Hann Klüth: Roman. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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– Line is weg,« stammelte er.

      Die Frau dachte nach. »Ne,« berichtete sie dann, »die hab' ich bei Gastwirt Krügern gesehn, mitten unter die Studenten.«

      »Bei Gastwirt Krügern?« echote Hann, der es nicht glauben konnte, und riß den Mund auf.

      Warum schlug ihm das Herz dabei so gewaltig an die Rippen? Noch war sein Verstand zu dumpf, um ihm das zu beantworten.

      »Na, ich sag man, die tanzt fein,« meinte die Frau und lachte. Dann machte sie den Vorschlag, daß Hann sie begleiten solle, sie würde ihn mit hineinnehmen.

      »Darf ich denn da hin?« stotterte Hann.

      Die Frau warf ihm einen zweifelnden Blick zu: »I ja, warum denn nicht?« entschied sie, »wenn ich mit dabei bin – komm man, mein Jünging.«

      »Na, denn nehm' ich's an,« brachte der Junge halb betäubt hervor und schüttelte sich, um sich zu erwärmen. »Dann hol' ich Line.«

      »Ja, das tu man.«

      »Es is wegen der Trauer,« entschuldigte Hann voller Scham.

      »Ja, ja, das ist auch so.«

      Und dann verschwanden die beiden.

– —

      »Line, jetzt komm nach Haus,« drängte der Sekundaner wiederum.

      Er hatte sie einen kurzen Moment an der Hand, doch sie entzog sich ihm wieder.

      »Gleich – gleich, Bruno.«

      »Nein, du gehst jetzt.«

      Sie lachte wild: »Ich tu ja nichts«

      Dabei schimmerten ihre Wangen in heller Röte, aus dem leicht geöffneten Munde stieß kurz und rasch der Atem, und in den schwarzen Augen züngelten hundert glänzende, kleine Feuer.

      Ihre Füßchen trippelten ungeduldig, und jetzt, jetzt wo die Musik wieder einsetzte, da wiegte und dehnte sich der Körper so leicht, so frank und frei, als wäre das weiße Kinderkleidchen längst von ihr abgeglitten, als stände sie nackt und aller Hüllen ledig und würde bald einen unerhörten Tanz beginnen.

      »Line – Line.«

      »Laß mich doch, Bruno, ich tu ja nichts.«

      »Du hast mit dem großen Studenten da drüben getanzt.«

      »Das ist nicht wahr – laß mich jetzt los – bitte, bitte.«

      »Nein, du darfst nicht mehr.«

      »Oder tanz du selbst mit mir.«

      Er erschrak über ihr Verlangen und starrte sie an. In ihrer Stimme lebte soviel kindliche Leidenschaft. Hinter ihm paukten und schmetterten ein paar Musikanten, die aus der Stadt herausgekommen waren, scharrendes Geräusch schleifender Füße mischte sich drein.

      »Hopsa – hopsa – hopsasa,« sang plötzlich oll Kusemann neben ihnen, der in seiner Extralotsenuniform bei jedem Ball die Stellung eines Tanzkommandeurs bekleidete, »hopsasa,« sang er und hob das rechte Bein unternehmend in die Höhe: »Komm, Dirning, tanz mit mir! – Ich hab' spanische Korken in die Stiefel – siehst du so.« Er sprang hoch in die Luft. »So ein paar Dinger schenk, ich dir auch, wenn du hübsch artig bist und mir einen Kuß gibst – fix, Marjelling.« Hoch nahm er sie in seine Arme und schwenkte sie weit in der Luft herum.

      Ihre Röckchen wirbelten, die schwarzen Zöpfe rasten um sie herum, von der einen Wade war der Strumpf heruntergestreift und entblößte die braune, seidige Haut.

      »Huch,« schrien die Fischerweiber schamhaft.

      Solchen Tanz hatten sie noch nicht gesehen. Der taubstumme Riese Klaus Muchow lachte dazu, daß die Wände dröhnten, während die Studenten ihre Seidel schwangen, um Line ein donnerndes Hoch auszubringen.

      »Line – hurra,« schmetterten die jungen Stimmen.

      »Line hurra,« knatterte es aus allen Winkeln.

      »Line hurra,« greinte oll Kusemann und spitzte seiner Tänzerin, die noch nicht den Erdboden berührt hatte, die Lippen entgegen.

      »Ich will nicht mehr,« keuchte die Kleine, vor deren Blicken alles verschwamm, und begann mit dem Lotsen zu ringen. »Ich will runter.«

      Ihre Fußspitzen suchten den Estrich.

