Dass diese Schätzung nicht übertrieben ist, zeigt auch folgende Überlegung: Wenn allein im Landgerichtsbezirk Köln mit etwas über eine Mio. Einwohnern mehr als 300 derartige Ermittlungsverfahren bearbeitet werden, dann würden – bei etwa gleicher Deliktshäufigkeit – allein die Staatsanwaltschaften der Großstädte mit über 500.000 Einwohnern zu einer Gesamtzahl von 4.200 Ermittlungsverfahren wegen ärztlicher Behandlungs-, Aufklärungs- und Organisationsfehler beitragen.
Deutlich höher liegt die Schätzung von Krumpazky/Sethe/Selbmann mit „etwa 20 bis 30 Ermittlungsverfahren pro 1000 Ärzte und Jahr“ – VersR 1997, 425 –, da bei etwa 300.000 berufstätigen Ärzten sich daraus rechnerisch 6.000 bis 9.000 Strafverfahren ergäben. Zum Zahlenmaterial s. auch Althoff/Solbach ZS für Rechtsmedizin 1993 (1984) 273; Figgener Arzt und Strafrecht – Begutachtung von ärztlichen Sorgfaltspflichtverletzungen („Kunstfehlern“), Erfahrungen und Ergebnisse aus 10 Jahren (1968–1977), 1981; Högermeyer Ärztliche Kunstfehler – Ein Beitrag aus der Gutachterpraxis des Institutes für Gerichtliche Medizin der Universität Tübingen, 1991; Jahn/Kümper MedR 1993, 413; Kuon Ärztliche Kunstfehler in der Gutachtenpraxis des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Tübingen, 1985; Mallach Über ärztliche Kunstfehler in der Praxis des niedergelassenen Arztes, Schriftenreihe der Bezirksärztekammer Süd-Württemberg, Bd. 5, 1985; Solbach Arztstrafrechtliche Ermittlungsverfahren in Aachen, 1985; Reichenbach Typische Behandlungsfehler in der Praxis des niedergelassenen Arztes aus der Sicht des Chefarztes der Allianz-Versicherung, Schriftenreihe der Bezirksärztekammer Süd-Württemberg, Bd. 5, 1985; Orben Arzthaftung für Behandlungsfehler, 2002; Peters Der strafrechtliche Arzthaftungsprozess, 2000; Müller DRiZ 1998, 155 ff.; Pflüger Krankenhaushaftung und Organisationsverschulden, 2002.
Dazu Gaede in: AG Medizinrecht im DAV/IMR (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, 2018, S. 11, 15 f.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 8.5.2007, S. 8, die gesetzlichen Krankenkassen hätten etwa 15.300 Fälle von Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen verfolgt. Weitere Nachweise siehe Kapitel 1 Teil 13 I und Teil 14 I sowie Laufs/Kern/Rehborn/Ulsenheimer § 161 Rn. 1 ff. und § 162 Rn. 1 ff. Siehe allerdings zum bisher offensichtlich eher vorsichtigen Umgang mit den §§ 299a, 299b Gaede medstra 2018, 264, 265.
So existieren formelle Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Bayern (München, Hof und Nürnberg), in Hessen (GenStA Frankfurt am Main), Thüringen (Meiningen) und Schleswig-Holstein (Lübeck), wobei der Abrechnungsbetrug im Vordergrund steht. In weiteren Bundesländern existieren spezielle Kommissariate zur Verfolgung von Vermögensdelikten im Gesundheitswesen, so in Berlin, Bremen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Siehe ferner Nds.LT-Drucks. 18/3557 (neu), S. 3 f. und zum Zusammenhang Bausback in: Kubiciel/Hoven (Hrsg.), Korruption im Gesundheitswesen, 2016, S. 33, 41.
Dabei dürften die niedergelassenen Ärzte bisher weit weniger betroffen sein als der Krankenhausbereich, s. Scheppokat/Neu VersR 2002, 398: 730 von 2.430 Verfahren betrafen den niedergelassenen Arzt, der Rest den Krankenhausbereich.
Oberstaatsanwalt Badle FAZ vom 12.10.2011, S. 21; ders. medstra 2015, 1 f. Siehe dazu auch Ulsenheimer in: FS Steinhilper, 2013, S. 225 ff. Die gegen Badle erhobenen Vorwürfe entkräften die geltend gemachten sachlichen Gesichtspunkte dabei allein nicht.
Wohlers/Kudlich ZStW 119 (2007), 361, 375 (allerdings im Konkreten erwägend); zur Vorsicht mahnend auch Gaede medstra 2018, 264, 265 ff., 270 ff. Siehe allerdings zur Korruption deutlich anderen Sinnes etwa Fischer medstra 2015, 1 f.
Deutsch Arztrecht und Arzneimittelrecht, 1983, S. 125; Krümpelmann GA 1984, 493; Lilie/Orben Zur Verfahrenswirklichkeit des Arztstrafrechts, ZRP 2002, 156 ff.
S. dazu Peters MedR 2003, 219 f.; Ulrich ÄRP 1985, 386; Ulsenheimer MedR 1987, 208; s. dazu eingehend Lilie/Orben ZRP 2002, 154 ff.; Peters Der strafrechtliche Arzthaftungsprozess, 2000 mit vielen Detailangaben und einer Auswertung von 194 Verfahren zwischen 1992 und 1996. Im Jahr 2009 wurden 32 % der Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt (NJW Aktuell 13/2011, S. 10).
Laufs NJW 1990, 1505; die Anzahl der in den Krankenhäusern acht Tage stationär behandelten Fälle betrug 2016 knapp 19 Mio. (davon 7,1 Mio. Operationen), die Zahl der Krankenhausärzte im Jahr 2018 202.087. 75,5 % aller von den Schlichtungsstellen überprüften Fälle betrafen Kliniken, 24,5 % den ambulanten Bereich (Beerheide DÄBl. 2018, A 628).
Näher, auch über das Gesundheitswesen hinaus, Gaede ZStW 129 (2017), 911, 912 ff.
LAG Hessen Urt. v. 5.12.2011 – 7 Sa 524/11.
Vgl. Ulsenheimer In den Mühlen der Justiz, Der Anästhesist 2004, 1001 ff.; StA Gießen 701 Js 26456/03; StA Krefeld 3 Js 61/06; CHAZ 2005, 7.
Positives Gegenbeispiel hingegen bei Badle medstra 2015, 2 f. Siehe im Übrigen wieder Fn. 18.
Zur belastenden Wirkung gerade der Hauptverhandlung, in welcher der Angeklagte de lege lata anwesend sein muss Gaede ZStW 129 (2017), 911, 913 f., 917 ff.
BGH NJW 1977, 1103.
Schwarz Der Gerichtssaal 106 (1935), 36; Gaede ZStW 129 (2017), 911, 912 ff.; vgl. BGH NStZ 1996, 34 f.
Siehe Rn. 2047.
Siehe