4. Die wahrnehmbare Form
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Das Ergebnis des geistigen Schaffens des Urhebers muss eine solche Verselbstständigung erfahren haben, dass es nicht nur im Geist des Schöpfers lebt, sondern durch Konkretisierung in einer für Dritte sinnlich wahrnehmbaren Formgestaltung in die äußere Erscheinungswelt getreten ist. Die persönliche geistige Schöpfung des Urhebers muss in der Darstellung selbst, also in der Formgestaltung liegen. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Man muss das Werk sehen, hören oder fühlen können.
Diese von den Gerichten aufgestellte Voraussetzung, dass die geistige Leistung ihren Niederschlag in konkret wahrnehmbarer Formgestaltung gefunden haben muss, darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass es sich um eine verkörperte Gestaltung handeln müsse, also etwa auf Papier. Auch ein unkörperliches Fernsehbild ist des Schutzes des Urheberrechtes fähig, ebenso wie Choreografien und pantomimische Darstellungen von Performance-Künstlern.
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Aus dem Postulat der konkret wahrnehmbaren Formgestaltung ergibt sich, dass eine abstrakte Idee als solche keinen Urheberrechtsschutz genießt. Für Stil, Technik, Motiv, Moden, eine bestimmte Manier, bestimmte Methoden, Anpassung an eine bestimmte Geschmacksrichtung, Produktideen können keine Urheberrechte bestehen. Geschützt sind nur bestimmte einzelne, durch ihren Gedankeninhalt gekennzeichnete Werke.
Betrachten wir, wie sich dieser Aspekt der konkreten Ausdrucksform in der Werbung auswirkt:
Eine abstrakte Werbeidee ist nicht geschützt. Dies gilt nicht nur für die ungestaltete Idee, sondern auch für eine Werbekonzeption, für die Idee der Ausgestaltung einer Werbekampagne, für Einsatz und Art bestimmter Werbemittel, für die Idee zur Erstellung der Werbeplanung, der Durchführung einer Marktanalyse und der Art der Auswertung ihrer Ergebnisse.
Parallel zu beurteilen sind die bloßen Werbemotive, deren Einsatz sich in der Produktwerbung einiger Beliebtheit erfreut. Nicht geschützt sind etwa die Motive der werbemäßigen Nutzung eines Teddybären, der vermenschlichten Darstellung von Tieren, das Motiv eines farbigen Kindes. Urheberrechtlicher Schutz entsteht vielmehr erst in der konkreten Ausdrucksform, falls die in § 2 II UrhG erforderliche Schöpfungshöhe erreicht ist, wie es etwa der Fall ist beim „Bärenmarke-Bär“, beim „Mecki-Igel“, bei dem durch eine amerikanische Fernsehproduktion bekannt gewordenen „ALF“ und dem „Sarotti-Mohr“ mit seinen Pluderhosen und seiner markanten Mütze.
Auch ein bestimmter Werbestil genießt mangels Konkretisierung keinen Urheberrechtsschutz.
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Ein Werk genießt auch dann Urheberrechtsschutz, wenn es etwa gesetz- oder sittenwidrig ist. Im Urheberrechtsgesetz fehlt eine § 2 Ziff. 1 PatG entsprechende Bestimmung.
Vgl. Fälle 1, 2, 45.
III. Einzelne Werkarten
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Betrachten wir einige wichtige Beispiele der in § 2 I UrhG aufgezählten einzelnen Werkarten auf dem Gebiet der Literatur, Wissenschaft und Kunst unter dem Aspekt nach deren Werksqualität (§ 2 II UrhG), wie diese oben dargestellt wurde.
