Die Antwort schien Riley so offensichtlich, dass sie ein ungeduldiges Stöhnen unterdrücken musste.
“Er war noch nicht gut genug,” sagte sie. “Er war noch dabei herauszufinden, wie er seine Nachricht vermitteln konnte. Er hat noch gelernt.”
Bill sah von seinem Notizblock hoch und schüttelte bewundernd den Kopf.
“Verdammt, ich habe dich vermisst.”
So sehr sie sein Kompliment auch zu schätzen wusste, merkte Riley, dass eine noch größere Erkenntnis auf dem Weg war. Und sie wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass sie sie nicht erzwingen konnte. Sie musste sich einfach entspannen und sie zu sich kommen lassen. Sie hockte schweigend auf dem Felsen und wartete darauf, dass es passierte. Während sie wartete, zog sie gedankenverloren die Kletten von ihrer Hose.
Nervige Dinger, dachte sie.
Plötzlich fiel ihr Blick auf die Fläche unter ihren Füßen. Andere kleine Kletten, manche von ihnen ganz, andere in kleine Stücke zerbrochen, lagen zwischen den Kletten, die sie selber gerade abgesammelt hatte.
“Bill,” sagte sie mit vor Aufregung zitternder Stimme, “waren diese kleinen Kletten hier, als ihr die Leiche gefunden habt?”
Bill zuckte mit den Achseln. “Ich weiß es nicht.”
Ihre Hände zitterten und schwitzten mehr als je zuvor. Sie suchte durch den Fotostapel, bis sie eine Frontalansicht der Leiche fand. Dort, zwischen ihren gespreizten Beinen, gleich neben der künstlichen Rose, waren kleine, braune Flecken. Das waren die Kletten – die gleichen Kletten, die sie gerade gefunden hatte. Aber niemand hatte gedacht sie wären wichtig. Niemand hatte sich die Mühe gemacht eine nähere, schärfere Aufnahme davon zu machen. Und niemand hatte sich die Mühe gemacht sie wegzufegen, als der Tatort gereinigt wurde.
Riley schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie fühlte sich benommen, fast schwindelig. Auch das war ein Gefühl, das sie nur zu gut kannte – das Gefühl in einen tiefen Abgrund zu fallen, in ein schreckliches schwarzes Nichts, direkt in den Geist des Killers. Sie schlüpfte in seine Schuhe, in seine Erlebnisse. Es war ein gefährlicher und beängstigender Ort. Aber sie gehörte dort hin, zumindest jetzt gerade. Sie musste es annehmen.
Sie fühlte das Selbstvertrauen des Mörders, während er die Leiche den Pfad zum Bach herunterschleppte, fest davon überzeugt, dass er nicht erwischt werden würde und daher nicht in Eile. Er könnte gesummt oder gepfiffen haben. Sie fühlte seine Geduld, sein Können, als er die Leiche auf dem Felsen drapierte.
Und sie konnte die grauenhafte Szene aus seinen Augen sehen. Sie fühlte die tiefe Befriedigung über einen gut erledigten Job – die gleiche Art von Erfüllung, die sie erlebte, wenn sie einen Fall lösten.
Er hatte auf diesem Felsen einen Moment innegehalten um sein Werk zu bewundern.
Während er das tat, hatte er die Kletten von seiner Hose gesammelt. Er wartete nicht einmal bis er unbeobachtet in Sicherheit war. Er hatte sich Zeit genommen. Und sie konnte ihn die gleichen Worte sagen hören.
“Nervige Dinger.”
Ja, er hatte sich sogar die Zeit genommen alle abzusammeln.
Riley atmete tief ein und öffnete die Augen. Eine der Kletten in der eigenen Hand drehend, bemerkte sie, wie klebrig sie waren und spitz genug um möglicherweise etwas DNA an sich zu sammeln.
“Sammel diese Kletten ein,” wies sie ihn an. “Wir könnten vielleicht sogar DNA finden.”
Bill sah sie aus großen Augen an und zog sofort eine Ziplocktüte und eine Pinzette aus der Tasche. Während er die kleinen Kugeln einsammelte, arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren.
“Wir hatten Unrecht,” sagte sie. “Das ist nicht sein zweiter Mord. Es ist sein Dritter.”
Nun sah Bill sie wirklich völlig perplex an.
