Sie setzt also sowohl einen erwachsenen Täter als auch die Anbahnung eines physischen Treffens voraus. Hube erweitert dabei den Schutzzweck auf Minderjährige im Allgemeinen. Ähnlich sieht dies auch Huerkamp, die den Cybergrooming-Prozess wie folgt beschreibt: „[…] häufig unter falscher Angabe zum Alter und zur eigenen Identität nehmen Erwachsene mit sexuellen Hintergedanken gezielt Kontakt zu Minderjährigen im Internet auf“158. Auch hier erfolgt also eine uneingeschränkte Fokussierung auf erwachsene Täter und eine Erweiterung auf Minderjährige allgemein. Dagegen erfolgt keine Fokussierung auf die Absicht des Täters, ein physisches Treffen einzuleiten: Huerkamps Definition erfasst sowohl den reinen Online-Missbrauch als auch die Absicht zum physischen Treffen.
Vor allem der Bezug auf erwachsene Täter ist also in vielen deutschen Definitionen zu finden. Anders scheint dies im englischsprachigen Raum gesehen zu werden. So erfasste O’Connell 2003 den Grooming-Prozess „[…] as a course of conduct enacted by a suspected paedophile, which would give a reasonable person cause for concern that any meeting with a child arising from the conduct would be for unlawful purposes“159. Im Rahmen dieser Definition erfolgt keine Fokussierung auf erwachsene oder minderjährige Täter, dafür aber die nicht belegte und auch nicht haltbare Grundannahme, es handle sich immer um pädophile Täter. Craven et al. erfassten Cybergrooming 2006 als „[…] A process by which a person prepares a child, significant adults and the environment for the abuse of this child […]“160. Diese Diskussion von Unterschieden soll insgesamt nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bisher nicht gelungen ist, eine einheitliche und akzeptierte Definition von Cybergrooming im nationalen wie auch internationalen Diskurs zu etablieren161.
III.3 Abgeleitete Definition von Cybergrooming
Nach Abwägung der unterschiedlichen Definitionen und Betrachtungsweisen erscheint es im Sinne dieser Bearbeitung sinnvoll eine eigene Definition zu nutzen, die sich am Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 3 und auch Nr. 4 StGB orientiert. Demgemäß müsste die Definition die Täter, die Vorgehensweise und die Opfer erfassen. Dabei darf eine solche Definition keine Einschränkungen bei Tätertypologien und Tätermotivation vornehmen, da auch der Tatbestand eine solche Einschränkung nicht zulässt162. Die Definition muss demnach erfassen, dass es sowohl männliche als auch weibliche Täter geben kann, dass sie aus allen Altersschichten kommen können und es irrelevant ist, aus welcher Motivation heraus die Täter handeln und auf welche Art und Weise.
Nach Abwägung erscheint es für diese Arbeit insgesamt sinnvoll Cybergrooming „als das onlinebasierte Einwirken auf ein Kind zur Einleitung oder Intensivierung eines sexuellen Missbrauchs “ zu definieren.
Diese Definition erfasst somit den Tätertpyus, der Vertrauen aufbaut, um ein physisches Treffen einzuleiten, als auch den Tätertypus, dem es primär um den digitalen Missbrauch geht. Bei der Frage des Alters des Opfers bleibt die Definition am Tatbestand und bestimmt es als ein Kind. Zudem grenzt diese Definition nicht das Täterprofil ein, da es keine Aussagen über Alter, Geschlecht etc. vornimmt. Damit erfasst die Definition primär sowohl § 176 Abs. 4 Nr. 3 als auch Nr. 4 StGB, da auch die Form der Einwirkung nicht eingegrenzt wird. In Bezug auf § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB wird zwar das Ergebnis eines sexuellen Missbrauchs angenommen, dies muss gemäß der obigen Definition aber nicht zwingend das Ziel sein. So ist bereits aus der Stellung des Paragraphen im StGB ersichtlich, dass die Handlungsweisen insgesamt als sexueller Missbrauch definiert werden sollen – womit es sich unabhängig von der Motivation des Täters um sexuellen Missbrauch handelt.