      Oh, und Bruno mußte oben von der Terrasse der Musiker, wo er krampfhaft einen Stuhl gepackt hielt, alles mit ansehen, mußte die entblößte Wade schauen und die tastenden Zehen, mußte auch knirschend beobachten, wie der taubstumme Riese sich erhob, um dem angetrunkenen Lehrer Toll pantomimisch vorzumachen, wie er das Ding auf seinen Arm setzen wolle und dann auf den Kopf.

      Dazu erhob er taktmäßig die mächtigen Beine, grinste schlau und drehte sich komisch im Kreise umher.

      »Solch ein Kerl,« murmelte Bruno in erstickter Wut. »Solch ein Kerl.«

      Wie kam es, daß die Gestalt des alten verstorbenen Lotsen plötzlich vor ihm auftauchte, seines Vaters, der erst wenige Wochen in seinem Grabe ruhte, und der doch Line wie sein eigenes Kind gehalten?

      »Wie ist das möglich?« – schnitt es ihm durch den Sinn, »wie ist das bloß möglich? – Hab' ich denn das Ding noch gar nicht gekannt?«

      Ein merkwürdiges Gefühl, von Grauen und Verlangen gemischt, wühlte in ihm herum, keinen Blick konnte er von der Kleinen abwenden, und jetzt, jetzt trug sie oll Kusemann schleifend und zierliche Winkel drehend wieder in seine Nähe.

      Wie er zitterte, wie er sich schämte, und er hatte sie doch erst vor wenigen Stunden weich auf seinem Schoß gehalten. —

      »Dirning,« hörte er den Lotsen schmunzeln, »leg' mich deinen Arm um den Hals, sonst fällst du.«

      Und was antwortete sie?

      »Du alter, häßlicher Kerl.«

      »I, Lining, das ist grade was Apartes. – Au, Kind, wozu kratzt du denn? Ich wollt ja bloß sagen: Hann liegt jetzt auf der See.«

      Line schlug mit der Hand durch die Luft. »Wo Hann liegt, das ist mir ganz gleich.«

      »Na, du gehst gut, du Racker,« wollte der Lotse eben belobigen, da fühlte er unvermittelt, wie etwas an ihm herunterglitt; dadurch verlor er das Gleichgewicht und purzelte, sich überschlagend und unter dem dröhnenden Gelächter der Studenten, gerade auf den Schoß seiner Gattin Alwining.

      Die zog ein strenges Gesicht und kniff ihn heimlich in den Arm.

      »Alwining,« flüsterte oll Kusemann und griff seiner Frau unter das Kinn: »Sei ruhig, ich weiß, was du denkst. – Aber die kleine Krabbe ließ mir gar nicht in Frieden. Du weißt ja, aus der wird nichts Gutes! – Sollst sehen, Alwining. – Ich kenn' meine Leute.«

* * *

      Sie forderte zu trinken, als sie nun atmend und glühend neben ihrem Pflegebruder auf der Terrasse stand.

      Aber er verweigerte ihr alles. Eine tiefe Verachtung gegen dies tolle Ding war in dem feinen gebildeten Jungen aufgestiegen. Fast mit Gewalt hatte er sie in eine Ecke hinter die Musiker gezogen, und nun schüttete er dort sein Herz vor ihr aus. Wie sie sich benommen, wie sie ihn blamiert hätte, und was die Mutter zu Hause dazu sagen würde. Den Abschluß bildete immer der eine Satz: »Du hast nichts gelernt, du gehörst eben unter die Fischer.«

      Doch sie antwortete nichts.

      Ihre schwarzen Augen, die so seltsam auf dem blauweißen Untergrund schwammen, lugten noch immer gierig nach allen Seiten. Die Musik und der Tanz hatten sie offenbar betäubt. Immer noch blinzelte sie nach den sich drehenden Paaren.

      »Line, verstehst du mich denn nicht? – Ich trag dich mit Gewalt raus, wenn du nicht von selbst gehst,« flüsterte er mit neu aufbrausender Wut.

      Verständnislos – kindlich und doch mit einem merkwürdigen, bewußten Zug um die Lippen lächelte sie ihn von unten herauf an. Dann streichelte sie ihm schmeichelnd über die Wange, um gleich darauf das Haupt zu neigen und mit ungeheucheltem Erstaunen auf ihre entblößte Wade herabzublicken.

      Jetzt bemerkte sie es erst.

      Auch der Sekundaner mußte diesem