78
Die Entscheidung, Anordnung und/oder Fortdauer der Freiheitsentziehung von einer Kriminalprognose abhängig zu machen, erzeugt zwei Arten von Opfern: diejenigen, die unter den sog. falschen Negativen zu leiden haben, und diejenigen, die als falsche Positive ungerechtfertigt eingesperrt werden/bleiben.[27] Das Fehlerrisiko muss auf beide Seiten verteilt werden: wollte man es einseitig einer Seite aufbürden, könnte man sich den ganzen Prognoseaufwand sparen, denn es hieße, die Prognose hinterrücks wieder abzuschaffen. Insbesondere ist die naheliegende Versuchung, das Fehlerrisiko bei den falschen Positiven zu verstecken, weil man diese ja nicht von den wahren Positiven unterscheiden kann, aus Gründen der Logik der Kriminalprognose unzulässig. Außerdem: Wer die Prognosesicherheit, die er erfahrungswissenschaftlich betrachtet nicht haben kann, über die rechtliche Beurteilung herbeizuzwingen versucht, der handelt unverhältnismäßig, weil er die eine Opferseite zugunsten der anderen einseitig belastet[28], und er lässt die Prinzipien der Rechtssicherheit außer Acht.[29] Die kriminalprognostische Beurteilung hat Grenzen; sie kann nicht über eine Wahrscheinlichkeitsaussage hinausgehen. Eine exakte Vorhersage menschlichen Verhaltens ist mit keiner Methode möglich.
Anmerkungen
Pfeiffer FAZ v. 5.3.2004: „Dämonisierung des Bösen“; Schröder sprach 2001 in einem Interview der BamS von „Wegschließen, und zwar für immer“, dazu u.a. Prittwitz 2003.
Da kann es kaum wundern, wenn sich integrationsfeindliche Bürgerinitiativen (Mahnwachen u.ä.) bilden oder Beschäftigte einen illegalen Streik anzetteln, weil sie die Wiedereinstellung eines verurteilten Sexualstraftäters verhindern wollen (so im Juli 2013 in Bremerhaven).
Tondorf/Tondorf 2011, 70.
Bei den verstärkt hinzugezogenen niedergelassenen Gutachtern ist bisweilen die praktische, insb. therapeutische Erfahrung zu vermissen.
Boetticher u.a. NStZ 2006, 537 (Prognosegutachten), vorher dies. NStZ 2005, 57 (Schuldfähigkeitsgutachten); vgl. Eisenberg NStZ 2005, 304 sowie Konrad R&P 2010, 30 zu „Schlechtachten trotz Einhalten der Mindestanforderungen“.
Feltes 2003, 5; Eisenberg NStZ 2005, 304.
Nedopil NStZ 1999, 433.
Neubacher NStZ 2001, 449; Müller-Metz StV 2003, 42.
Exempl. BVerfGE 117, 71 = JR 2007, 160 m. Anm. Kinzig und BVerfGK 2, 55 = NStZ-RR 2004, 76; vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2010, 122; StraFo 2008, 516; 2009, 236, 413; BVerfGK 14, 514 und 16, 304; BVerfGE 129, 326 Rn. 99 ff.; BVerfG StV 2012, 291, 543; 2013, 218; R&P 2012, 54; 2013, 42.
Vgl. auch Volckart 1993, 1997 und 1999.
Kröber NStZ 1999, 593.
Woynar 1998, 122.
Ausf. Pollähne 2011, 249 ff.
BGH NStZ-RR 2008, 304.
Ausf. Tondorf/Tondorf 2011, 66 ff.
Ausf. Brettel 2007.
Tondorf/Tondorf 2011, 89.
Hare Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R) 1991 – deutsche Übersetzung von Nedopil/Müller-Isberner 2001.
Müller-Isberner u.a. 1998.
Tondorf/Tondorf 2011, 99 m.w.N.; Strasser KrimJ 2005; Ross/Pfäfflin MschrKrim
Eisenberg StV 2005, 346; Müller NStZ 2011, 665; Pollähne 2011, 157 ff.
St. Rspr. des BVerfG exempl. StV 2000, 265; 2009, 38 und 708; R&P 2009, 58.
BGHSt 8, 113; vgl. auch StV 1983, 404 sowie zur „Arbeitsteilung“ Pollähne 2011, 220 ff.
Tondorf/Tondorf 2011, 242 ff., 291 ff.
KG