Stein breitete sich über der Blume aus wie Frost über einem Fenster, doch nicht nur oberflächlich. Eine Sekunde später war es getan und ihre Mutter hielt eine jener Steinblumen in der Hand, die Ceres weiter unten auf de Insel gesehen hatte.
„Hast du es gespürt?“ fragte Lycine.
Ceres nickte. „Aber wie hast du das gemacht?“
„Spüre es noch einmal.“ Sie pflückte eine weitere Blume und dieses Mal vollzog sie die Verwandlung der Blätter zu Marmor und des Stiels zu Granit unglaublich langsam. Ceres versuchte die Bewegung der Kraft in ihre nachzuvollziehen und es kam ihr so vor, als würde ihre eigene Kraft darauf antworten und es ihr gleichtun.
„Gut“, sagte Lycine. „Dein Blut weiß es. Jetzt versuch es selbst.“
Sie hielt Ceres eine Blume entgegen. Ceres griff nach ihr, konzentrierte sich die Kraft in ihr zu fassen zu bekommen und ihr die Gestalt zu geben, die sie bei ihrer Mutter gespürt hatte.
Die Blume explodierte.
„Gut“, sagte Lycine mit einem Lachen, „das hätte ich nicht erwartet.“
Ihre Reaktion war so anders als die der Mutter, mit der sie aufgewachsen war. Sie hatte Ceres für jeden noch so kleinen Fehler geschlagen. Lycine reichte ihr einfach eine neue Blume.
„Atme tief durch“, sagte sie. „Du weißt bereits, wie es sich anfühlen muss. Dringe zu dem Gefühl durch. Stell es dir vor. Lass es geschehen.“
Ceres versuchte es noch einmal und dachte an das, was sie gespürt hatte, als ihre Mutter ihre Blume verwandelt hatte. Sie nahm das Gefühl und füllte es mit ihrer Kraft so wie ihr Vater eine Form in der Schmiede mit flüssigem Eisen gefüllt hätte.
„Öffne deine Augen, Ceres“, sagte Lycine.
Ceres hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sie geschlossen hatte bis ihre Mutter es erwähnte. Sie zwang sich die Augen zu öffnen, auch wenn sie in diesem Moment Angst hatte. Als sie die Augen schließlich geöffnet hatte, starrte sie ungläubig auf das, was sie dort vor sich sah. Sie hielt eine perfekt geformte, versteinerte Blüte, die sie mit ihrer Kraft in etwas Basaltartiges verwandelt hatte, in der Hand.
„Ich habe das getan?“ fragte Ceres. Selbst im Bewusstsein der Fähigkeiten, zu denen sie imstande war, erschien es ihr immer noch beinahe unmöglich.
„Das hast du getan“, sagte ihre Mutter und Ceres konnte den Stolz darin hören. „Jetzt müssen wir es nur noch schaffen, dass es dir auch mit geöffneten Augen gelingt.“
Das brauchte länger und wesentlich mehr Versuchsblumen. Doch Ceres fand Gefallen an der Übung. Mehr als nur das, jedes Mal wenn ihre Mutter sich über ihre Versuche freute, spürte Ceres, wie sich ein wohliges Gefühl in ihr ausbreitete. Selbst als die Minuten zu Stunden wurden, gab sie nicht auf.
„Ja“, sagte ihre Mutter schließlich, „besser geht es nicht.“
Nicht nur das; es fiel ihr leicht. Es fiel ihr leicht, nach einer Blume zu greifen und die Kräfte in ihr zu erwecken. Sie zu bündeln. Es war leicht, eine makellose steinerne Blume zu kreieren. Erst als ihre Energie langsam nachließ, merkte sie, wie müde sie war.
„Es reicht“, sagte ihre Mutter und nahm ihre Hand. „Deine Kraft zehrt Energie und Mühe. Selbst die stärksten unter uns könnten nicht mehr schaffen.“ Sie lächelte. „Doch deine Kraft weiß nun, wie es funktioniert. Sie wird erwachen, wenn dich jemand bedroht oder wenn du sie erweckst. Sie wird auch noch mehr als das tun können.“
Ceres spürte einen Funken der Kraft ihrer Mutter und sie erkannte das volle Ausmaß ihrer Kraft. Sie sah die Steingebäude und Gärten in einem neuen Licht, als Dinge die mit dieser Kraft auf eine den Menschen fremde Art und Weise geschaffen worden waren. Sie war erfüllt. Vollständig.
