4.1.1 Allgemeine Gründe und Ziele für Neuregelungen
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Im letzten Jahrzehnt gaben die Bilanzskandale um Enron und Worldcom und die daran anschließende Verabschiedung des Sarbanes-Oxley-Acts im Jahr 2002 den entscheidenden Ausschlag für die schrittweise Harmonisierung von IFRS und den amerikanischen Regelungen nach US-GAAP im Rahmen des sog. Konvergenzprojekts.[52] Noch im selben Jahr erfolgte die Festlegung der Konvergenz im sog. Norwalk Agreement. Mit diesem Agreement verpflichteten sich die Accounting Standardsetter Boards IASB und FASB für die Erstellung von hochwertigen, einheitlichen und weltweit einsetzbaren Rechnungslegungsnormen. Für die Erreichung des Hauptziels, der Kompatibilität, vereinbarten die Boards unter anderem die Durchführung von short-term projects. Diese Projekte sollen für die Entfernung von einer Auswahl an bestehenden Unterschieden zwischen den beiden Accounting Standards sorgen.[53] Der neue IFRS 11 „Joint Arrangement“ „stellt das Ergebnis des vom IASB aufgesetzten Projekts „Joint Venture [. . .] dar.“[54] Durch die Angleichung an die US-GAAP Regelung AP 18 „The Equity Method of Accounting for Investments in Common Stock“ wurde mit dem Abschluss des Projekts ein bedeutender Schritt in Richtung Konvergenz vollzogen.[55] Der Schwerpunkt der Änderung der Neuregelung im IFRS 11 liegt in der Abgrenzung und Bilanzierung von gemeinschaftlichen Vereinbarungen. Der Standard IFRS 11 ersetzt die bisherigen Regelungen in IAS 31 und SIC-13.[56]
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Neben dem Ziel der Konvergenz erfordert die zunehmende Komplexität von Konzernstrukturen aufgrund der Globalisierung eine regelmäßige Angleichung der Vorschriften, um dem im Framework verankerten obersten Ziel der IFRS-Rechnungslegung, entscheidungsnützliche Informationen für die verschiedenen Interessengruppen bereitzustellen, gerecht werden zu können.[57] Primär gelten die Finanzinformationen nach dem IFRS-Framework als entscheidungsnützlich, wenn die Abschlüsse ausschließlich relevante und den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Informationen enthalten. Sekundär zählt für einen Nutzen für die Stakeholder Vergleichbarkeit, Nachprüfbarkeit, Zeitnähe und Verständlichkeit. Des Weiteren sollen der Nutzen der Informationen und die damit verbundenen Kosten in einem angemessenen Verhältnis stehen.[58]
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Der IFRS 11 ist deshalb nur ein Bestandteil von weiteren umfangreichen und durch das IASB ausgeführten Modifikationen im Bereich der internationalen Konzernrechnungslegung. Das im Jahr 2011 veröffentlichte „Consolidation-and-Disclosure-Package“ umfasst zusätzlich zum IFRS 11 die neuen Standards IFRS 10 „Konzernabschlüsse“ und IFRS 12 „Angaben zu Anteilen an anderen Unternehmen“ sowie die Überarbeitungen der Standards IAS 27 „Konzern- und Einzelabschlüsse“ und IAS 28 „Anteile an assoziierten Unternehmen“.[59]
4.1.2 Projektspezifische Zielsetzungen
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Vor dem Hintergrund der angestrebten Konvergenz sowie im Speziellen der Anforderung einer besseren Vergleichbarkeit von IFRS Abschlüssen legte das IASB für das Projekt „Joint Venture“ im Wesentlichen zwei projektspezifische Ziele unter Mitwirkung des FASB fest:[60]
Abschaffung der Rechtsformabhängigkeit
Sachverhalte mit ähnlichem wirtschaftlichem Gehalt sollen einheitlich abgebildet werden. Die bilanzielle Behandlung einer gemeinschaftlichen Vereinbarung ausschließlich in Abhängigkeit von der rechtlichen Ausgestaltung der Vereinbarung verhinderte dies bislang.[61]
Abschaffung des Bilanzierungswahlrechts
Die Wahlmöglichkeit zwischen Equity-Methode oder Quotenkonsolidierung bei der Bilanzierung von Joint Venture im Konzernabschluss führte dazu, dass gleiche Sachverhalte teilweise erheblich unterschiedlich in der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage dargestellt wurden (vgl. dazu oben Rn. 41 ff.). Aufgrund dessen und da nach US-GAAP gemeinschaftliche Vereinbarungen in Form eines separaten Rechtsträgers in der Regel. nur nach der Equity-Methode bewertet werden können,[62] sollte die Abschaffung des Wahlrechts zur Anwendung der Quotenkonsolidierung erfolgen.
