Ceres durchbrach die Nebelwand so plötzlich als würde ein Schleier gelüftet. Jetzt lag die See ruhig und ohne die aus dem Wasser ragenden Felsen vor ihr. Sofort konnte sie sehen, dass sich etwas verändert hatte. Das Licht des Mondes erschien ihr jetzt irgendwie heller und um sie türmten sich farbenfrohe Nebelstreifen in der Nacht. Selbst die Sterne schienen verändert, sodass Ceres sich nicht wie zuvor an den vertrauten Konstellationen der Gestirne orientieren konnte. Ein Komet zog seine Bahn über den Horizont, sein feuriges Rot gemischt mit Gelb und anderen Farben schienen nicht von dieser Welt.
Noch seltsamer war die Kraft, deren Puls Ceres in sich spürte, so als würde sie auf die neue Umgebung reagieren. Sie schien sich in ihr auszubreiten, sich zu öffnen und ihr diesen neuen Ort auf hundert neue, nie zuvor erfahrene Wege zu erschließen.
Ceres sah, wie sich aus dem Wasser eine Gestalt erhob, ein langer Serpentinenhals tauchte auf und verschwand mit einem Platschen und unter Wasserspritzern gleich wieder in den Wogen. Noch einmal erschien die Kreatur kurz und Ceres hatte den Eindruck, dass etwas Gigantisches an ihr im Wasser vorbeischwamm. Dann war es fort. Im Mondlicht flatterten Wesen, die wie Vögel aussahen, und erst als Ceres näher kam, sah sie, dass es silberne Motten waren, größer als ihr Kopf.
Plötzlich befiel ein schwerer Schlaf ihre Lider und Ceres schob den Ruderstock zur Seite, legte sich nieder und ließ sich vom Schlaf entführen.
***
Ceres erwachte vom Vogelgezänk. Das Sonnenlicht blendete sie und sie setzte sich auf. Sie sah, dass es gar keine Vögeln waren. Zwei Kreaturen mit katzengleichen Körpern zogen wie Adler über ihr ihre Bahnen. Ihre Raubtierschnäbel waren zum Schreien geöffnet. Doch schienen sie sich nicht zu nähern, umkreisten nur das Boot und flogen schließlich davon.
Ceres’ Blick folgte ihnen und fiel am Ende des Horizonts auf einen kleinen Fleck, eine Insel, auf die sie zuflogen. Ceres setzte so schnell sie konnte wieder das kleine Segel und versuchte so den Wind zu fangen, der blies und sie in Richtung der Insel tragen würde.
Der Fleck wurde größer und etwas, das erneut nach Felsen aussah, ragte immer größer werdend aus dem Ozean je näher Ceres kam. Doch diese Felsen waren anders als diejenigen, auf die sie zuvor im Nebel gestoßen war. Diese waren quaderförmig und aus regenbogenfarbigem Marmor gefertigt. Einige sahen aus wir die Türme von großen schon lange von den Wellen verschluckten Gebäuden.
Ein halber Steinbogen ragte aus dem Wasser. Er war so riesig, dass Ceres sich die unter Wasser liegenden Gesamtausmaße des Gebäudes kaum vorstellen konnte. Sie blickte über den Rand ihres Bootes und das Wasser war so klar, dass sie bis auf den Grund sehen konnte. Es war nicht besonders tief und Ceres konnte die Überreste eines alten Gebäudes dort unten ausmachen. Sie waren so nah, dass sie mit angehaltenem Atem zu ihnen hinab hätte schwimmen können. Dass sie es nicht tat, lag zum einen an dem was dort im Wasser lauerte und an dem was dort vor ihr lag.
Hier lag sie. Die Insel auf der sie Antworten bekommen würde, auf der sie mehr über ihre Kräfte lernen würde.
Wo sie endlich ihre Mutter treffen würde.
KAPITEL VIER
Lucious schwenkte sein Schwert herum und erfreute sich daran, wie es im Morgengrauen funkelte bevor er es in dem alten Mann, der ihm in die Quere gekommen war, versenkte. Um ihn herum sorgten seine Männer dafür, dass sowohl diejenigen die es wagten, sich zu widersetzen als auch jene, die so dumm waren zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Er grinste als sich die Schreie um ihn erhoben. Es gefiel ihm, wenn die Bauern versuchten zu kämpfen, denn es gab seinen Männern die Gelegenheit ihnen zu zeigen, wie schwach sie mit ihnen verglichen wirklich waren. Wie viele hatte er bereits in Plünderungen wie dieser umgebracht? Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, mitzuzählen. Warum sollte er diesem Pack über das notwendige Maß hinaus auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenken?
