Der Schotte hörte nur noch sein Geschrei, und dieses näherte sich dem Wasser immer näher. Er selbst schrie nicht mehr, sondern brüllte, und bei jedem Gebrüll fiel seine flache Klinge oder sein Degenknopf auf einen Kopf. Auf einmal wurde das Geschrei noch heftiger, dann verstummte es und dann hörte man das Geräusch eines schweren Körpers, der ins Wasser fällt.
»Ha, ihr Halunken! ha, ihr Mörder! ha, ihr Meuchler!« heulte der junge Mann indem er auch dem Fluß voranzudringen versuchte, um seinen Freund zu retten oder mit ihm zu sterben.
Aber es war unmöglich. Eben so leicht hätte er eine Granitwand umgeworfen, als diese lebendige Mauer. Gänzlich abgehetzt, zähneknirschend, mit Schaum vor dem Mund und schweißtriefender Stirne wich er zurück, Er wich bis auf die Höhe der Böschung zurück, um zu sehen, ob er nicht über diese Menge hinweg den Kopf des armen Medardus bemerken könne, der etwa wieder über das Wasser emporkäme. So stand er auf seinen Degen gestützt, oben auf der Böschung, aber als er Nichts zum Vorschein kommen sah, da senkte er seine Augen auf diese müthende Menge herab und sah voll Eckel diese Menschenmeute an.
Indem er ganz allein, bleich und in seinem schwarzen Costüm so dastand glich er dem Würgengel, der mit ein gezogenen Flügeln einen Augenblick ausruhte Aber nach diesem Augenblick stieg die Wuth, die in seiner Brust kochte wie die Lava in einem Vulkan, brennend auf seine Lippen.
»Ihr seid sammt und sonders Halunken,« sagte er, »Ihr seid sammt und sonders Meuchelmörder, und Schandbuben! Ihr habt Euch zu vierzig zusammengerottet, um einen armen Jungen, der Euch Nichte zu Leide gethan hatte, zu ermorden, ins Wasser zu werfen und zu ersäufen. Ich biete Euch allen zusammen den Kampf an. Ihr seid vierzig, kommt und ich werde Euch alle vierzig Einen um den Andern wie Hunde todtschlagen, denn Hunde seid Ihr.«
Die Bauern, Spießbürger und Studenten, an welche diese Einladung zum Sterben erging, bezeugten ganz und gar keine Lust den Kampf mit blanker Waffe gegen einen Mann auszunehmen, der seinen Degen so sieghaft zu führen schien. Als der Schotte Dieß sah, steckte er verachtungsvoll sein Schwert wieder in die Scheide.
»Ihr seid eben so feig als gemein, niederträchtige Schufte!« fuhr er fort, indem er seine Hand über alle Köpfe ausbreitete, »aber ich werde diesen Tod an Leuten rächen, die weniger erbärmlich sind als Ihr denn Ihr seid des Degens eines Edelmanns nicht würdig. Zurück also ihr elende Bauern, und möge Regen und Hagel eure Weinberge Verwüsten und eure Ernten zu Boden schlagen, und zwar so viele Tage lang, so viel Leute Ihr waret, um einen einzigen Menschen zu tödten!«
Aber da es nicht gerecht gewesen wäre diesen Mord ganz ungestraft zu lassen, und da das Blut wiederum Blut fordert, so machte er eine große Pistole von seinem Gürtel los und schoß, ohne zu zielen, mitten unter die Menge.
»Wie es Gott gefällt,« sagte er.
Der Schuß ging los, die Kugel pfiff, und einer der Bursche, die so eben den jungen Mann ins Wasser geworfen hatten, stieß einen Schrei aus, fuhr mit der Hand an seine Brust und sank tödtlich getroffen nieder.
»Und jetzt adieu!« rief er. »Ihr sollt noch öfter von mir hören. Ich heiße Robert Stuart.«
Als er diese Worte sprach, platzten die Wolken, die sich seit gestern am Himmel gesammelt hatten, plötzlich los, und wie der unglückliche Medardus vorausgesagt, fiel einer jener wolkenbruchartigen Regen, wie sie in den Regenzeiten niemals fallen.
Der junge Mann zog sich langsam zurück.
Die Bauern würden ihm unfehlbar nachgelaufen sein, als sie sahen, daß seine Flüche augenblicklich ihre Wirkung hervorbrachten, aber das Donnergrollen, das ihnen den jüngsten Tag anzukündigen schien, der strömende Regen, die Blitze, die ihre Augen blendeten, beschäftigten sie unendlich mehr als der Gedanke an Rache, und von diesem Augenblick an entstand eine allgemeine wilde Flucht.
