Hann Klüth: Roman. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
der dahinten lag und auf ihn lauerte, alles vergaß er. Er wollte nur die Kleine holen – nur sie überwachen, das unerfahrene Ding, das so hübsch auf seinen Knien gesessen. Noch fühlte er die heimliche Wärme. »Ja, nur sie holen.«

      Ein paar leichte Sprünge.

      Er war bereits jenseits der Brücke. Ganz nahe drang durch geschlossene Türen die Musik – hinter ihm versank still und schweigend die Stadt, in der er morgen einziehen und leben sollte.

      Er sprang in den Saal.

      Und draußen tauchte alles wieder in nächtliche Versunkenheit; die Ufer und die Landstraße und die raschelnden Binsen am Moor. – Nur unten, wo der Strom um die Brücke gurgelte, da sah Malljohann, der zur selben Zeit nachdenklich auf dem Dach seiner Kajüte hockte und zu dem Mond hinaufmurmelte, wie sich vorsichtig ein winziges Männchen aus dem Wasser hob, und wie es in die Hände klatschte und in ein scharfes Kichern ausbrach.

      Das war nichts Menschliches.

      Und Malljohann wußte recht gut, so lachte nur der Klabautermann, den ja Line für ihren Vater ausgab, und der sich nun über sein flinkes Dirnlein freute.

      X

      Der Mond tanzte auf den Wassern.

      Durch den schwarzen, glatten Spiegel streckte er überall sein feuchtes Gesicht hindurch, zwinkerte mit den Augen und spie goldene Funken nach Hann.

      Es war gerade um die Zeit, als Line mit feurigen Wangen das erste Mal durch den Saal schlich.

      Siebenbrod war eingeschlafen, er schnarchte. Kein Lüftchen regte sich; mitten auf der toten Fläche stand das Boot unverrückbar still.

      Die großen Stellnetze waren bereits eingezogen, ein paar andere hatten sie ausgelegt; mitten in dem Boot schillerte fast fußhoch ein dicker Haufe zappelnder Heringe.

      Die zuckten und sprangen und leuchteten einen fahlen, blauweißen Glanz.

      Von fernher hallte ein einsamer Glockenschlag. Dann kroch wieder dieses ungeheure tote Schweigen über den Spiegel. Der Junge, des Nachtdienstes ungewohnt, hockte vorn am Bugspriet und kämpfte gegen den Schlaf. Zuweilen neigte sich sein plumpes Haupt schwer gegen den Bordrand, doch ein letzter verlöschender Blick auf den Stiefvater, der, das Steuer im Arm, zu einer unförmigen Masse zusammengesunken schien, ließ ihn immer wieder zur Höhe taumeln.

      Der Bootsmann hatte ihm anbefohlen, wach zu bleiben. Und die Furcht wirkte stärker als die Müdigkeit.

      Allmählich aber begann er zu zittern. Ein eisiger Frost stieg aus der schwarzen Tiefe auf und legte sich wie ein enger Mantel um seine Brust.

      Voller Angst und in der Sucht, sich an etwas festzuhalten, an etwas Lebendigem, blickte er überall umher.

      Dort der Mond. – Er kam und ging.

      Es war, als wenn er sich wasche und immer um das Boot herumschwimme!

      Was war eigentlich der Mond?

      Der Junge rieb sich den Kopf, aber das Richtige sprang nicht heraus. Er fuhr mit der Hand in die glitzernde Scheibe, aber das Wasser war so eisig, daß er zusammenschrak.

      Immer toller grinste das Gesicht aus den Fluten. Deutlich sah der Einsame, wie die großen Augen auf und zu klappten. Dazu verzog sich der Mund und wies blitzende Zähne.

      Herrgott – Herrgott – was war eigentlich der Mond?

      Das Gesicht wurde immer deutlicher und runder. Jetzt hob es sich aus dem Wasser, jetzt tauchte es unter, im nächsten Augenblick klappte das Maul auf und fing an zu reden.

      »Jesus!«

      Der kalte Schweiß lief Hann herunter. Er war der Nacht und dieses fürchterlichen Schweigens noch ungewohnt.

      »Siebenbrod – Siebenbrod!« schrie er auf.

      Vom Steuer tönte ein Ächzen, dann rührte sich nichts mehr.

