Bill seufzte, die Bilder brachten alles zurück. Egal wie lange er schon dabei war, es schmerzte ihn jedes Mal ein Opfer zu sehen.
“Rogers’ Leiche wurde aufrecht sitzend gegen einen Baum gelehnt gefunden,” fuhr Bill mit düsterer Stimme fort. “Nicht ganz so sorgfältig positioniert wie die im Mosby Park. Keine Kontaktlinsen oder Vaseline, aber die meisten der anderen Details stimmen überein. Rogers’ Haare waren abgeschnitten, nicht rasiert, aber es gab eine ähnliche, zusammengenähte Perücke. Sie wurde ebenfalls mit einer pinken Schleife erdrosselt und eine künstliche Rose lag vor ihr.”
Bill hielt einen Moment inne. Er hasste, was er als nächstes sagen musste.
“Paige und ich konnten den Fall nicht lösen.”
Spelbren drehte sich zu ihm.
“Was war das Problem?” fragte er.
“Was war nicht das Problem?” gab Bill mit einem unnötig abwehrenden Ton zurück. “Wir konnten keinen einzigen richtigen Hinweis finden. Wir hatten keine Zeugen; die Familie des Opfers konnte uns keine hilfreichen Informationen geben; Rogers hatte keine Feinde, keinen Exmann, keinen wütenden Liebhaber. Es gab nicht einen guten Grund, warum sie gekidnappt und getötet wurde. Der Fall ist sofort im Sand verlaufen.”
Bill wurde still. Düstere Gedanken fluteten seinen Kopf.
“Tun Sie das nicht,” sagte Meredith in einem ungewohnt sanften Ton. “Es war nicht Ihre Schuld. Sie hätten nichts tun können, um den neuen Mord zu verhindern.”
Bill wusste seine Freundlichkeit zu schätzen, aber er fühlte sich unglaublich schuldig. Warum hatte er den Fall nicht vorher lösen können? Warum hatte Riley es nicht gekonnt? Es gab wenige Momente, in denen er so vollkommen ratlos gewesen war.
In diesem Moment brummte das Handy von Meredith und der Chef nahm den Anruf entgegen.
Das erste was er sagte, war “Scheiße!”
Er wiederholte es einige Male. Dann sagte er, “Sie sind sich sicher, dass sie es ist?” Er hielt inne. “Gab es eine Lösegeldforderung?”
Er stand aus seinem Stuhl auf und verließ den Konferenzraum, wo die anderen drei Männer in verwirrter Stille zurückblieben. Nach ein paar Minuten kam er zurück. Er sah älter aus.
“Meine Herren, wir befinden uns jetzt im Krisenzustand,” verkündete er. “Wir haben gerade eine positive Identifikation des neuen Opfers bekommen. Ihr Name war Reba Frye.”
Bill fühlte sich, als hätte man ihm einen Schlag in den Magen verpasst; er konnte sehen, dass Spelbren ebenso geschockt war. Aber Flores sah weiterhin verwirrt aus.
“Sollte ich wissen, wer das ist?” fragte er.
“Ihr Mädchenname ist Newbrough,” erklärte Meredith. “Die Tochter des Senators Mitch Newbrough – wahrscheinlich Virginias nächster Gouverneur.”
Jetzt verstand auch Flores.
“Ich hatte nicht gehört, dass sie als vermisst galt,” sagte Spelbren.
“Es wurde nicht offiziell bekannt gegeben,” sagte Meredith. “Ihr Vater wurde bereits informiert. Und natürlich denkt er, dass es politisch ist oder persönlich – oder beides. Selbst wenn genau das gleiche einem anderen Opfer vor sechs Monaten widerfahren ist.”
Meredith schüttelte den Kopf.
“Der Senator wird uns Druck machen,” fügte er hinzu. “Eine Presse Lawine ist kurz davor uns zu treffen. Dafür wird er sorgen, um uns Feuer unter dem Hintern zu machen.”
Bill hasste es sich zu fühlen, als wäre er mit einer Situation überfordert. Aber das war genau das, was jetzt in ihm vorging.
Eine ernste Stille legte sich über den Raum.
Schließlich räusperte sich Bill.
“Wir werden Hilfe brauchen,” sagte er.