Ein wenig Freude schien aus dem Gesicht ihrer Mutter zu weichen. Ceres hörte sie seufzen.
„Was ist?“ fragte Ceres.
„Ich wünschte nur, wir hätten mehr Zeit füreinander“, sagte Lycine. „Ich würde dir gerne die Türme hier zeigen und dir die Geschichte meines Volkes erzählen. Ich würde gerne mehr von diesem Thanos erfahren, den du so sehr geliebt hast und dir die Gärten zeigen, deren Bäume nie ein Sonnenstrahl berührt hat.“
„Dann mach das doch“, sagte Ceres. Sie hatte das Gefühl, für immer hier bleiben zu wollen. „Zeig mir alles. Erzähl mir von der Vergangenheit. Erzähl mir von meinem Vater und was geschehen ist, als ich geboren wurde.“
Doch ihre Mutter schüttelte nur den Kopf.
„Du bist noch nicht bereit dafür. Wie ich bereits sagte, das Schicksal kann zu einem Gefängnis werden, Liebling, und dich erwartet ein größeres Schicksal als die meisten Menschen.“
„Ich habe Teile davon gesehen“, gab Ceres zu und dachte an die Träume, die sie auf dem Boot immer wieder heimgesucht hatten.
„Dann weiß du auch, warum wir nicht zusammenbleiben und eine Familie sein können, wie sehr wir uns das auch wünschten“, sagte ihre Mutter. „Doch vielleicht hält die Zukunft solch eine Zeit für uns bereit. Das und noch mehr.“
„Doch zunächst muss ich zurück, oder?“ sagte Ceres.
Ihre Mutter nickte.
„Das musst du“, sagte sie. „Du musst zurückkehren, Ceres. Zurückkehren und Delos aus den Fängen des Reichs befreien, so wie es für dich bestimmt worden ist.“
KAPITEL SIEBEN
Stephania konnte kaum glauben, dass sie bereits seit sechs Wochen mit Thanos vermählt war. Doch die nahende Feier des Blutmondes bedeutete genau das. Sechs Wochen Glückseligkeit, jede davon so wunderbar, wie sie es sich erhofft hatte.
„Du siehst fantastisch aus“, sagte sie, als sie Thanos in den Gemächern des Schlosses, die sie nun teilten, musterte. In der tiefroten Seide und dem roten Gold und Rubinen war er ein Bild für die Götter. An manchen Tagen konnte sie kaum glauben, dass er jetzt ihr gehörte. „Rot steht dir.“
„Es sieht aus, als hätte ich in Blut gebadet“, antwortete Thanos.
„Genau darum geht es doch beim Blutmond“, hob Stephania hervor. Sie lehnte sich nach vorne, um ihn zu küssen. Sie mochte es, dass sie das tun konnte, wann immer es ihr gefiel. Wenn sie Zeit gehabt hätten, hätte sie vielleicht noch ganz andere Dinge versucht.
„Es spielt eigentlich keine Rolle, was ich anhabe“, sagte Thanos. „Niemand wird mir Beachtung schenken, wenn du an meiner Seite bist.“
Ein anderer Mann hätte dieses Kompliment vielleicht besser verpacken, doch Thanos’ unvermittelte Art hatte auch etwas für sich, das Stephania mehr bedeutete als die formvollendetesten Gedichte dieser Welt.
Außerdem hatte sie sich tatsächlich alle Mühe gegeben, das schönste Kleid Delos’ auszusuchen. Es schimmerte in verschiedenen Rottönen wie Flammen, die sie einhüllten. Sie hatte sogar einen Schneider bestochen, um sicherzustellen, dass das Original einer Kleinadligen aus der Stadt hoffnungslos zu spät fertig werden würde.
Stephania hielt Thanos ihren Arm entgegen und er nahm ihn und geleitete sie in Richtung der großen Festhalle, wo sie auch ihre Hochzeit gefeiert hatten. Was er schon sechs Wochen her, dass sie geheiratet hatten? Sechs Wochen des Glücks, die sich Stephania kaum schöner hätte vorstellen können und die sie gemeinsam in den speziell für sie von der Königin bereitgestellten Gemächern im Schloss verbracht hatten. Es gab sogar Gerüchte, dass der König Thanos ein neues Gebäude unweit der Stadt vermachen wollte. Seit sechs Wochen waren sie das begehrteste Paar der Stadt, das, wo auch immer sie hinkamen, bejubelt wurde. Das hatte Stephania sehr genossen.
„Denk