      Nein, er mußte wissen, was der Mond war. Die Unwissenheit bedrückte ihn, wie kurz vorher Line. In wildem Schrecken versuchte er fortzusehen, doch kaum gedacht, schwoll das Haupt riesengroß an, ein Zischen quirlte um es her, und dann grinste es wieder tückisch unter der zitternden Flut.

      Da kam Hann ein Gedanke.

      Er wollte sein Abendgebet hersagen, denn seine Furcht war groß. So faltete er die Hände:

      »Ich bin klein,

      Mein Herz ist rein,

      Soll niemand drin wohnen

      Als Gott allein.«

      Er betete es noch immer, obwohl er ein großer Junge geworden. Er hatte kein Gefühl für die Lächerlichkeit.

      Als er den Spruch gesagt, schielte er von neuem auf seinen Feind. Der hatte sein Antlitz in tausend goldne Runzeln gezogen und lag grämlich und zitternd da.

      Und immer wieder ging es durch den dummen Jungenschädel: »Was ist eigentlich der Mond?«

      In der Schule war er so weit nicht gekommen. Ob Line das wohl wußte? Ja, wenn er heute nacht nach Hause kam, dann wollte er doch an die Nebenwand klopfen, hinter der sie schlief, um einmal anzufragen. Ja, ja, Line hatte es gut. Die lag nun weich in ihrem Bett.

      Gutmütig nickte er.

      Das war auch ganz in Ordnung, daß sie nicht mit auf der schwarzen See weilte. Sie sollte nicht arbeiten. Dazu war sie zu fein.

      Und als er von neuem in das glitzernde Gebilde starrte, kam es ihm vor, als ob sich dort drin etwas verändere, als ob ein ganz kleines Püppchen darin herumtanze.

      Wahrhaftig, so warf Line die Beinchen.

      Freudig reckte er sich vor, so daß das Boot schwankte. Alle Bangigkeit war vergangen. Statt des gespenstischen Hauptes nahm er mit einmal eine goldene Stube wahr, in der Line herumhuschte.

      »Ja, ja,« wohlgefällig lachte er dazu, und ganz hinten am Steuer, wo die formlose Masse des Bootsmanns hockte, räusperte sich etwas, und Siebenbrods knastrige Stimme fragte gemütlich: »Wat is de Klock?«

* * *

      Um Mitternacht fuhr das Boot in Moorluke ein. Eine Viertelstunde später stießen die beiden Fischer auf Frau Klüth, die in der Dunkelheit vor dem Lotsenhäuschen stand und die Hände rang. Als Siebenbrod sich erkundigte, erfuhr er, daß Line und Bruno diese Nacht nicht nach Hause gekommen wären. Paul, der Student, sei bereits trotz Nacht und Nebel in die Klosterruinen gelaufen, wo man die beiden zuletzt gesehen.

      »Und dabei soll es da drüben spuken,« jammerte Frau Klüth.

      »Na, sie werden sich wohl wieder zufinden,« tröstete Siebenbrod in ziemlicher Ruhe und gähnte mächtig. »Die Hauptsache is nu, daß wir schlafen gehen. Puh – ich schuddere man so durch den ganzen Leib. – 's is niederträchtig kalt. – « Und während er die Witwe und Braut an die Hand nahm, murmelte er noch: »Leg dich man auch nieder, Frau Klüth. Es sind ja große Gören.«

      Die kleine Frau ließ sich nach einigem Sträuben ins Haus ziehen.

      Hann aber stand vor der Tür und zitterte vor Frost. Mit blödem Blick und schweren Augenlidern sah er in die Nacht hinein.

      Hatte er das geträumt? Spukte der Mond noch vor seinen Augen.

      Line war weg?

      Schwerfällig schüttelte er den Kopf, als wär' ihm das Merkwürdige noch immer nicht klar, dann schauerte er wieder zusammen, und alle seine Glieder zuckten vor Kälte.

      Line war weg?

      Plötzlich überkam ihn eine seltsame Wut; die Mattigkeit wich von dem jungen Körper, mit voller Wucht schlug er mit der Faust gegen die Hausmauer, immer fester, immer ärger, als hätten die Steine nicht genügend über die Kleine gewacht.

      Warum kam sie denn nicht wieder? – Wo war sie? Wenn sie nun beide, Bruno und das Mädchen, im Rick lägen? Laut heulte er auf und hieb wieder auf die Steine ein.

      Aus der Hand sprang Blut.

      Da klappte etwas auf der Dorfstraße.

      Dicht am Rick entlang kam eine Fischersfrau in Holzpantoffeln daher. Es war