„Thanos?“ sagte Ceres. Dieser Name genügt, sie zum Stehen zu bringen. Sie drehte sich abermals zum Thron um, auf dem die Königin noch immer saß. „Was hast du getan? Wo ist er?“
Sie sah, wie das Lächeln der Königin breiter wurde. „Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“
Ceres spürte, wie Wut und Ungeduld in ihr die Oberhand gewannen. Nicht, weil die Königin ihr spottete, sondern wegen der Gefahr, die das für Thanos bedeuten konnte.
Die Königin lachte erneut. Dieses Mal stimmte niemand mit ein. „Du bist den ganzen Weg hierher gekommen, und du bist nicht einmal im Bilde darüber, dass dein Lieblingsprinz den König getötet hat.“
„Thanos würde niemanden töten!“ beharrte Ceres.
Sie wusste nicht einmal, warum sie das eigentlich sagte. Niemand konnte ernsthaft glauben, dass Thanos so etwas tun konnte!
„Er wird trotzdem dafür sterben“, antwortete Königin Athena mit einer Ruhe, die Ceres auf sie zustürmen ließ, um ihr eine Klinge an den Hals zu drücken.
In diesem Moment waren alle Gedanken an ein Ende der Gewalt vergessen.
„Wo ist er?“ fragte sie. „Wo ist er?“
Sie sah, wie die Königin erbleichte, und ein Teil von Ceres freute sich darüber. Königin Athena verdiente es, Angst zu haben.
„Der südliche Hof. Er wartet auf seine Hinrichtung. Du wirst sehen, du bist keinen Deut besser als wir.“
Ceres schleuderte sie vom Thron auf den Boden. „Kann sie jemand wegbringen, bevor ich etwas mit ihr anstelle, das ich bereuen werde?“
Ceres rannte aus dem Saal und bahnte sich ihren Weg durch das Kampfgedränge. Hinter ihr hörte sie das Gelächter von Königin Athena.
„Du wirst zu spät kommen! Du wirst ihn nicht mehr retten können.“
KAPITEL SIEBEN
Stephania beobachtete im Sitzen den Horizont und versuchte das Schaukeln des Schiffs so gut es eben ging zu ignorieren. Sie wartete auf den Moment, in dem sie den Kapitän des Boots würde töten können.
Dass sie es tun musste, stand außer Frage. Felene war wie ein Geschenk der Götter gewesen, als Stephania und ihre Zofe auf sie in Delos gestoßen waren. Felene hatte ihnen ermöglicht, Delos zu verlassen und den Weg nach Felldust zu finden. Von Thanos gesandt.
Doch weil sie zu Thanos gehörte, würde sie sterben müssen. Die Tatsache, dass sie treu genug gewesen war, sie bis hierher zu bringen, zeigte, dass sie zu treu war, um ihr das anzuvertrauen, was Stephania als Nächstes zu tun gedachte. Die einzige Frage war der Zeitpunkt.
Der war ein Balanceakt. Stephania blickte auf und sah die über ihr fliegenden Seevögel.
„Sie sind ein Zeichen dafür, dass wir uns dem Ufer nähern, oder?“ fragte sie.
„Sehr gut, Prinzessin“, sagte Felene. Sie ließ von Elethe ab, der sie gerade aus nächster Nähe versucht hatte, das Fischen vom Bug aus beizubringen. Die Laxheit ihrer Ansprache ärgerte Stephania, doch sie tat ihr bestes, ihren Ärger zu verbergen.
„Also sind wir bald da?“
„Noch eine kleine Weile und wir sollten Land sehen“, sagte Felene. „Danach noch eine weitere Weile und dann erreichen wir das Fischerdorf, in dem wir die Leute von Elethes Onkel finden sollten. Warum? Keine Lust mehr zu kotzen?“
„Es gibt tatsächlich viele Dinge, auf die ich Lust hätte“, antwortete Stephania. Fester Boden unter den Füßen gehörte zweifelsohne dazu. Morgenübelkeit vertrug sich nicht sonderlich gut mit Seekrankheit.
Das war nur einer der Gründe, weshalb sie Felene besser früher als später töten musste. Früher oder später würde sie bemerken, dass Stephania schwanger war, und das widersprach der von ihr erzählten Geschichte über Lucious, und wie er sie gezwungen hatte, sein Gift zu nehmen.
