Obwohl all diese Programme mehr oder wenig starke Unterschiede in der Gestaltung und dem Design aufweisen, bieten sie alle weitestgehend die Möglichkeit einer – teilweise auch anonymen – Kommunikation zwischen den Nutzern, sei es in Form von verbaler, schriftlicher oder multimodaler Interaktion216, auch mit Webcams. Dementsprechend sind sie alle mögliche Viktimisierungsorte bei Cybergrooming-Delikten. Da alle Formen Sozialer Medien für die Betrachtung relevant sind, sollen sie nun näher betrachtet werden.
IV.1.1 Soziale Netzwerke
Das primäre Kennzeichen Sozialer Netzwerke ist eine vertiefende Möglichkeit der langfristigen Vernetzung und der damit einhergehenden Interaktion der Nutzer untereinander217. Dies steht im Kontrast beispielsweise zu klassischen Chat-Räumen, die nicht per se auf eine Vernetzung der Nutzer setzen, sondern auf die Kurzfristigkeit der Kommunikation. Diese Vernetzung geschieht typischerweise durch eine direkte Online-Kontaktaufnahme zwischen den Nutzern. Facebook als aktuell prototypisches Soziales Netzwerk erfordert zwar originär die Kontaktaufnahme über eine sog. Freundschaftsanfrage, jedoch kann der Nutzer selbst durch Privatsphäre-Einstellungen bestimmen, welche seiner Beiträge für Fremde sichtbar sind. Als Alternative gibt es seit 2011218 die Möglichkeit, durch das Abonnieren den öffentlich geposteten Inhalten von Nutzern zu folgen, ohne eine Freundschaftsanfrage tätigen zu müssen und wenn diese Nutzer das anbieten219. Dies geschieht prinzipiell ähnlich wie bei Twitter220; dort ist keine primäre Vernetzung über eine Freundschaftsanfrage o. Ä. vorgesehen221. Auf Twitter ist die Grundfunktion, einzelnen Nutzern zu folgen, sodass eine Chance besteht, dass deren Statusnachrichten („Tweets“) in der eigenen angezeigten Timeline erscheinen.
Nur wenn ein Nutzer sein Profil auf privat gestellt hat, ist eine vergleichbare Freundschaftsanfrage notwendig, die durch den Angefragten bestätigt werden muss. Eine besondere Beachtung hat Twitter dadurch erfahren, dass Donald Trump im Rahmen seines Wahlkampfes und auch in der Präsidentschaft Twitter als primäres Medium nutzt222. Dies hat für Aufsehen gesorgt, da sich die reinen Nutzungszahlen der beiden Programme massiv unterscheiden. So sollen in Deutschland 20,5 Mio. Menschen Facebook monatlich nutzen, aber lediglich 1,6 Mio. Twitter223. Diese Differenz zeigte sich auch in einer weiteren Studie: 33 Prozent der Gesamtbevölkerung über 14 Jahre nutzten Facebook 2017 zumindest wöchentlich, aber lediglich 3 Prozent Twitter224. Weltweit soll Facebook knapp 2 Milliarden Nutzer haben225, Twitter lediglich 330 Mio.226.
Twitter und Facebook unterscheiden sich noch in einem weiteren wesentlichen Punkt. Bei Facebook können Postings im Prinzip beliebig lange sein. Bei Twitter gab es zunächst eine Zeichenbegrenzung auf 140 Zeichen, die dann 2017 auf 280 Zeichen verdoppelt wurde227. Twitter ist daher nicht auf eine allzu intensive Diskussionskultur – im Sinne von langen einzelnen Postings – zwischen „Tweeter“ und Lesenden ausgelegt, sondern eher auf schnelle und kurze Diskussionen. Dies steht ganz im Gegensatz zu Facebook, das durch seine Struktur das gegenseitige Kommentieren und damit die intensive Diskussion in den Fokus stelle228. Dennoch stellt Twitter eine wichtige Plattform für Debatten durch das „Retweeten“ von Tweets dar229. Neben Facebook und Twitter hat sich eine Vielzahl diverser Sozialer Netzwerke mit differenten Schwerpunkten etablieren können. Neben Business-Netzwerken wie Xing230 und LinkedIn231 gibt es auch reine Plattformen für die Vernetzung von Akademikern wie ResearchGate232 oder Academia233. Auch sog. Flirtplattformen wie Tinder234 oder Lavoo235 gehören zu den Sozialen Netzwerken, da sie ebenfalls Austausch und Vernetzung der Nutzer untereinander und das Teilen und Verbreiten von Medien ermöglichen.
