„Sie werden bereit sein“, sagte einer der Kampfherren neben Ceres, als die sich dem Schloss näherten.
Ceres schüttelte den Kopf. „Sie werden uns kommen sehen. Das ist etwas anderes, als bereit zu sein.“
Niemand konnte auf das gefasst sein. Ceres scherte sich nicht darum, wie viele Männer dem Reich jetzt noch blieben oder wie schwer seine Mauern einzunehmen waren. Sie hatte eine ganze Stadt auf ihrer Seite. Sie und die Kampfherren sausten durch die Straßen über die breite Promenade, die sie zu den Toren des Schlosses führen würde. Sie waren die Speerspitze und die Menschen von Delos und diejenigen die von Lord Wests Männern übrig geblieben waren, folgten ihnen in einem Meer aus Hoffnung und Wut.
Ceres nahm Rufe wahr, als sie sich dem Schloss weiter näherten. Hörner erschollen und Soldaten versuchten, überstürzt eine wirkungsvolle Verteidigung zu errichten.
„Es ist zu spät“, sagte Ceres. „Sie können uns nicht mehr aufhalten.“
Doch sie wusste, dass es Dinge gab, die sie nach wie vor tun konnten. Die Mauern begannen Pfeile auszuspucken, dessen Zahl zwar nicht an die des tödlichen Regens auf Lord Wests Truppen herankam, die aber dennoch gefährlich genug für diejenigen ohne Rüstung war. Ceres sah, wie einer sich in die Brust des Mannes neben ihr bohrte. Eine Frau ging hinter ihr schreiend zu Fall.
„Die mit Schilden und Rüstung zu mir“, schrie Ceres. „Alle anderen machen sich zum Angriff bereit.“
Doch die Schlosstore begannen sich bereits zu schließen. Ceres hatte ein Bild vor Augen, in dem die Welle ihrer Gefolgschaft von einem gigantischen Schiffskörper gebrochen wird, doch sie drosselte das Tempo nicht. Wellen konnten Schiffe auch verschlingen. Selbst wenn die großen Tore sich mit einem donnernden Knall schlossen, würden sie sie nicht aufhalten. Sie wusste nur, dass es sie eine größere Anstrengung kosten würde, das bösartige Reich auszuweiden.
„Klettern!“ schrie sie den Kampfherren zu und steckte ihre Schwerter in ihre Hüllen, sodass sie an den Mauern emporklettern konnte. Der raue Stein war mit genügend Griffmöglichkeiten gespickt, dass jeder, der genügend Mut besaß, es versuchen konnte und die Kampfherren waren mehr als mutig, es zu wagen. Sie folgten ihr. Ihre muskulösen Körper zogen sich das Steinwerk hinauf als wäre es eine Übung, die sie von ihren Kampfmeistern aufbekommen hätten.
Ceres hörte, wie diejenigen hinter ihr nach Leitern verlangten und wusste, dass die gewöhnlichen Menschen der Rebellion ihr schon bald folgen würden. Jetzt musste sie sich erst einmal auf den bröckligen Stein unter ihren Händen konzentrieren und die Kraft, die sie brauchte, um sich von einem Griff zum nächsten zu hangeln.
Ein Speer flog an ihr vorbei, der offenkundig von jemandem über ihr kam. Ceres drückte sich flach an die Mauer, ließ ihn vorbeizischen und kletterte weiter. Solange sie an der Mauer hing, würde sie ein Ziel bleiben. Darum war weiter zu klettern ihre einzige Option. Ceres war dennoch froh, dass ihnen nicht genug Zeit blieb, kochendes Öl oder brennenden Sand als Schutz gegen kletternde Eindringlinge zuzubereiten.
Sie erreichte den oberen Rand der Mauer und fand sich sofort einer der verteidigenden Wachen gegenüberstehend. Ceres war froh, dass sie die erste hier oben war, denn nur ihre Geschwindigkeit rettete sie in diesem Augenblick. Sie griff nach ihrem Gegner und zog ihn von seinem Platz über die Festungsmauer. Er stürzte schreiend in die brodelnde Masse ihrer Gefolgschaft.
Ceres sprang auf die Mauer, zog ihre Klingen und schlug rechts und links zu. Ein zweiter Mann kam auf sie zu. Sie wehrte sich und versenkte eine Klinge dort, wo sie hingehörte. Von der Seite kam ein Speer auf sie zugeflogen, er blitzte in ihrer Rüstung auf. Ceres schlug mit brutaler Kraft zu. Innerhalb von Sekunden hatte sie einen Kreis auf der Mauer um sich freigemäht. Kampfherren strömten über die Kante und füllten den Kreis.
Einige der Wächter versuchten zurückzuschlagen. Ein Mann holte mit einer Axt nach Ceres aus. Sie duckte sich und hörte, wie sie sich in den Stein hinter ihr grub. Dann rammte sie eines ihrer Schwerter in seine Eingeweide. Sie trat nach ihm, und er flog hinab in den Hof. Sie steckte einen Hieb gegen ihre Klingen ein und stieß einen weiteren Mann zurück.