Wann sollte es sein? In Stephanias Augen war ihre Schwangerschaft kaum noch zu übersehen. Ihr Kleid spannte über dem wachsenden Bauch; ihr Körper hatte sich auf so viele Arten verändert, seitdem Leben in ihr wuchs. Sie legte wie automatisch eine Hand auf ihren Unterbauch, so als wolle sie das Leben dort drinnen beschützen, es wachsen lassen, dass es stark würde. Felenes volle Aufmerksamkeit richtete sich noch immer auf Elethe. So leicht fiel sie einem hübschen Gesicht zum Opfer.
Das war ein weiterer Faktor, den sie bei der Bemessung des Zeitpunkts mit einbeziehen musste. Sie musste warten bis sie nahe genug am Land waren, doch wenn sie zu lange wartete, lief sie Gefahr, dass sich die Loyalitätsverhältnisse ihrer Zofe verlagerten. So nützlich Felene auch war, Elethe würde weitaus nützlicher sein, wenn es darum ging, den Zauberer ausfindig zu machen. Doch nicht nur das, die Zofe gehörte ihr.
Vorerst musste Stephania jedoch weiterwarten, denn sie wollte den Kahn nicht steuern, solange kein Land in Sicht war. Sie wartete und beobachtete, wie Felene ihrer Zofe half, einen zappelnden Fisch an Bord zu ziehen. Sie schnitt ihm den Kopf mit einem äußerst scharf aussehenden Messer ab. Dass sie Stephania dabei einen Blick zuwarf, verriet dieser, dass ihr die Zeit davonlief.
Das, was sie dort trieb, fachte Stephanias Entschluss nur noch weiter an. Auf Felldust wartete der Zauberer, der Uralte getötet hatte. Felldust würde ihr einen Weg aufzeigen, Ceres auszuschalten. Danach... Danach konnte sie sich um Thanos kümmern und ihr Kind in eine Waffe gegen ihn verwandeln.
„So weit hätte es gar nicht kommen müssen“, sagte Stephania und stand auf, sodass sie über die Reling blicken konnte.
„Was hast du gesagt, Prinzessin?“ fragte Felene.
„Ich habe gesagt, ist das Land dort drüben?“ fragte Stephania.
Tatsächlich erhob sich der schwarze Dunst, der Felldusts Küste ankündigte, dort am Horizont. Erst war er nichts als eine schwache Linie, die sich wie eine steinige Sonne über die Wellen erhob, doch dann konnte Stephania sie klar ausmachen.
„Ahoi“, sagte Felene und trat an die Reling, um besser Ausschau halten zu können. „Schon bald wirst du heil und sicher an Land sein, Prinzessin.“
Stephanias Hand verschwand in ihrem Mantel. Mit der nur Giftbrauern eigenen großen Vorsicht umschloss ihre Hand einen Pfeil. „Felene, es gibt etwas, das ich dir seit Anbeginn unserer Reise sagen wollte.“
„Worum geht’s, Prinzessin?“ fragte Felene mit einem spöttischen Grinsen.
„Ganz einfach“, sagte Stephania mit einem ebenso breiten Grinsen. „Nenn mich nicht Prinzessin!“
Ihre Hand schoss hervor und der Pfeil blitzte in der Sonne als er sich in Richtung von Felenes exponiertem Gesicht machte.
Schmerz flammte in ihrem Handgelenk auf und Stephania brauchte einen Moment, bis sie erkannte, dass Felene ihren Ellenbogen hatte hochschnellen lassen, um ihn Stephanias Arm entgegenzusetzen. Stephanias Hand sprang auf und sie musste mit ansehen, wie der Pfeil über Bord ging.
Schon brannte ihre Wange, nachdem Felene ihr so hart ins Gesicht geschlagen hatte, dass Stephania zurücktaumelte. Das war nicht der vorsichtige Hieb eines adligen Mädchens. Das war die Ohrfeige eines Matrosen, der Kraft genug hatte, Stephania damit auf die Planken des Decks zu befördern.
„Glaubst du etwa, ich wäre dumm?“ fragte Felene. „Glaubst du etwa, ich würde nicht wissen, dass du auf diesen Moment seit unserer Abreise hingearbeitet hättest?“
„Ich – “ begann Stephania, doch das Brausen in ihren Ohren ließ sie nicht fortfahren.
„Du hast Glück, dass du Thanos’ Kind in dir trägst, sonst würde ich dich jetzt an die Haie verfüttern!“