“Woher weißt du das?” fragte er.
Rileys Körper spannte sich an, als sie versuchte das Zittern unter Kontrolle zu bringen.
“Er ist zu gut geworden. Seine Ausbildungszeit ist vorbei. Er ist jetzt ein Profi. Und er fängt gerade erst an. Er liebt seine Arbeit. Nein, das hier ist mindestens sein Dritter.”
Rileys Hals wurde eng und sie schluckte hart.
“Und es wird nicht lange bis zum Nächsten dauern.”
Kapitel 7
Bill fand sich in einem Meer aus blauen Augen, keine davon echt. Er hatte normalerweise keine Albträume von einem Fall und er hatte auch jetzt keinen – aber es fühlte sich definitiv so an. In der Mitte des Puppenladens konnte man den blauen Augen nicht entkommen; alle weit offen, glänzend und wachsam.
Die kleinen kirschroten Lippen der Puppen, die meisten lächelnd, waren ebenso beunruhigend. Genau wie das penibel gekämmte, künstliche Haar, so steif und unbeweglich. Als er all diese Details betrachtete, fragte Bill sich, wie er die Absicht des Killers nicht hatte sehen können – seine Opfer so puppenähnlich wie möglich erscheinen zu lassen. Er hatte Riley gebraucht um die Verbindung herzustellen.
Gott sei Dank ist sie zurück, dachte er.
Trotzdem machte Bill sich Sorgen um sie. Er war von ihrer brillanten Arbeit im Mosby Park geblendet gewesen, aber auf der Fahrt zurück sah sie erschöpft und demoralisiert aus. Sie hatte kaum etwas zu ihm gesagt. Vielleicht war es doch zu viel für sie gewesen.
Er wünschte sich das Riley jetzt mit ihm hier wäre. Sie hatten entschieden, dass es besser wäre sich aufzuteilen, um schneller voranzukommen. Dagegen konnte er nichts sagen. Sie hatte ihn gebeten die Puppenläden in diesem Gebiet zu überprüfen, während sie sich den letzten Tatort noch einmal ansah.
Bill sah sich um und war leicht überfordert. Er fragte sich, was Riley von diesem Laden halten würde. Es war der eleganteste den er bisher gesehen hatte. Am Rand der großen Umgehungsstraße kam vermutlich viel reiche Kundschaft aus dem Norden Virginias.
Bill schlenderte durch die Regale und eine kleine Puppe fiel ihm ins Auge. Mit ihrem pinken Lächeln und der bleichen Haut erinnerte sie ihn besonders an das letzte Opfer. Auch wenn sie mit ihrem pinken Kleidchen vollständig angezogen war, saß sie in einer verstörend ähnlichen Position.
Plötzlich wurde Bill von einer Stimme neben sich überrascht.
“Ich denke Sie sind in der falschen Abteilung.”
Bill drehte sich um und stand einer stämmigen, kleinen Frau mit einem warmen Lächeln gegenüber. Etwas an ihr sagte ihm, dass sie hier das Sagen hatte.
“Warum sagen Sie das?” fragte Bill.
Die Frau lachte leicht.
“Weil Sie keine Töchter haben. Ich sehe einem Mann auf einen Kilometer Entfernung an, ob er Töchter hat oder nicht. Fragen Sie nicht wie, es ist nur eine Art Instinkt, nehme ich an.”
Bill war verblüfft und auch beeindruckt.
Sie reichte ihm die Hand.
“Ruth Behnke,” sagte sie.
Bill schüttelte ihre Hand.
“Bill Jeffreys. Ich nehme an Ihnen gehört der Laden.”
Sie lachte wieder.
“Ich sehe Sie haben auch ihre Instinkte,” sagte sie. “Freut mich Sie kennenzulernen. Aber Sie haben Söhne, oder? Ich würde sagen, drei?”
Bill lächelte. Ihre Instinkte waren mehr als gut. Er nahm an, dass sie und Riley sich gut verstehen würden.
“Zwei,” erwiderte er. “Aber ziemlich nah dran.”
Sie zwinkerte ihm zu.
“Wie alt?” fragte sie.
“Acht und zehn.”
Sie sah sich um.
“Ich weiß nicht, ob ich hier viel für sie habe. Oh, ich habe tatsächlich ein paar altmodische Soldaten im nächsten Gang. Aber das ist nichts, was