Die Wachen waren zu wenige, um die Mauer zu halten. Einige machten sich aus dem Staub. Diejenigen, die ihr Glück versuchten, bezahlten mit ihrem Leben. Einer rannte mit einem Speer auf Ceres zu und sie spürte, wie er ihr Bein aufschlitzte, als sie knapp auswich. Sie schlug auf Beinhöhe zu, um ihren Gegner auszubremsen. Dann schlitzte sie ihm den Hals auf, um ihm endgültig den Garaus zu machen.
Diese eilig errichtete Bastion weitete sich schnell in etwas aus, das einer sich nähernden Wellenfront ähnelte. Ceres machte Stufen aus, die sie zu den Toren führen würden. Sie nahm vier Stufen gleichzeitig und hielt nur an, um die Schläge eines Wächters abzuwehren. Sie verpasste ihm einen Tritt, sodass er zu Boden ging. Der Kampfherr hinter ihr kümmerte sich um den Wächter, und Ceres konnte sich wieder auf die Tore konzentrieren.
Ein großes Rad, mit dem man offenbar das Bollwerk öffnen konnte, stand neben den Toren. Fast ein dutzend Wächter umringten es. Sie versperrten den Zugang zum Rad und versuchten mit der Horde Menschen dahinter fertigzuwerden.
Ceres stürmte, ohne zu zögern, auf das Rad zu.
Sie durchbohrte die Rüstung eines Wächters, zog ihr Schwert und duckte sich unter dem Hieb eines Zweiten hinweg. Sie ritzte ihm den Oberschenkel auf, sprang wieder auf die Füße und säbelte einen Dritten zu Boden. Sie hörte das Prasseln von Pfeilen auf den Pflastersteinen und schleuderte eine ihrer Klingen. Sie hörte einen Schrei, als sie ihr Ziel erreichte. Sie griff nach dem Schwert eines sterbenden Wächters, gesellte sich wieder zu den andern Kämpfenden und schon war sie mit den anderen wieder vereint.
Chaos brach aus, denn die Wächter verstanden, dass dies ihre letzte Chance sein würde, die Rebellion draußen zu halten. Einer kam mit zwei Klingen auf Ceres zu und sie setzte ihre beiden ihm Schlag für Schlag entgegen. Sie spürte die Kraft mit jedem Hieb, den sie mit einer Schnelligkeit abwehrte, der andere wohl kaum im Stande waren zu folgen. Dann rammte sie dem Wächter zwischen zwei Hieben ihre Klinge in die Kehle. Sie zog weiter, noch bevor er zusammengebrochen war und wehrte einen Axthieb ab, der einem Kampfherrn hätte gelten sollen.
Sie konnte nicht alle von ihnen retten. Ceres erblickte um sich scheinbar niemals endend wollende Auswüchse der Gewalt. Sie sah, wie einer der Kampfherren, der das Stadion überlebt hatte, an sich hinab auf ein Schwert blickte, das seine Brust durchbohrt hatte. Er langte nach dem Angreifer und versetzte ihm einen finalen Schlag mit seiner Klinge, während er selbst bereits zusammenbrach. Ceres sah einen anderen Mann gegen drei Wächter gleichzeitig kämpfen. Er tötete einen, doch noch bevor er seine Klinge wieder aus dem leblosen Körper ziehen konnte, wurde er von der Seite erstochen.
Ceres griff an und kämpfte die beiden Verbleibenden zu Boden. Der Kampf um das Rad, welches das Tor öffnen würde, stand kurz vor seiner unvermeidbaren Auflösung. Es war unvermeidbar, denn die Kampfherren sensten die Wächter wie reife auf die Ernte wartende Ähren nieder. Doch auch das machten die Gewalt und die Gefahr nicht weniger real. Ceres duckte sich gerade noch rechtzeitig unter einem Schlag hinweg und schleuderte den Angreifer zurück zu seinesgleichen. Sobald sie freie Bahn hatte, legte Ceres ihre Hände an das Rad und drehte es mit all der Kraft, die ihre Energie ihr gewährte. Sie hörte das Krächzen des Rades und das langsame Knarzen des sich auftuenden Tors.
Menschen strömten hinein, ergossen sich über den Innenhof. Ihr Vater und Bruder waren unter den ersten, die durch die Lücke kamen. Sie rannten auf sie zu, um sich ihr anzuschließen. Ceres gestikulierte mit ihrem Schwert.
„Verteilen!“ schrie sie. „Nehmt das Schloss ein. Tötet nur die, die ihr wirklich töten müsst. Jetzt ist die Zeit der Freiheit gekommen, nicht die des Schlachtens. Das Reich wird heute noch fallen!“
Ceres lief an die Spitze der Menge und geleitete sie in Richtung des Thronsaals.