“Das ist wahrscheinlich nur ein obszöner Anrufer,” sagte sie und gab vor ruhig zu sein. “Aber ich kann das Büro bitten es trotzdem zu überprüfen. Ich kann auch einen Streifenwagen vor deinem Haus postieren, wenn du Angst hast. Sie können die Anrufe zurückverfolgen.”
“Nein!” rief Marie scharf. “Nein!”
Riley sah sie verwirrt an.
“Warum nicht?” fragte sie.
“Ich will ihn nicht wütend machen,” sagte Marie mit einem mitleiderregenden Wimmern.
Riley, überfordert und mit dem Gefühl kurz vor einer Panikattacke zu stehen, wurde klar, dass es eine schlechte Idee gewesen war Marie zu besuchen. Sie fühlte sich nicht besser sondern schlechter. Sie wusste, dass sie keinen Moment länger in diesem bedrückenden Raum sitzen konnte.
“Ich muss gehen,” sagte Riley. “Es tut mir so leid. Meine Tochter wartet.”
Marie griff plötzlich mit überraschender Kraft nach Rileys Handgelenk, sodass sich ihre Nägel in die Haut gruben. Sie starrte Riley mit einer solchen Intensität aus ihren eisblauen Augen an, dass es ihr Angst machte. Dieser furchteinflößende Blick brannte sich in ihre Seele.
“Nimm den Fall an,” drängte Marie.
Riley konnte in ihren Augen sehen, dass Marie den neuen Fall und Peterson verwechselte, sie ineinander überlaufen ließ.
“Finde diesen Hurensohn,” sagte Marie. “Und tote ihn für mich.”
Kapitel 5
Der Mann folgte der Frau auf kurzer Distanz aber war diskret und sah nur flüchtig zu ihr herüber. Er legte einige Artikel in seinen Einkaufskorb, damit er wie jeder andere Kunde aussah. Er gratulierte sich selbst dazu wie unauffällig er sich machen konnte. Niemand erahnte seine wahre Macht.
Auf der anderen Seite war er nie die Art von Mann gewesen, die viel Aufmerksamkeit erregte. Als Kind hatte er sich praktisch unsichtbar gefühlt. Jetzt, endlich, konnte er seine Harmlosigkeit zu seinem Vorteil nutzen.
Nur Momente zuvor hatte er direkt neben ihr gestanden, kaum einen Meter entfernt. Darin vertieft ihr Shampoo auszusuchen, hatte sie ihn nicht bemerkt.
Aber er wusste viel über sie. Er wusste, dass sie Cindy hieß, dass ihr Mann eine Kunstgallerie besaß und dass sie in einer freien Klinik arbeitete. Heute war einer ihrer freien Tage. Jetzt sprach sie mit jemandem am Telefon – ihre Schwester, so wie es sich anhörte. Sie lachte über etwas, das die Person zu ihr sagte. Er kochte vor Wut und fragte sich, ob sie über ihn lachte, wie es all die Mädchen getan hatten. Seine Wut nahm weiter zu.
Cindy trug kurze Hosen, ein Tank Top und teuer aussehende Laufschuhe. Er hatte sie aus seinem Auto beim Joggen beobachtete, bis sie ihren Lauf beendete und in den kleinen Supermarkt kam. Er kannte ihre Routine an einem arbeitsfreien Tag wie diesem. Sie würde die Einkäufe mit nach Hause nehmen, sie wegpacken, duschen und dann ihren Mann zum Mittagessen treffen.
Ihre gute Figur verdankte sie einer Menge Bewegung. Sie war nicht mehr als dreißig Jahre alt, aber die Haut um ihre Oberschenkel war nicht mehr fest. Sie hatte wahrscheinlich einmal viel Gewicht verloren, vielleicht erst vor Kurzem. Sie war zweifellos stolz darauf.
Plötzlich begab sich die Frau zur nächsten Kasse. Der Mann wurde davon überrascht. Sie hatte ihren Einkauf früher als üblich beendet. Er beeilte sich um in die Reihe hinter ihr zu kommen und schubste dabei beinahe einen anderen Kunden beiseite. Er machte sich im Stillen Vorwürfe dafür.
Als die Kassiererin die Artikel der Frau über die Kasse zogen, stellte er sich nahe an sie heran – nah genug um ihren Körper zu riechen, jetzt schwitzend und mit stechendem Geruch nach einem anstrengenden Lauf. Es war ein Geruch, mit dem er sich schon bald sehr viel vertrauter machen würde. Aber er würde mit etwas anderem vermischt sein – einem Geruch, der ihn faszinierte.
Den Geruch von Schmerz und Horror.
