»Ihr habt jedoch die Depesche bei Euch?« »
»Hier ist sie, mein Herr.«
Und der junge Mann zog ein versiegeltes Papier aus der Tasche und zeigte es dem Präsidenten.
Der erste Gedanke Minards war, das muß man gestehen, eines Halunken würdig: er dachte daran, seinen Vettern und Neffen, welche diese Besprechung mit einer gewissen Ueberraschung anhörten, ein Zeichen zu geben, daß sie über den Unbekannten herfallen ihm die Depesche entreißen und ihn dann in die Gefängnisse des Chatelet zu den hundert Personen schicken sollten, die wegen der Ermordung des Canzleischreibers Julian Fresne bereits verhaftet waren.
Aber außer der Entschlossenheit, die auf dem Gesicht des jungen Mannes abgeprägt war, welches alle Kennzeichen einer bis zur Halsstarrigkeit getriebenen Willensstärke trug, so daß der Präsident fürchtete, er möchte nicht die nöthige materielle Macht besitzen, um sich des Pergaments zu bemächtigen, dachte er auch, er würde vermöge seiner außerordentlichen Gewandtheit und Feinheit mit List weit eher zum Ziel gelangen als mit Gewalt; er that sich also Zwang an, und da die elegante Haltung des jungen Mannes, sowie seine sorgfältige, obschon strenge Kleidung zum Voraus die Einladung rechtfertigte, die er an ihn zu erlassen gedachte, so ersuchte er ihn, sich an den Tisch zu setzen und mit ihnen zu soupiren, damit er der Entwicklung seiner Erzählung alle nothwendige Zeit widmen könnte.
Der junge Mann dankte ihm höflich, lehnte aber seine Einladung ab.
Der Präsident ersuchte ihn, wenigstens eine Erfrischung anzunehmen, aber der junge Mann lehnte dankend wiederum ab.
»So sprecht doch, mein Herr,« sagte Minard, »und da Ihr Nichts annehmen wollt, so bitte ich Euch um Erlaubniß mein Mahl fortzusetzen; denn ich gestehe Euch offen, daß ich einen gewaltigen Hunger habe.«
»Immer zu, mein Herr!« antwortete der junge Mann, »und guten Appetit! Die Frage, die ich an Euch zu richten habe, ist von solcher Wichtigkeit, daß einige Vorfragen zu ihrem Verständnis, nöthig werden. Eßt, Herr Präsident, ich werde fragen.«
»Fragt, mein Herr; ich esse,« sagte der Präsident.
Und wirklich begann er, indem er seinen Gästen ein Zeichen gab es ihm gleichzuthun, mit einem Appetit zu essen, der das gegebene Programm nicht Lügen strafte
»Mein Herr,« begann der Unbekannte langsam mitten unter dem Geräusch von Gabeln und Messern, das indeß Jeder möglichst zu dämpfen suchte, um kein Wort von der bevorstehenden Erzählung zu verlieren, »mein Herr, Ihr müßt aus meinem Accent bereits ersehen haben, daß ich ein Ausländer bin?«
»In der That,« antwortete der Präsident mit vollem Mund, »Ihr habt etwas Englisches in Eurem Accent.«
»Es ist wahr, mein Herr, und Euer gewöhnlicher Scharfblick hat sich in Beziehung auf mich bewährt, Ich bin in Schottland geboren und würde noch dort sein, wenn nicht ein Ereigniß, das ich Euch nicht zu erzählen brauche, mich genöthigt hätte nach Frankreich zu kommen. Einer meiner Landsleute, ein feuriger Anhänger von Knox. . .«
»Ein englischer Ketzer, nicht wahr, mein Herr,« fragte der Präsident Minard, indem er sich ein volles Glas Burgunder einschenkte.
»Mein vielgeliebter Lehrer,« antwortete der Unbekannte sich verbeugend.
Herr Minard sah seine ganze Gesellschaft mit einer Miene an, welche deutlich sagte: »Gebt wohl Acht, ihr lieben Leute, Ihr werdet da schöne Dinge zu hören bekommen.«
Robert Stuart fuhr fort:
»Einer meiner Landsleute, ein feuriger Anhänger von Knor, befand sich vor einigen Tagen in einem Haus, wohin ich selbst zuweilen komme: man sprach da vom Todesurtheil gegen den Rath Anne Dubourg.«
Die Stimme des jungen Mannes zitterte, als er diese legten Worte sprach, und sein schon vorher blasses Gesicht wurde noch blässer.
Nichtsdestoweniger wollte er fortfahren, ohne daß seine Stimme die Veränderung auf seinem Gesichte zu theilen schien; aber als er bemerkte, daß alle Blicke sich gegen ihn kehrten, sagte er:
»Als mein Landsmann nur den Namen Anne Dubourg aussprechen hörte, erblaßte ersichtlich wie vielleicht ich selbst in diesem Augenblicke thue, und fragte die Personen, die von dieser Verurtheilung sprachen, ob es möglich sei, daß das Parlament eine solche Ungerechtigkeit begehe.«
»Mein Herr,« rief der Präsident, der seinerseits beinahe seinen Mund nicht mehr fand, als er diese ungewohnten Worte hörte. »Ihr wißt doch daß Ihr mit einem Mitglied des Parlaments sprecht, nicht wahr?«
»Entschuldigt, mein Herr,« antwortete der Schotte, »mein Landsmann ist es, der sich so ausdrückte; er sprach nicht von einem Parlamentsmitglied, sondern vor einem einfachen Canzleischreiber des Parlarments Namens Julian Fresne, der gestern ermordet worden ist. Julian Fresne beging jetzt die Unvorsichtigkeit vor meinem Landsmann zu sagen: Ich habe in meiner Tasche ein Schreiben von dem gnädigsten Herrn Herzog von Guise, worin er dem Parlament des Königs bedeutet, daß es die Geschichte mit einem gewissen Anne Dubourg endlich einmal abmachen und denselben so schnell als möglich abfertigen solle.«
»Als mein Landsmann diese Werte hörte, schauderte er und wurde noch blässer, er erhob sich, ging auf Julian Fresne zu und bestürmte ihn mit allen erdenklichen Bitten, er möchte diesen Brief nicht forttragen; er stellte ihm vor, daß, wenn Anne Dubourg verurtheilt würde ein Theil der Todesschuld auf ihn selbst zurückfalle, allein Julian Fresne war unerbittlich.«
»Mein Landsmann grüßte den Canzleischreiber und erwartete ihn vor dem Hause; er ließ ihn einige Schritte thun, dann ging er auf ihn zu Julian Fresne, sagte er ganz leise und in sanftesten Ton, aber mit der größten Festigkeit zu ihm, Du hast die ganze Nacht, um zu überlegen; aber wenn Du morgen um diese Stunde Deine Absicht ausgeführt oder nicht aufgegeben hast, so bist Du des Todes.«
»Oh! Oh! machte der Präsident.
»Und auf gleiche Weise,« fuhr der Schotte fort, »werden alle Diejenigen sterben, die mittelbar oder unmittelbar zum Tode von Anne Dubourg mitgewirkt haben.«
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