Meredith drehte sich zu ihm und Bill traf seinen harten Blick. Plötzlich zeigten sich Sorge und Missbilligung auf seinem Gesicht. Er wusste offensichtlich, was Bill dachte.
“Sie ist noch nicht so weit,” antwortete Meredith, dem bewusst war, dass Bill sie zurückbringen wollte.
Bill seufzte.
“Sie kennt den Fall besser als jeder sonst,” erwiderte er, “und es gibt niemanden, der klüger wäre.”
Nach einer Pause gab Bill sich einen Ruck und sagte, was er wirklich dachte.
“Ich denke nicht, dass ich es ohne sie schaffe.”
Meredith tippte ein paar Mal mit seinem Bleistift auf das Notizpapier vor ihm. Es war ihm anzusehen, dass er diese Entscheidung lieber nicht treffen würde.
“Das ist ein Fehler,” sagte er. “Aber wenn sie zusammenbricht, dann ist es Ihr Fehler.” Er seufzte noch einmal. “Rufen Sie sie an.”
Kapitel 3
Die Teenagerin die ihm die Tür öffnete, sah aus, als würde sie Bill sie gleich wieder vor der Nase zuschlagen. Stattdessen wirbelte sie herum, ließ die Türe offen stehen und ging zurück ins Haus.
Bill trat in den Flur.
“Hi, April,” sagte er automatisch.
Rileys Tochter, eine mürrische, schlaksige Vierzehnjährige, mit dem dunklen Haar und den nussbraunen Augen ihrer Mutter, gab keine Antwort. Nur mit einem übergroßen T-Shirt bekleidet, ihre Haare durcheinander, ging April um die Ecke und ließ sich auf die Couch fallen. Sie schien außer ihrem Handy und den Kopfhörern in ihren Ohren nichts wahrzunehmen.
Bill stand unbehaglich in der Tür, unsicher was er tun sollte. Riley hatte ihm erlaubt sie zu besuchen nachdem er sie angerufen hatte, wenn auch nur zögerlich. Hatte sie ihre Meinung geändert?
Bill sah sich um, während er weiter durch das düstere Haus ging. Er kam ins Wohnzimmer und sah, dass alles ordentlich und aufgeräumt war – typisch für Riley. Er bemerkte allerdings auch die zugezogenen Gardinen und die dünne Staubschicht auf den Möbeln und das sah ihr gar nicht ähnlich. Auf einem Bücherregal sah er eine Reihe glänzender, neuer Thriller Taschenbücher, die er ihr in der Hoffnung gekauft hatte, dass sie dadurch abgelenkt werden würde. Nicht einer der Buchrücken sah geknickt aus.
Bills Besorgnis vertiefte sich. Das war nicht die Riley, die er kannte. Hatte Meredith recht? Brauchte sie mehr Zeit? Machte er das Falsche, indem er sie in einen neuen Fall zog bevor sie bereit war?
Bill straffte die Schultern und ging weiter, bis er um eine Ecke bog und Riley alleine in der Küche sitzend fand. Sie saß am Küchentisch in ihrem Morgenmantel und Hausschuhen, mit einer Tasse Kaffee vor ihr. Sie sah auf und er bemerkte einen Ausdruck von Verlegenheit, als hätte sie vergessen, dass er kommen wollte. Aber sie erholte sie schnell und überspielte die Verlgenheit mit einem schwachen Lächeln als sie aufstand.
Er trat auf sie zu und gab ihr eine Umarmung, die sie erwiderte, wenn auch nur schwach. In ihren Hausschuhen war sie etwas kleiner als er. Sie war sehr dünn geworden, zu dünn, und seine Besorgnis nahm weiter zu.
Er setze sich ihr gegenüber an den Tisch und sah sie aufmerksam an. Ihre Haare waren sauber, aber nicht gekämmt und es sah aus, als hätte sie seit Tagen nur diese Hausschuhe getragen. Ihr Gesicht sah eingefallen aus, zu bleich, und viel, viel älter als das letzte Mal, als er sie vor fünf Wochen gesehen hatte. Sie sah aus, als wäre sie durch die Hölle gegangen. Das war sie auch. Er versuchte nicht darüber nachzudenken, was der letzte Mörder ihr angetan hatte.
Sie wich seinem Blick aus und beide saßen in einem unangenehmen Schweigen zusammen. Bill war sich so sicher gewesen, dass er genau wusste,