Man war also im Jahr 1559, und wenn man die Ordnung sah, womit das Collegium sich in Marsch zu setzen begann, so hätte man auf hundert Meilen nicht an die Ausschweifungen gedacht, denen es sich überlassen sollte, sobald es einmal angekommen war.
Diesmal also zog wie gewöhnlich die Cavalcade in ziemlich guter Ordnung auf, kam in die große Rue St. Jacques, ohne allzu viel Lärm zu machen, stieß vordem Chatelet angelangt eines jener Verwünschungshurrahs aus, zu denen nur Pariser Volkshaufen fähig sind – denn die Hälfte der Mitglieder, welche die Versammlung bildeten, kannte gewiß die unterirdischen Gefängnisse dieses Monuments anders als von bloßen Höransagen – und nach dieser Kundgebung, welche immerhin eine kleine Herzenserleichterung war, drang sie in die Rue St. Denis.
Laß uns ihr vorangehen, geneigter Leser, und sodann in der äbtlichen Stadt St. Denis Platz nehmen, um daselbst einer Episode des Festes anzuwohnen, welche sich an die Geschichte knüpft, die zu erzählen wir unternommen haben.
Das officielle Fest war allerdings in der Stadt, in der Hauptstraße der Stadt selbst; in der Stadt und besonders in der Hauptstraße war es, wo die Barbiere, die Bierwirthe, Tapetenmacher, Krämer, Weißzeughändlerinnen, Kummetmacher, Sattler, Sailer, Spornmacher, Lederhändler, Weißgerber, Rothgerher, Schuhmacher, Muldenmacher, Tuchmacher, Wechsler, Goldschmiede, Gewürzkrämer und besonders die Schenkwirthe in hölzernen Buden, die sie schon zwei Monate vorher hatten erbauen lassen, ihren Geschäften oblagen.
Wer vor etwa zwanzig Jahren dem Markt von Beaucaire oder, noch einfacher, vor zehn Jahren dem Jahrmarkt von St. Germain angewohnt hatte, der kann sich einen Begriff von der Landimesse machen, wenn er das Gemälde, das er in diesen beiden Lokalitäten gesehen, auf riesige Verhältnisse ausdehnt.
Wer aber regelmäßig jedes Jahr diese selbe Landimesse besuchte, die man noch in unsern Tagen in der Unterpräfectur der Seine feiert, der kann sich, wenn er sieht was sie jetzt ist, schlechterdings keine Vorstellung von dem machen, was sie früher war.
Statt dieser düstern schwarzen Kleider, die bei allen Festen unwillkürlich als eine Erinnerung an Trauer, als eine Protestation der Traurigkeit, der Königin dieser armen Welt, gegen die Heiterkeit, die nur als Usurpatorin erscheint, selbst die am wenigsten Melancholischen wehmüthig stimmen, schimmerte diese ganze Masse in hellen Tuchkleidern, in Gold und Silberstoffen mit Borten, Tressen, Federn, Bändern, Sammt, golddurchwirktetn Tafft, Atlas mit Silberlahn, diese ganze Menge, sagen wir, funkelte der Sonne und schien ihr ihre glühendsten Strahlen in Blitzen zurückzusenden; in der That war niemals ein ähnlicher Luxus von den obersten bis in die untersten Schichten der Gesellschaft entfaltet worden, und obschon seit dem Jahr 1543 zuerst Franz I. und dann Heinrich IV. zwanzig Luxusgesetze erlassen hatten, so waren dieselben doch niemals zur Ausführung gekommen.
Die Erklärung dieses unerhörten Luxus ist höchst einfach. Die Entdeckung der neuen Welt durch Columbus und Americas Vespucius, so wie die Kriegszüge eines Fernando Cortez und Pizarro nach dem berühmten Königreich Cathay, das von Marco Polo angezeigt worden, hatten eine solche Menge baar Geld nach ganz Europa geworfen, daß ein Schriftsteller dieses Jahrhunderts sich über das Ueberfluthen des Luxus so wie über das Steigen der Waarenpreise beklagt, die sieh, wie er behauptet, binnen achtzig Jahren mehr als vervierfacht hatten.
Inzwischen war die pittoreske Seite des Festes nicht in St. Denis selbst. Zwar hatte die Ordonnanz des Parlaments es in die Stadt verlegt, aber die unendlich mächtigere Ordonnanz des Volkes hatte es an den Fluß versetzt. Somit war die Messe in St. Denis, das Fest aber am Ufer. Da wir nichts zu laufen haben, so wollen wir uns hiermit an das Ufer unterhalb der Insel St. Denis begeben, um allda zu sehen und zu hören, wie es zugeht.