Das Ufer das so eben noch von fünf bis sechstausend Personen bedeckt gewesen, war jetzt so verlassen wie der Strand eines jener Flüsse der neuen Welt, die der genuesische Schiffer in der letzten Zeit entdeckt hatte.
Der Regen strömte vierzig Tage lang unausgesetzt fort.
Und deßhalb, wir glauben es wenigstens, liebe Leser, deßhalb regnet es, wenn es am St. Medardustag geregnet hat, vierzig Tage später
III.
Das Wirthshaus zum rothen Roß
Wir werden es nicht unternehmen unsern Lesern zu sagen, wohin sich die fünfzig oder sechzigtausend Personen flüchteten, die dem Landifest anwohnten und, als sie so plötzlich von dieser neuen Sündfluth überrascht wurden, in den Hütten, den Häusern, den Schenken und sogar in der Domkirche Schutz suchten.
Es gab damals in der Stadt St. Denis kaum fünf oder sechs Wirthshäuser, und diese füllten sich in einem Augenblick dermaßen; daß manche Personen schneller wieder hinausgingen, als sie hereingekommen waren, weil sie lieber im Regen ertrinken als in der Hitze ersticken wollten.
Das einzige Wirthshaus, das beinahe leer blieb – und diesen Vortheil verdankte es seiner abgesonderten Lage – war das Wirthshause zum rothen Roß, das ein paar Büchsenschußweiten von St. Denis an der Straße stand.
Drei Personen bewohnten für den Augenblick das große rauchige Zimmer, das man emphatisch den Saal der Reisenden nannte, und das neben der Küche und einem über diesem Erdgeschoß befindlichen Speicher, wo die verspäteten Maulthiertreiber und Viehhändler schliefen, für sich allein den ganzen Gasthof bildete. Es war eine Art von Riesenschoppen der sein Licht durch die Thüre erhielt, welche bis ans Dach hinaufragte; die Zimmerdecke bestand nach dem Muster der Arche aus Balken, die sich nach der Form des Daches neigten.
Wie in der Arche kroch eine gewisse Anzahl von Thieren, Hunde, Katzen, Hühner und Enten auf dem Boden herum, und in Ermanglung des Raben, der mit leerem Schnabel zurückkehren sollte, so wie der Taube, welche den Oelzweig heimbrachte, sah man um die rauchgewärzten Balken herum bei Tag Schwalben und bei Nacht Fledermäuse flattern. Die Möbel in diesem Saal beschränkten sich auf die unerläßlichen Utensilien einer Herberge, d. h. auf hängende Tische, so wie auf krüppelhafte Stühle mit oder ohne Lehne.
Die drei Personen, die dieses Zimmer bewohnten, waren der Wirth, seine Frau und ein Reisender von dreißig bis fünfunddreißig Jahren.
Wir wollen sagen, wie diese drei Personen gruppirt waren und mit was sie sich beschäftigten.
Der Wirth, den wir in seiner Eigenschaft als Hausherr zuvörderst in die Scene setzen, beschäftigte sich mit gar Nichts; er saß rittlings vor der Thüre auf einem Strohstuhl, er hatte sein Kinn auf den obern Theil der Lehne gelegt und brummte über das schlechte Wetter.
Seine Frau, die ein wenig hinter ihrem Manne saß, jedoch so, daß sie sich im Lichte befand, spann am Rädchen und, benetzte an ihrem Mund den Faden, den sie aus dem Hauf an ihrer Kunkel hervorzog und unter ihren Fingern drehte.
Der Reisende hatte das Licht nicht gesucht, sondern saß im Gegentheil mit dem Rücken gegen die Thüre im entferntesten Winkel des Zimmers und schien, nach dem Weinkrug und dem Becher zu schließen, die vor ihm standen, Etwas draufgehen zu lassen.
Gleichwohl schien es ihm nicht ums Trinken zu thun zu sein; den Ellbogen auf dem, Tisch, den Kopf in seine Hand gestützt, war er in ein tiefes Nachdenken versunken.
»Verfluchtes Wetter!« brummte der Wirth.
»Du beklagst Dich?« sagte die Frau; »Du hast es ja selbst so verlangt.«
»Das ist wahr,«,versetzte der Wirth, »aber ich habe Unrecht gehabt.«
»Nun, so beklage Dich nicht.«
Bei dieser nicht sehr tröstlichen, aber vollkommen logischen Ermahnung ließ der Wirth seufzend seinen Kopf hängen und hielt sich ruhig. Dieses Schweigen währte etwa zehn Minuten; dann richtete der Wirth den Kopf wieder empor und wiederholte:
»Verdammtes Wetter!«
»Du