Diese Definition erfasst auch § 176 Abs. 4 Nr. 3 a und b StGB, da zwar nicht das Ziel des sexuellen Missbrauchs vorgegeben ist, aber ein Täter mit dem Ziel des sexuellen Missbrauchs miterfasst wird. Wie noch aufzuzeigen sein wird, ist kaum ein praktischer Fall denkbar, in dem ein Täter beispielsweise § 176 Abs. 4 Nr. 3 b StGB erfüllt, ohne damit auch einen sexuellen Missbrauch zu betreiben. Durch den Zusatz, dass die Einwirkung „onlinebasiert“ erfolgen muss, wird dem Präfix „Cyber-“ bei Cybergrooming Rechnung getragen. Diese Definition erfasst zudem durch die Angabe des Ziels der „Intensivierung“, dass Cybergrooming in diesem Sinne nicht nur die Anbahnung zu einem bisher nicht erfolgten Missbrauch darstellen kann. Es ist auch denkbar, dass der Täter ein Kind bereits im physischen Raum sexuell missbraucht und diesen Missbrauchsprozess durch das digitale Einwirken noch verstärken will oder erst einen weiteren Missbrauch ermöglichen möchte.
Aus sozialwissenschaftlicher wie auch kriminalpräventiver Perspektive ist es zwar nachteilig, dass die Definition sich nicht auf Minderjährige allgemein erstreckt. Dies wäre aber nicht deckungsgleich mit den Tatbestandsmerkmalen, was noch im Rahmen der Auswirkungen diskutiert wird.
III.4 Täterprofile und Modi Operandi
Es erscheint naheliegend, dass zielgerichtete kriminalpolitische Maßnahmen auch Kenntnisse um Täter und genutzte Modi Operandi benötigen. Wenn es beispielsweise nur eine Tätergruppierung gibt, die immer gleich vorgeht, können die Gegenmaßnahmen anders aussehen als bei differenten Täter- und Motivgruppen.
Dabei zeichnet sich bereits ab, dass die Modi Operandi von Tätern, um einen sexuellen Missbrauch über onlinebasierte Mechanismen einzuleiten, vielfältig sind. Dies liegt auch darin begründet, dass die Täter offenbar in allen Alters- und Geschlechtsstufen und aus diversen Motivationen heraus handeln können. So ergibt sich aus der im Rahmen dieser Arbeit vorgenommenen Analyse der PKS, dass es sich bei den Tatverdächtigen um Kinder, Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene in jeder Altersstufe handelt und die unter 21-jährigen in etwa so viel wie die über 21-jährigen Tatverdächtigen sind163. Die festgestellten Tatverdächtigen kommen aus beiden Geschlechtern, wobei eine klare Tendenz zu den männlichen Tatverdächtigen festgestellt werden kann. Interessanterweise ist dieser Trend auch dadurch offensichtlich, dass in entsprechenden Studien typischerweise nur die männliche Form für Täter genutzt wird. Beispielsweise spricht das „Online Grooming Projekt“ der Europäischen Union wie selbstverständlich von „Men“, wenn es normalerweise korrekter von „Offenders“ sprechen müsste164.
In der internationalen Betrachtung von Cybergroomern haben sich drei primäre Tätertypologien herausgebildet: der „Intimacy-Seeking“, der „Adaptable Style“ und der „Hyper-Sexualised“ Täter165.
Der Intimitätstäter
Dem Intimitätstäter („Intimacy-Seeking“166) geht es vornehmlich um das Erreichen einer vertrauensvollen Beziehung zu einem Kind oder einem Jugendlichen, um Intimität aufzubauen. Dabei sind sexuelle Missbrauchshandlungen ein Mechanismus, um diese Intimität zu erreichen, aber nicht das eigentliche Ziel dieses Tätertypus. Daher hat dieser Täter prinzipiell keine Kontakte zu anderen Sexualtätern und nur vergleichsweise geringe Opferzahlen, da es ihm ja um den Vertrauensaufbau geht, der wiederum einen hohen Einsatz an Ressourcen, v. a. Zeit, erfordert167. Demnach ähnelt dieser Typus dem schon beschriebenen Vertrauens- oder langfristigen Tätertypus.
Der anpassungsfähige Täter
Der „Adaptable Style“ oder anpassungsfähige Typus ist dagegen von der Einleitung einer großen Anzahl von sexuell orientierten Onlinekontakten zu Kindern und Jugendlichen geprägt, wodurch mit einer auch entsprechend hohen Anzahl an Opfern gerechnet werden kann. Dabei werden die Kinder nur als Mittel zum Zweck der Befriedigung von Interessen gesehen. Obwohl bei diesem Typus mit kinderpornografischen Schriften zu rechnen ist (s.u. beim nächsten Typ), wird keine Unterscheidung vorgenommen, ob der Tätertypus ein realweltliches Treffen zum Ziel hat oder die Vornahme sexueller Handlungen über Soziale Medien beabsichtigt. Insgesamt geht der Täter aber vorsichtig vor und