Die Cavalcade, die wir vom St. Genovefaplatz aus die Rue St. Jacques hinabziehen, das Chatelet mit einem Hurrah begrüßen und von da in die Rue St. Denis einmünden sahen, hatte zwischen elf und halb zwölf ihren Einzug in der königlichen Necropole gehalten; sodann entwischten die Studenten gleich Schafen, die man bei ihrer Ankunft auf der Wiese in Freiheit läßt, ihren Professoren und ergossen sich theils über die Felder, theils über die Stadt, theils über das Seineufer hin.
Es war, das muß man gestehen, für sorglose Herzen – dergleichen es auch jetzt noch, obschon nur wenige, gibt – ein herrlicher Anblick, da und dort im Sonnenschein, auf dem Gras des Uferrandes, eine Meile in der Runde frische Studenten von zwanzig Jahren zu den Füßen schöner junger Mädchen mit Schnürleibchen von rothem Atlas, Wangen von rosenfarbigem Atlas und Hälsen von weißem Atlas liegen zusehen.
Dies Augen Boccoacios mußten den azurnen Teppich des Himmels durchdringen und liebevoll auf diesen gigantischen Decameron herabschauen. »Der erste Theil des Tages verging ganz gut. Man hatte warm und trank. Man hatte Hunger und aß. Man ruhte sitzend oder liegend aus. Dann begannen die Unterhaltungen lärmend zu werden und die Köpfe sich zu erhitzen. Gott weiß, wie viele Weintöpfe gefüllt und geleert, wieder gefüllt und wieder geleert, aufs Neue gefüllt und zuletzt zerschlagen wurden, worauf man einander die Scherben an die Köpfe warf.
So kam es, daß gegen drei Uhr das Ufer mit theils ganzen, theils zerbrochenen Töpfen und Tellern, mit vollen und leeren Tassen, mit Paaren, die in zärtlicher Umarmung auf dem Rasen lagen, mit Ehemännern, die fremde Frauenzimmer für ihre Weiber, mit Weibern, die ihre Liebhaber für ihre Männer nahmen, bedeckt, daß, sagen wir, das Ufer, das kaum noch grün, frisch gewesen und wie ein Dorf am Arnostrande gefunkelt hatte, jetzt einer Teniersschen Landschaft glich, die einer flämischen Kirchmeß als Rahmen diente.
Auf einmal erhob sich ein furchtbares Geschrei.
»Ins Wassers ins Wasser!« rief man.
Alles erhob sich, das Geschrei wurde immer arger.
»Ins Wasser mit dem Ketzer! ins Wasser mit dem Protestanten! ins Wasser mit dem Hugenotten! ins Wasser mit dem Gottlosen! ins Wasser, ins Wasser, ins Wasser!«
»Was gibt es denn, riefen zwanzig, hundert, tausend Stimmen.
»Er hat Gott gelästert, er hat an der Vorsehung gezweifelt, er hat gesagt, es werde regnen.«
So unschuldig diese Anklage auf den ersten Blick erscheinen mochte, so rief sie doch eine ungeheure Aufregung unter der Menge hervor. Die Menge amüsirte sich und wäre wüthend gewesen, wenn ein Gewitter sie in ihren Lustbarkeiten gestört hätte. Die Menge hatte ihre Sonntagskleider an und wäre wüthend gewesen, wenn der Regen ihre Sonntagskleider verderbt hätte. Das Geschrei in Folge dieser Aufklärung wurde daher immer ärger. Man näherte sich dem Ort, woher die Stimmen kamen, und allmählig drängte sich ein so dichter Volkshaufen dort zusammen, daß selbst der Wind Mühe gehabt hätte durchzukommen.
Inmitten dieser Gruppe, die beinahe von sich selbst erstickt wurde, kämpfte sich ein junger Mensch von etwa zwanzig Jahren ab, in dem man leicht einen vermummten Studenten erkannte; mit blassen Wangen, bleichen Lippen, aber geballten Fäusten schien er darauf zu warten, daß kühnere Angreifer als die andern, statt sich mit bloßem Geschrei zu begnügen, wirklich Hand an ihn legten, und dann wollte er Alles zu Boden schlagen, was ihm unter die beiden Streitkolben geriethe, die seine geschlossenen Fäuste bildeten.
Er war ein großer Blondin, aber ziemlich mager und leibarm; er sah aus wie eines der als Herrn verkleideten galanten Jüngfernchen, von denen wir so eben sprachen; seine Augen mußten, wenn sie gesenkt waren, die außerordentlichste Ehrlichkeit anzeigen, und wenn die Demuth eine menschliche Gestalt angenommen hätte, so würde sie keinen andern Typus gewählt haben als denjenigen, welchen das Gesicht dieses Jünglings darbot.
Welches Verbrechen konnte er doch begangen haben, daß dieser ganze Volkshaufe ihm zu Leibe wollte, daß diese ganze Meute hinter ihm herbellte, daß all diese Arme sich ausstreckten, um ihn ins Wasser zu werfen?
II.
Worin erklärt ist, warum es, wenn's am St. Medardustag regnet, vierzig Tage später regnet
Wir