Lucious sah, wie die Bauern begannen davonzurennen und gestikulierte in Richtung einiger seiner Männer. Diese rannten ihnen nach. Rennen war fast noch besser als kämpfen, denn darin lag die Herausforderung sie wie Beute, die sie schließlich waren, einzufangen.
„Euer Pferd, Hoheit?“ fragte einer der Männer, der Lucious’ Hengst zu ihm führte.
Lucious schüttelte seinen Kopf. „Ich denke, ich brauche meinen Bogen.“
Der Mann nickte und reichte Lucious einen eleganten in Silber gefassten Recurvebogen aus Weißesche und Horn. Er spannte einen Bogen ein, zog die Sehne und ließ los. In der Ferne ging einer der flüchtenden Bauern zu Boden.
Niemand kämpfte mehr, aber das hieß nicht, dass sie hier fertig waren. Noch lange nicht. Bauern die versucht hatten sich zu verstecken, konnten genauso unterhaltsam sein, wie jene die davonliefen oder kämpften. Es gab unzählige Wege einerseits die zu quälen, die so aussahen als besäßen sie Gold und andererseits die zu töten, die für die Rebellen Sympathien hegten. Das brennende Rad, der Galgen, die Schlinge... was würde ihm heute gefallen?
Lucious gab einigen seiner Männer ein Zeichen, die Türen einzutreten. Gelegentlich mochte er es auch, die Häuser einfach in Brand zu setzen, um diejenigen, die sich darin versteckten, herauszulocken. Doch waren die Häuser wertvoller als die Bauern. Eine Frau kam herausgerannt. Lucious fing sie ab und schleuderte sie in Richtung einer der Sklavenhalter, die sich ihnen wie Möwen, die einem Fischerboot folgten, angeschlossen hatten.
Er stolzierte in den Tempel des Dorfes. Der Priester lag bereits auf dem Boden und hielt sich seine gebrochene Nase während Lucious’ Männer Gold und Silber in einen Sack stopften. Eine Frau im Gewand einer Priesterin kümmerte sich um ihn. Lucious bemerkte die blonde Strähne, die unter ihrer Kutte hervorguckte. Die Ähnlichkeit ihrer feinen Züge ließ ihn einen Moment stutzen.
„Das könnt ihr nicht machen“, beharrte die Frau. „Wir sind ein Tempel!“
Lucious griff nach ihr und streifte ihr die Kapuze vom Kopf um sie sich genauer anzusehen. Sie war keine Doppelgängerin von Stephania – keiner Frau von niederer Herkunft wäre das gelungen – aber sie war ihr ähnlich genug, um sie eine Weile zu behalten. Zumindest bis ihm langweilig wurde.
„Ich wurde vom König gesandt“, sagte Lucious. „Sag mir nicht, was ich nicht tun könnte!“
Zu viele Menschen in seinem Leben hatten das versucht. Sie hatten versucht ihn in seine Schranken zu weisen, wenn er doch die einzige Person des Reichs war, dem alles offen stand. Seine Eltern hatten es versucht, doch er würde schließlich eines Tages König sein. Er würde König sein, was auch immer er in der Bibliothek gefunden hatte als der alte Cosmas geglaubt hatte, er sei zu dumm, um zu verstehen. Thanos würde lernen, wo sein Platz war.
Lucious griff fester nach dem Haar der Priesterin. Auch Stephania würde lernen, wohin sie gehörte. Wie konnte sie es wagen, Thanos zu heiraten, als wäre er der begehrte Prinz? Nein, Lucious würde einen Weg finden, um das richtigzustellen. Er würde einen Keil zwischen Thanos und Stephania treiben, so wie er die Häupter von allen seinen Widersachern gespalten hatte. Er würde sich Stephania zur Frau nehmen, schließlich gehörte sie nicht nur Thanos, sondern war auch das perfekte Beiwerk für jemanden seines Ranges. Er würde es genießen und bis dahin würde ihm die Priesterin, die er sich hier geangelt hatte, als Ersatz dienen.
Er warf sie einem seiner Männer zur Obhut zu und setzte seine Suche nach weiterer Unterhaltung im Dorf fort. Als er nach draußen trat sah er, wie zwei seiner Männer einen Dorfbewohner, der versucht hatte davonzulaufen, mit ausgebreiteten Armen festbanden.
„Warum habt ihr den am Leben gelassen?“ fragte Lucious.
Einer von ihnen grinste. „Tor hier hat mir von etwas erzählt, das sie Nordmänner tun. Sie nennen es den Blutadler.“
Das gefiel Lucious. Er war schon drauf und dran nachzufragen, worum es sich genau handelte, als er den Ruf einer seiner Späher, die nach Rebellen Ausschau halten sollten, vernahm. Lucious