»Nichts zu leid gethan, Mr. Jean, aber los lassen müßt ihr mich, denn Missis sieht schon scharf nach mir herüber und ich habe viel zu thun. – Da kommen noch andere Gäste.«
»Polly, ich habe dir etwas zu sagen«, flüsterte ihr Jean jetzt leise und rasch in's Ohr – »willst du mir nachher nur auf wenige Secunden hinausfolgen?«
»Ich weiß noch nicht«, sagte das Mädchen halblaut und machte sich von ihm los. Die Augen wußten es aber und sagten ja, und Jean leerte sein Glas auf einen Zug.
»Hallo, schon wieder so geschäftig?« lachte Bill, der zuerst eintretende von den englischen Matrosen, »da ist ja die ganze Bescheerung bei einander, und Jean hat alle Hände voll zu thun, wie ich sehe. Guten Abend Mac Carther, guten Abend Missis – jung und schön wie eine Rose – aber nicht wie die letzte – heh Missis? – Was trinkst du, Jack, und du Bob – wie? Jims Geschmack kenne ich schon, der hält's wie ich, mit Brandy und Wasser!«
Die viere traten zum Schenktisch und tranken, und setzten sich dann an den, an der hinteren Wand quer vorstehenden langen Tisch, wohin ihnen die anderen bald darauf mit ihren Flaschen und Gläsern folgten, und ein leises Gespräch mit einander begannen. Außer den Leuten vom Boreas waren nur noch wenige andere Gäste im Zimmer, und der Wirth, der eben erst noch zwei Porterflaschen für die Letztgekommenen geöffnet hatte, rückte sich nach einer kleinen Weile einen Stuhl mit zu ihnen, sprach aber noch kein Wort. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben.
»Wer ist denn das, der uns heute hier sprechen wollte«, sagte Jean endlich, sich zu ihm wendend, »heraus mit ihm und mit dem was er zu sagen hat. Ich kann heute Abend nicht lange hier bleiben, und wir sind jetzt so ziemlich alle zusammen.«
»Hm«, sagte Mac Carther, und warf einen anscheinend gleichgültigen Blick über das Zimmer, der übrigens keinen der sonstigen Gäste, so flüchtig er auch über ihnen hinstreifen mochte, unbeobachtet ließ. Gleich darauf als ob ihn diese Rundschau befriedigt hätte, bog er sich über den Tisch etwas vor und sagte mit leiser Stimme, die Umsitzenden dabei alle mit den Augen musternd:
»Seid Ihr gesonnen an Bord zu bleiben, oder wollt Ihr hier in der Stadt eine Beschäftigung haben? – Das heißt – versteht mich wohl – ich weiß nicht was Ihr für einen Contract an Bord habt; geht mich auch gar nichts an. – Hält Euch aber nichts dort, so weiß ich Euch hier eine Stelle, wo Ihr mit Bequemlichkeit Eure sechs bis acht Schilling den Tag verdienen könnt – und dafür müßt Ihr eine ganze Woche an Bord wie die Pferde arbeiten. Sind welche von Euch Segelmacher?«
»Vier von uns sind gelernte Segelmacher« – sagte der eine Deutsche, »und die anderen verstehen meist alle genug davon, die laufenden Arbeiten verrichten zu können.«
»Das wäre dann noch besser, die verdienen jetzt noch mehr mit Zeltmachen«, sagte der Wirth sinnend. »Habt Ihr noch Geld zu gut, oder sind welche unter Euch, die vielleicht selber etwas anfangen können?«
»Ich habe 600 Franken«, sagte Jean rasch, »und Lust genug hier für immer an Land zu bleiben, wenn nur« – er hielt inne und sah forschend nach Polly hinüber, diese aber warf ihm einen freundlichen Blick zu und Jean schien dadurch plötzlich zu einem Entschluß gekommen. – »Was wollt Ihr mit uns thun? – was könnt Ihr? – heraus mit der Sprache und haltet nicht so lange hinter dem Berge.«
»Ich?« sagte der Wirth erstaunt – gab ihm aber doch dabei ein Zeichen nicht so laut zu sprechen – »ich? was ich mit Euch will? – gar nichts. – Was kann ich mit Euch wollen. Ich frage Euch nur Euretwegen, und habe Euch schon gesagt, ich weiß gar nicht und kann nicht wissen, wie Ihr mit dem Schiff steht. So viel aber ist gewiß – jetzt wäre die Zeit hier in Sydney für einen jungen Mann sein Glück zu machen, und wer das mit Füßen von sich stößt, der hat es nachher selber zu verantworten.«