Obwohl durch ihre Kommunikationsmöglichkeiten alle Sozialen Netzwerke das Risiko einer Kontaktaufnahme von Tätern mit Kindern beherbergen, sind fast ausschließlich Gerichtsverhandlungen zu Fällen mit Facebook recherchierbar236. Dies kann verschiedene Hintergründe haben. Einerseits kann es schlicht an einer zeitlichen Komponente liegen: Ein recherchierbares Gerichtsverfahren spiegelt so gut wie nie ein aktuelles Geschehen wider, vielmehr liegt nach der Tat ein oft nicht unerheblicher Zeitraum. Hier könnten Nutzungsentwicklungen schlicht noch nicht abgebildet sein. Andererseits mag dies auch daran liegen, dass die Zielgruppe der Täter unter den klassischen Sozialen Netzwerken aktuell am ehesten in signifikanter Menge auf Facebook anzutreffen ist: 2017 gaben 15 Prozent der Jugendlichen von 13–17 Jahren Facebook und nur 4 Prozent Twitter als eine relevante Plattform an237. Zum Vergleich YouTube wurde von 62 Prozent, WhatsApp von 40 Prozent und Instagram von insgesamt 27 Prozent als relevant eingestuft238. Von Kindern in der Altersgruppe von 6–11 Jahren wird Twitter überhaupt nicht angegeben und Facebook wird nur von ca. 9 Prozent der Kinder als relevant eingestuft239. Andererseits muss bei der Relevanz von Facebook für Cybergrooming bedacht werden, dass durch die Verwendung von Profilbildern sowie die Möglichkeit der Nutzung des Facebook Messengers Tätern eine relativ leichte Anbahnung ermöglicht wird. Denn damit vereint Facebook die Möglichkeiten der Anbahnungs- und Missbrauchsplattform in sich, was die Plattform auch zukünftig für Täter weiterhin interessant macht. Mittlerweile werden jedoch auch vermehrt Presseberichte über Cybergrooming-Sachverhalte, die über Instagram angebahnt wurden, veröffentlicht240. Beispielhaft wurde durch das Landgericht Stralsund ein 41 Jahre alter Täter verurteilt, der sich gezielt als 13 Jahre altes Mädchen ausgegeben hat, um so Kinder über Instagram und Whatsapp anzusprechen und in der Folge pornografische Medien auszutauschen241. Dies könnte darauf hindeuten, dass aufgrund der hohen Attraktivität von Instagram bei Jugendlichen und Kindern – die noch detaillierter erörtert wird – Facebook auch perspektivisch als primärer Ort der genannten Viktimisierung beispielsweise in Gerichtsverfahren abgelöst werden könnte.
IV.1.2 Messenger und Chat-Räume
Instant-Messenger sind Soziale Medien, die in überwiegender Form als Kommunikationsmedium auf Smartphones verwendet werden und dabei auf eine geschlossene bzw. halbgeschlossene Kommunikationsgruppe setzen242. Im Gegensatz zu klassischen Sozialen Netzwerken, die typischerweise auch eine Möglichkeit zum Austausch von direkten Nachrichten zwischen Nutzern bieten, stehen bei Messenger weniger die Vernetzung und das Verfolgen von Aktivitäten anderer Nutzer im Mittelpunkt der Nutzung. Vielmehr ist der Kernaspekt von Messenger der Austausch von Informationen, aber auch Mediendateien, wie Bildern und Videos, zwischen zwei Nutzern oder im Rahmen kleinerer Gruppen243. Bedingt durch die i. d. R. kostenfreie Versendung von Nachrichten hat die Etablierung von Messengern die Nutzung von SMS und MMS zurückgedrängt.244 Das hat auch Einfluss auf das Cybergrooming, da entsprechende Nachrichten zunehmend über Messenger verschickt werden245. Dabei werden Nachrichten und Medien wie im Internet üblich unabhängig davon übertragen, ob der jeweilige Empfänger zu dem Gesprächszeitpunkt auch online ist. Typischerweise müssen sich die Nutzer kennen, um miteinander zu kommunizieren, beispielsweise bei WhatsApp über die Handy-Nummer. Dies stellt einen zumindest theoretischen Unterschied zu klassischen Chaträumen dar, wo die Anmeldung oft lediglich einen Nutzernamen braucht246. Eine höhere Anmeldungsstufe stellt die Angabe einer E-Mail-Adresse dar247. Dies kann in den Chat-Räumen dazu führen, dass sich viele Nutzer immer wieder mit einem neuen Namen bzw. neuen Zugangsdaten anmelden. Insbesondere die Flüchtigkeit des Anmeldeprozesses steht im Kontrast zu Instant-Messengern wie WhatsApp248 (Handynummer) oder z. B.
KakaoTalk249 (verifizierte Handynummer). Es gibt auch Mischformen zwischen Messengern und Chat-Räumen. So ist es mittlerweile möglich Skype auch auf Smartphones mobil zu nutzen, wobei die Möglichkeit