Es war noch ziemlich leer im Saal; in der äußersten linken Ecke stand ein altes, abgepauktes Pianino wie ein Luftspringer auf einem Dorfe, der sich auf die Hände stellt und mit den Füßen an der Wand hinaufreicht. – Vor diesem saß ein junger Mann, der Horn an den Fingern haben mußte, denn er schlug unablässig eine alte Polka von vorn bis hinten durch, und fing, wenn er hinten fertig war, vorn wieder an. Neben ihm stand ein kleiner Junge mit einer Violine, der ihn zu begleiten suchte, aber nicht mit kommen konnte. Allerdings hielt er ziemlich Tact mit ihm, aber er konnte ihn nur nicht einholen. – Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, die Augen traten ihm aus dem Kopf, die Finger gingen in rastloser Hast auf den gequälten Saiten auf und nieder, aber vergebens – zwei Noten war er regelmäßig hinter ihm. Hätte der Clavierschläger nur eine Secunde gewartet – nur den Gedanken einer Secunde – aber nein – vorwärts, unaufhaltsam vorwärts ging es, wie die wilde Jagd – kein Rückblick, außer für die, denen das Gesicht auf den Nacken gedreht war – und der Violinspieler gab die Verfolgung endlich in Verzweiflung auf.
Rings an den Wänden hin standen Bänke und Sophas; unter der Shakespearestatue der beste, und auf diesem lag lang ausgestreckt ein junges wunderhübsches Mädchen in einem seidenen, oben hochanschließenden Kleid, unter dem die kleinen zierlichen Füße nur eben mit den Spitzen hervorschauten. Ihre Beschäftigung war, wie sich das unter einer Shakespearestatue auch gar nicht anders denken läßt, eine rein geistige – sie schlürfte ein Glas Brandy und Wasser, und stellte das Glas als sie es ausgetrunken der Bequemlichkeit wegen vor sich auf die Erde nieder.
Auf den anderen Sophas und Bänken saßen viele andere Mädchen und junge Leute – von den ersteren einige sehr elegant gekleidet, mit Hüten und Schleiern und großen Shawls, andere wieder mit schlicht zurückgekämmten Haaren und kattunenen Kleidern. Ebenso großer Unterschied war bei dem männlichen Geschlecht, von dem feingekleideten Stutzer bis, in einzelnen Fällen, zum einfachsten Matrosen herunter, so standen, saßen und lehnten sie in den buntesten und verschiedenartigsten Gruppen umher. – Nur der eine Unterschied war doch wohl, daß die Mädchen alle einem bestimmten jugendlichen Alter angehörten, während sich unter den Männern auch sogar einige aus dem »besten« befanden, die mit noch recht jugendlichem Anstand scheinbar theilnahmlos hin- und herwanderten, oder an einem der Tische ihren »Portwein St. Gris« sippten.
Der Tanz hatte aber noch nicht begonnen – der verzweifelte Wettlauf der beiden Musici schien nur erst eine Vorübung gewesen zu sein.
Unsere drei Freunde fanden hier übrigens nicht was sie suchten, und Charles meinte, sie wollten lieber später noch einmal hierher zurückkehren, und erst nebenan in die anderen Locale hineinsehen. Es sei wahrscheinlicher, daß sich einzelne der Leute, wenn sie sich überhaupt in ein öffentliches Local getraut, eher dort als hier aufhalten würden.
Ehe sie übrigens die Treppe wieder hinuntergingen, traten sie noch einen Augenblick in das nach vorn hinaussehende Zimmer. Drei junge Mädchen saßen hier an dem mittleren Fenster und schauten nach dem gegenüberliegenden Theater hinüber; ein paar andere lehnten in verschiedenen Sophaecken und schienen zu schlafen, und an dem Tisch stand eine sechste im eifrigen aber leise geführten Gespräch mit einem jungen Mann, der sehr elegant gekleidet war, und augenscheinlich den höheren Ständen angehörte.
Hier war weiter nichts für sie zu thun – sie stiegen die Treppe hinunter, bogen rechts ab, und traten in das erste Local hinein, das sie drei oder vier Thüren weiter hin fanden. Wilder Lärm tönte ihnen schon bei ihrem Eintritt entgegen, aus dem Saal hinter der Bar kreischten die schrillen Töne einer Violine hervor, und kaum hatten sie diesen Platz betreten, als sie auch in eine wahre Wolke von Tabaksqualm und Brandygeruch eingehüllt waren.