»Ja, das ist Alles recht gut, aber wie können wir vom Schiff loskommen?« sagte der eine Engländer – »und wenn wir los sind, denn das wäre noch das wenigste, wo können wir bleiben? Wir müssen erst einen Zufluchtsort hier am Ufer haben, und einen sicheren Zufluchtsort, denn sonst ist die Sache nachher verdammt Essig. Vom Schiff hat jeder von uns allerdings noch zu gut, das wißt Ihr aber selber wohl, können wir nicht bekommen, und das einzige was wir im Stande sind mitzunehmen, sind vielleicht unsere Kleider. Wer soll uns nachher aufnehmen und wer wird uns so lange Credit geben?«
»O, so viel sind unsere Kleider schon werth«, sagte ein anderer. »Wo die so lange in Versatz bleiben, können wir auch ein paar Tage essen und trinken, bis das Schiff fort ist, und mit dem hohen Lohn hier sind wir dann leicht im Stande, unsere Schulden wieder abzutragen.«
»Ich will Euch was sagen«, meinte da Mac Carther und bog sich zu ihnen über den Tisch hinüber – »wenn Ihr meinem Rathe folgen wollt, so –« In diesem Augenblicke fiel hinter dem Schenktisch ein Glas herunter und zerbrach klirrend am Boden. Mrs. Mac Carther hatte es fallen lassen. Mac Carther fuhr aber, ohne sich dadurch irre machen zu lassen, ja ohne den Kopf dorthin zurückzudrehen, ruhig und langsam fort – »so malt Ihr Euer Schiff mit einer hellen Farbe und nicht mit Schwarz. – In dem heißen Klima wohin Ihr geht zieht Schwarz die Sonne viel zu sehr an, während eine hellere Farbe das Holz ungemein conservirt.«
»Aber was zum Donnerwetter geht uns denn in diesem Augenblick die Farbe an, wo wir –«
»Nichts mit dem Bezahlen des Schiffes zu thun haben«, unterbrach Mac Carther den Engländer, indem er ihm zugleich einen warnenden Blick zuwarf – »das weiß ich wohl, ich sage nur ich thäte das, wenn ich Capitän von einem Schiff wäre, und in ein heißes Klima hinaufginge.«
Während er noch sprach, waren unsere beiden Bekannten vom Markthaus in das Zimmer, und gerade als das Glas zerbrach, dicht hinter den Wirth getreten, und ließen sich jetzt an demselben Tisch nieder, wo sie eine Flasche Porter verlangten.
Der Wirth ging hin diese zu öffnen, und das Gespräch war für den Augenblick abgebrochen. Die Matrosen merkten bald genug, daß Mac Carther seine wohlbegründete Ursache haben mußte, in Gegenwart der beiden Fremden weiter nicht über die bewußte Sache zu reden. Jean stand auf, blinzte Polly mit den Augen zu und ging hinaus an die Hofthür. Wenige Minuten später stand das wunderhübsche Mädchen an seiner Seite und legte ihre Hand in die ihr dargebotene Rechte des jungen Mannes.
»Polly«, sagte Jean, und zog die nur leise Widerstrebende fester an sich – »ich habe keine Zeit zu großen Umschweifen, ich will dich auch gar nicht mit langen Redensarten plagen. Hör mir nur wenige Secunden zu und sage dann ja oder nein.«
»Aber ich weiß ja nicht –«
»Du sollst es gleich erfahren« unterbrach sie der junge Franzose – »ich bin des Seefahrens, ja überhaupt des Herumschweifens satt. Zehn Jahre lang habe ich mich nun in der Welt und in allen Welttheilen umhergetrieben, und bin nicht im Stande gewesen etwas für ein reiferes Alter zu thun – es liegt auch das eigentlich nicht im Blut meiner Landsleute. Hier aber, glaub ich, ist der Zeitpunkt gekommen wo ich etwas Besseres ergreifen kann, doch allein will ich das nicht thun. – Willst du mir helfen, Polly? willst du – mein Weib werden?« flüsterte er leise, sich zu ihr niederbeugend und ihr einen heißen Kuß auf die Stirn drückend.
»Do'nt – do'nt«, bat das Mädchen flüsternd, und suchte sich von ihm loszumachen. Es war ihr aber nicht recht Ernst damit, denn Jean konnte sie leicht zurückhalten; doch dringender bat er jetzt.
»Antworte mir, Polly. – Von dir hängt es ab ob ich in Sydney – in Australien bleiben soll oder nicht. – Sagst du ja, dann sollst du einmal sehen wie tüchtig ich arbeiten kann, und haben wir uns etwas verdient, dann kehren wir nach meinem schönen Frankreich zurück. – Es soll dir schon gefallen in der Provence. – Aber du sagst ja kein Wort, und ich weiß doch, daß du dich in den Verhältnissen hier nicht glücklich fühlst, nicht glücklich fühlen kannst.«
»Glücklich?« sagte das Mädchen leise und schüttelte wehmüthig mit dem Kopf – »es ist ein schreckliches Leben fortwährend dem wüsten Trinken und Treiben zuzusehen. – Aber was