsbetten, an deren einem ein leichter, kurzer Druck sichtbar war. Der Vicomte folgte diesem Blicke mit einem Gefühle der Schamhaftigkeit, das ihm die Röthe in das Gesicht steigen machte.
»Freut Euch, Vicomte,« sprach Canolles, »Ihr, seid nun für den Rest der Reise von mir befreit. Ich gehe im Dienste des Könige mit der Post.«
»Wann geht Ihr?« fragte der Vicomte mit einer noch nicht ganz beruhigten Stimme.
»Auf der Stelle; ich reife nach Nantes, wo der Hof sich aufhält, wie es scheint.«
»Gott befohlen, mein Herr,« vermochte der junge Mann kaum zu antworten, und er sank auf einen Stuhl zurück, ohne daß er seine Augen nach seinem Gefährten aufzuschlagen wagte.
Canolles machte einen Schritt gegen ihn.
»Ich werde Euch ohne Zweifel nicht mehr sehen,« sprach er mit tief bewegter Stimme.
»Wer weiß?« versetzte der Vicomte und suchte zu lächeln.
»Versprecht Eines einem Manne, welcher ewig Euer Andenken bewahren wird,« sagte Canolles und legte seine Hand mit einem Einklange der Stimme und der Geberde, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit mehr übrig ließ, auf das Herz.
»Was verlangt Ihr?«
»Daß Ihr zuweilen an mich denken werdet.«
»Ich verspreche es Euch.«
»Ohne Groll . . .«
»Ja . . .«
»Eine Bekräftigung dieses Versprechens,« sagte Canolles.
Der Vicomte reichte ihm die Hand.
Canolles nahm diese zitternde Hand ohne eine andere Absicht, als sie in der seinigen zu drücken, aber mit einer Bewegung, welche starker war, als sein Wille, preßte er sie an seine glühenden Lippen und stürzte aus dem Zimmer, während er die Worte murmelte:
»Ah! Nanon, Nanon, kannst Du mich je für den Verlust entschädigen, den Du mir verursacht hast?«
VIII.
Chantilly
Folgen wir jetzt den Prinzessinnen des Hauses Condé in die Verbannung nach Chantilly von der Richon dem Vicomte eine so schauderhafte Schilderung gemacht hatte, so sehen wir:
Unter diesen Alleen von Kastanienbäumen, welche mit einem Blüthenschnee bestreut sind, auf diesen Rasen, welche sich bis zu den blauen Teichen ausdehnen, einen Schwarm von Spaziergängern lachend, plaudernd und singend, beständig sich umher bewegen. Da und dort erscheinen, mitten unter dem hohen Grase, gleichsam in den grünen Wogen verloren, einige Figuren von Lesern, welche sich in die Blätter der Modeschriftsteller jener Zeit, in die Werke von Herrn la Calprenède, von Herrn d’Urfé oder von Fräulein von Scudery vertieft haben; im Innern von Geißblatt- und Rebwind-Lauben hört man Lauten stimmen und unsichtbare Menschen singen. In der großen Aller, welche nach dem Schlosse führt, eilt von Zeit zu Zeit mit der Schnelligkeit den Blitzes ein Reiter, der Ueberbringer irgend eines Befehles, vorüber.
Auf der Terrasse gehen mittlerweile drei in Atlas gekleidete und in einiger Entfernung von stummen, ehrfurchtsvollen Pagen gefolgte Damen mit ernsten Mienen und Ceremoniösen, majestätischen Geberden hin und her; eine Frau von edler Haltung, trotz ihrer siebenundfünfzig Jahre, spricht im Lehrertone über Staatsangelegenheiten; eine äußerst steife junge Frau, in düsterem Gewande horcht zu ihrer Rechten, die Stirne faltend, auf die weisen Theorien ihrer Nachbarin; eine andere Alte, die steifste und abgemessenste von allen Dreien, weil sie ihrem Stande nach die am wenigsten erhabene ist, spricht, hört und überlegt zu gleicher Zeit.
Die Dame in der Mitte ist die Frau Prinzessin Wittwe, die Mutter des Siegers von Rocroy, Nördlingen und Lens, den man, seitdem er verfolgt wird und diese Verfolgung ihn nach Vincennes gebracht hat, den großen Condé zu nennen anfängt, ein Name, den ihm die Nachwelt bewahren wird. Diese Dame, aus deren Zügen man noch die Ueberreste jener Schönheit zu erkennen vermag, welche sie zu der letzten und vielleicht tollsten Liebschaft von Heinrich IV. gemacht hat, ist zugleich in ihrer Mutterliebe und in ihrem Stolze als Prinzessin durch einen fachino italiano beleidigt worden, den man Mazarini nannte, als er Bedienter des Cardinal Bentivoglio war, und den man nun Seine Eminenz den Cardinal Mazarin nennt, seitdem er der Liebhaber von Anna von Oesterreich und erster Minister von Frankreich geworden ist.
Er hat es gewagt, Condé in das Gefängniß zu sperren und die Mutter sowie die Gemahlin den edlen Gefangenen nach Chantilly zu verbannen.
Die Dame rechts ist Claire Clemence von Maillé, Prinzessin von Condé, die man einer aristokratischen Gewohnheit jener Zeit zufolge kurz Frau Prinzessin nennt, um damit zu bezeichnen, die Frau des Hauptes der Familie Condé sei die erste Prinzessin von Geblüt, die vorzugsweise Prinzessin: sie ist stets stolz gewesen, aber seitdem sie verfolgt wird, hat ihr Stolz um den Grad der Verfolgung zugenommen, und sie ist hochmüthig geworden. Dazu verdammt, eine secundäre Rolle zu spielen, so lange der Herr Prinz frei war, hat sie die Gefangenschaft ihres Gemahls zum Stande einer Heldin erhoben: sie ist beklagenswerther als eine Wittwe, und ihr Sohn, der Herzog von Enghien, welcher demnächst sein siebentes Jahr erreicht, erscheint interessanter als eine Waise. Die Augen sind auf sie gerichtet, und ohne Furcht, sich lächerlich zu machen, ist sie in Trauer gekleidet. Seitdem von Anna von Oesterreich diesen in Thränen zerfließenden Damen die Verbannung auferlegt worden ist, hat sich ihr gellendes Geschrei in dumpfe Drohungen verwandelt: aus Unterdrückten sind sie Rebellinnen geworden. Die Frau Prinzessin, ein Themistokles in der Nachthaube, hat ihren Miltiades im Unterrock, und die Lorbeeren von Frau von Longueville, welche einen Augenblick Königin von Paris gewesen ist, verhindern sie zu schlafen.
Die Duenna links ist die Marquise von Tourville, welche es nicht wagt, Romane zu schreiben, aber in der Politik componirt: sie hat nicht persönlich den Krieg geführt, wie der brave Pompée, und nicht wie er in der Schlacht von Corbie eine Kugel bekommen; aber ihr Gatte, ein ziemlich hochgeschätzter General, ist bei La Rochelle verwundet und bei Freyburg getödtet worden; Erbin seines Vermögens, glaubte sie natürlich zu gleicher Zeit euch Erbin seines militärischen Genies zu sein. Seit ihrer Ankunft bei den Prinzessinnen in Chantilly hat sie bereits drei Feldzugspläne gemacht, welche hintereinander die Bewunderung der Frauen des Gefolges erregten und nicht aufgegeben, aber auf den Tag verschoben wurden, wo man das Schwert ziehen und die Scheide