1. Sprachwerke
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Sprachwerk (§ 2 I Ziff. 1 UrhG) ist der Oberbegriff für alle mittels Sprache ausgedrückten Werke. Dabei kommt es nicht darauf an, um welche Sprache es sich handelt, ob in- oder ausländische, ob lebende oder tote. Das Gesetz nennt als wichtigste Beispiele Schriftwerke, Reden und Computerprogramme. Ein Schriftwerk ist ein durch Zeichen äußerlich erkennbar gemachter sprachlicher Gedankenausdruck, eine Rede hingegen ein solcher ohne Schriftzeichen; einige Beispiele für Schriftwerke:
- | Romane, Novellen, Gedichte, Liedertexte, Bühnenwerke, Hörspiele, Filmdrehbücher und wissenschaftliche Bücher genießen in der Regel Urheberschutz. |
- | Briefe, die lediglich Alltägliches oder bloße geschäftliche Mitteilungen beinhalten, sind mangels individueller Formprägung nicht urheberrechtsschutzfähig. |
- | Das Gleiche gilt für Tagebücher; weisen solche jedoch eine individuelle geistige Leistung auf, so besteht Urheberrechtsschutz. |
- | Ein Anwaltsschriftsatz, der sich als ein alltägliches, mehr oder weniger auf Routine beruhendes Anwaltsschaffen darstellt, ist urheberrechtlich nicht geschützt. Kommt in dem Schriftsatz jedoch nicht nur ein hohes Maß an Energie und Kritikfähigkeit, sondern auch an schöpferischer Fantasie und Gestaltungskraft zum Ausdruck, so genießt er Urheberrechtsschutz. |
- | Einzelne Worte oder Wortverbindungen – wie etwa „Orgware“ im Gegensatz zur „Hardware“ oder „Software“ – und Werktitel – wie etwa „Sherlock Holmes“, „Der 7. Sinn“, „ARD“ – sind urheberrechtlich nicht geschützt. |
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- | Bei Werbeslogans kommt es nicht darauf an, ob sie zugkräftig und damit werbewirksam sind, sondern allein darauf, ob sie als Sprachwerk eine eigenschöpferische Leistung darstellen. Hier haben die Gerichte sowohl negativ als auch positiv entschieden. Verneint wurde ein Urheberrecht bei „Hamburg geht zu E“, bei „Ja – Jacobi“, bei „Für das aufregendste Ereignis des Jahres“ anlässlich einer Fußball-Weltmeisterschaft, bei „DEA – Hier tanken Sie auf“. Hingegen wurde ein Urheberrechtsschutz zugebilligt bei „Biegsam wie ein Frühlingsfalter bin ich in Forma-Büstenhalter“. In Bezug auf Schlafsäcke hat der BGH die Frage der Urheberrechtsfähigkeit bei „Ein Himmelbett als Handgepäck“ offengelassen. Tendenziell gesehen ist die Anerkennung eines Urheberrechtes bei Werbesprüchen eher zu verneinen als zu bejahen. |
- | Bei Werbeprospekten und -katalogen können keine generellen Aussagen gemacht werden. Hier hängt es allein von der Gestaltung im einzelnen Falle ab, inwieweit sie sich als individuelle geistige Schöpfung darstellen. Erhebt sich der Prospekt seiner Gestaltung nach nicht über die Höhe des Alltäglichen, enthält er im Wesentlichen nur reine Tatsachenangaben, etwa über Leistungsmerkmale, Qualität und Preis, so wird kein Urheberrechtsschutz zugebilligt. Letzteres gilt auch für Bedienungsanweisungen. |
- | Formulare, Tabellen, Vordrucke, Verzeichnisse, Register werden im Allgemeinen den an ein Werk zu stellenden Anforderungen nicht gerecht werden. |
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Grundsätzlich entsteht das Urheberrecht natürlich auch für digitale Güter, soweit die Schutzvoraussetzungen des deutschen Urheberrechts erfüllt sind. So haben beispielsweise deutsche Gerichte entschieden, dass auch Webseiten urheberrechtlich geschützt sein können, wenn eine gewisse Schöpfungshöhe erreicht ist. So wurde vom LG Köln entschieden, dass allein ein einheitliches Design und eine alltägliche grafische Gestaltung der Benutzeroberfläche nicht für das Erreichen der erforderlichen Schöpfungshöhe genügt (Az: 28 O 298/04). Hingegen wurde anerkannt, dass eine suchmaschinenoptimierte Webseite urheberrechtlich geschützt ist, wenn die Verwendung von Meta-Tags im Quellcode dazu führt, dass die Seite auf den vorderen Rängen der
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