Für einen Moment fühlte sich der Mann beschwingt, sogar angenehm benommen, vor gespannter Erwartung.
Nachdem sie ihre Lebensmittel bezahlt hatte, schob sie den Einkaufswagen durch die automatischen Glastüren auf den Parkplatz.
Er hatte es jetzt nicht eilig seine Handvoll von Artikeln zu bezahlen. Er musste ihr nicht nach Hause folgen. Er war schon dort gewesen – hatte sich sogar in das Haus geschlichen, ihre Kleidung in Händen gehalten. Er würde seine Verfolgung wieder aufnehmen, wenn sie zur Arbeit fuhr.
Nicht mehr lange, dachte er. Ganz und gar nicht lange.
Nachdem Cindy MacKinnon in ihren Wagen gestiegen war, saß sie für einen Moment unbeweglich hinter dem Steuer. Sie fühlte sich zittrig und wusste nicht warum. Sie erinnerte sich an das seltsame Gefühl, das sie im Supermarkt gehabt hatte. Es war das unheimliche, irrationale Gefühl beobachtet zu werden. Aber es war mehr als das. Es dauerte eine Weile, bis sie es genau benennen konnte.
Schließlich wurde ihr klar, dass es sich angefühlt hatte, als wolle ihr jemand etwas antun.
Sie schüttelte sich. In den letzten Tagen war das Gefühl ständig gekommen und gegangen. Sie tadelte sich selbst, dass sie so schreckhaft war. Es gab sicherlich keinen Grund dafür.
Sie schüttelte noch einmal den Kopf und versuchte auch die letzten Reste des Gefühls loszuwerden. Als sie den Wagen startete zwang sie sich dazu an etwas anderes zu denken und lächelte bei dem Gedanken an ihre Unterhaltung mit ihrer Schwester, Becky. Später an diesem Nachmittag würde Cindy ihr helfen eine große Geburtstagsparty für ihre drei Jahre alte Tochter zu geben; mit Kuchen, Luftballons und allem drum und dran.
Das wird ein wunderschöner Tag werden, dachte sie.
Kapitel 6
Riley saß im Geländewagen neben Bill, als er den Gang wechselte, um den Wagen die Hügel hochzufahren, und sie wischte ihre schweißnassen Hände an ihrer Hose ab. Sie wusste nicht, was sie von diesem Schwitzen halten sollte und sie war sich nicht sicher was sie hier tat. Nach sechs Wochen Abwesenheit schien sie das Gefühl für ihre Instinkte verloren zu haben. Es fühlte sich unwirklich an zurück zu sein.
Riley war durch die befangene Anspannung zwischen ihnen verstört. Sie und Bill hatten kaum gesprochen während der Fahrt. Ihre alte Kameradschaft, ihre Verspieltheit, ihr harmonisches Verhältnis – nichts von all dem war spürbar. Riley war sich relativ sicher, dass sie wusste, warum Bill so distanziert war. Es war nicht Grobheit, sondern Sorge. Er schien die gleichen Zweifel wie sie über ihre Rückkehr zum Job zu haben.
Sie fuhren in Richtung Mosby State Park, wo Bill das neueste Mordopfer gesehen hatte. Während der Fahrt nahm Riley die geographische Beschaffenheit um sich herum auf und langsam schien sich ihre Professionalität wieder einzustellen. Sie wusste, dass sie sich zusammenreißen musste.
Finde den Hurensohn und töte ihn für mich.
Maries Worte verfolgten sie, trieben sie an und machten ihre Entscheidung einfach.
Aber nichts schien wirklich einfach zu sein. Zum einen konnte sie nicht aufhören sich um April Sorgen zu machen. Sie zu ihrem Vater zu schicken war für keinen von ihnen eine ideale Situation. Aber es war Samstag und Riley wollte nicht bis Montag warten um den Tatort zu sehen.
Das anhaltende Schweigen verstärkte ihre Beklemmungen und sie verspürte das dringende Bedürfnis zu reden. Sie zerbrach sich den Kopf um etwas zu finden, das sie sagen konnte.
“Also, wirst du mir erzählen, was zwischen dir und Maggie los ist?”
Bill drehte sich mit einem überraschten Gesichtsausdruck zu ihr. Sie konnte nicht sagen, ob er von ihrer direkten Frage überrascht war oder der Tatsache, dass sie das Schweigen gebrochen hatte? Welcher Grund auch immer es war, sie bereute es sofort. Ihre Direktheit, so sagten viele Leute, konnte abschreckend sein. Sie war nicht absichtlich schroff – sie wollte einfach keine Zeit verschwenden.
Bill seufzte.
“Sie denkt, ich habe eine Affäre.”
Riley sah ihn überrascht an.
“Was?”
“Mit