Alle drei hatten aber schon in ihrem Leben weit schlimmere Dinge mitgemacht, und bewegten sich in diesem Chaos wie in ihrem Element. In der That gingen auch all diese äußeren Eindrücke spurlos an ihnen vorüber, denn die männlichen Gäste bestanden fast einzig und allein aus Matrosen von all den verschiedenen Schiffen in der Bay, und die Dirnen, die sich zwischen ihnen herumtrieben, gehörten der verworfensten Classe an. – Auch lag der Platz weiter zurück und mehr getrennt von der Hauptstraße, und mehrere der Leute vom Boreas sollten in dieser Woche, und seit sie das Schiff verlassen, hier gesehen worden sein.
Charles rief den Barkeeper bei Seite und sprach eine kurze Zeit lang heimlich mit ihm. – Es war sehr wahrscheinlich, daß sich die Leute des Boreas nicht alle an Einem Ort aufhielten, besonders da sie von verschiedenen Nationen waren, und leicht möglich wäre es gewesen einen oder den anderen hier aufzutreiben. Der Barkeeper wußte aber von nichts; er schüttelte wenigstens höchst entschieden mit dem Kopf, und machte dabei fortwährend eine Bewegung mit seinem Körper, als ob ihn hinten jemand am Hosengurt gefaßt habe, denn eine Jacke trug er nicht, und aus Leibeskräften daran zöge. Nur der Respect vor dem Polizeidiener, den er, wenn auch in Civil, doch jedenfalls kannte, hielt ihn noch zurück.
»Ich bin sicher, daß hier Einer oder ein paar von den Burschen gewesen sind«, sagte Charles, als er zu den Steuerleuten zurückkam. – »Der Schuft erschrack, als ich es ihm auf den Kopf zusagte, und war gar so ängstlich bemüht, wieder von mir abzukommen. – Wir wollen fortgehen und nachher noch einmal einsprechen, dann aber gleich hinten in die kleine Kammer gehen, ehe sie uns vermuthen können.«
Zwei Häuser weiter war eine andere solche Kneipe – dort standen einige zehn oder zwölf Mädchen vor der Thür, und zankten sich und schimpften einander. Von der anderen Seite der Straße kamen mehrere Constabler herüber, und die Dirnen, die nicht arretirt sein wollten, traten rasch ins Haus, setzten aber hier den Streit in einer der Nebenstuben unerbittlich fort. Es waren meist noch junge Dinger von sechszehn bis achtzehn Jahren. Mehrere hatten aber schon blaugeschlagene Augen – die Folgen eines früheren Gefechts, vielleicht vom letzten Sonnabend Abend – viele trugen brennende Cigarren im Mund. Natürlich drängte sich dabei Alles um sie her, den fast stets in Thätlichkeiten ausartenden Scandal zu Ende zu sehen, und was nur von Matrosen in der ganzen Straße war, schien sich hier auf einmal concentrirt zu haben.
»Jetzt ist unsere Zeit« flüsterte Charles den beiden Steuerleuten zu. – »Stellen Sie sich beide an verschiedenen Seiten der Stube auf und betrachten sie sich vor allen Dingen die Gesichter der Hereinkommenden. – Die wieder hinaus wollen, müssen nachher immer bei mir vorbeidefiliren. Sehen Sie einen der Burschen, dann geben Sie mir nur ein Zeichen, und für das andere werde ich sorgen.« Er schlug dabei bedeutungsvoll auf seine Tasche, in welcher er ein paar, von der Regierung bezeichnete Handschellen, für ihn zugleich der eiserne Ausweis seiner Function, trug.
Der Streit im Innern nahm indessen einen immer bedenklicheren Character an. Die beiden Feindinnen hatten die Arme in die Seite gestemmt, und bliesen den Rauch ihrer Manillas in dicken Wolken von sich. – Es war das ein Zeichen sehr heftiger Gemüthsstimmung, und Beide gehörten jedenfalls dem verworfensten Theil der menschlichen Gesellschaft an.
»Und was thust Du überhaupt hier, Du gotteslästerliches Ding Du mit deinen großen Glotzaugen?« rief die eine jetzt, die Unterhaltung wie es schien auf ein anderes Feld überführend. – »Was hast Du hier zu suchen, als Dich unnütz machen und Scandal anfangen Du – Preisverderber Du –«
»Was ich hier thue?« schrie die andere aber, und schleuderte mit einem entsetzlichen Fluche ihre brennende Cigarre zur Erde nieder, während sie sich zu gleicher Zeit die Aermel in die Höhe streifte und zum nicht mehr zu vermeidenden Kampfe vorbereitete; sie hatte die Geduld verloren. – »Ich gehe meinem Broderwerb nach so