4.1.3 Entwicklungs- und Einführungsphase des IFRS 11
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Im September 2007 veröffentlichte das IASB seine detaillierten Planungen über die inhaltlichen Neuerungen bzw. Änderungen mit der Herausgabe des Standardentwurfs ED 9 Joint Arrangements.[63] In der bis zum 11.1.2008 weltweit stattgefundenen Kommentierungsfrist kritisierten verschiedene Interessengruppen vor allem vehement die Abschaffung der Quotenkonsolidierung.[64] In einer „comment letter“-Analyse von Ünal lehnten 53 % von 107 Kommentierenden (insgesamt auswertbar: 110 CL) die Abschaffung der Quotenkonsolidierung ab. Im Vergleich dazu fiel die prozentuale Ablehnung bei der Frage zur neuen Terminologie und der Abschaffung der ausschließlichen Rechtsformabhängigkeit wesentlich geringer aus. Als Argumente für ihre starke Ablehnung gaben die Teilnehmer zusammengefasst folgende Gründe an: die Quotenkonsolidierung spiegelt den wirtschaftlichen Gehalt der Anteile besser wider; es erfolgt eine Gleichstellung von assoziierten Unternehmen und Joint Ventures – trotz des im IFRS definierten Unterschieds im Einfluss; das Konvergenzziel mit US-GAAP wird nicht erreicht, da dort für zwei Branchen (Öl- & Gasindustrie und Bau & Konzession) eine Ausnahmeregelung besteht, die die Anwendung der Quotenkonsolidierung erlaubt. Etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmer, die der Kommentierungsaufforderung des IASB folgten, gehörten genau einer dieser beiden Branchen an. Der Abschluss des Projekts erfolgte mit der Veröffentlichung von IFRS 11 im Mai 2011.[65]
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Die Anwendung des Standards ist verpflichtend für die Geschäftsjahre mit Beginn am oder nach dem 1.1.2013 durchzuführen. Eine frühere Anwendung ist nur in Kombination mit der Anwendung des gesamten Consolidation-and-Disclosure-Packages erlaubt (vgl. IFRS 11.C1). Die Anerkennung und Übernahme dieser Standards in das europäische Recht fand im Dezember 2012[66] innerhalb des nach Art. 3 der Internationalen Rechnungslegungsstandards-Anwendungsverordnung durchzuführenden förmlichen Verfahrens (das sog. Komitologieverfahren) der EU-Kommission statt.[67] Erst diese Transformierung führt zur Rechtsverbindlichkeit, da das IASB bzw. FASB nicht-hoheitliche und vom nationalen Gesetzgeber unabhängige Institutionen darstellen. Für die Aufstellung des Konzernabschlusses nach IFRS sind kapitalmarktorientierte Unternehmen bereits seit 2005 nach Art. 4 der Verordnung verpflichtet. Im Gegensatz zum IASB sieht die EU eine verpflichtende Erstabwendung erst ab dem 1.1.2014 vor.[68] Die EU folgt damit dem Ratschlag des EFRAG für eine Verschiebung der Erstanwendung.[69] Dennoch muss für die Vorperiode die Anwendung zum Zwecke des Vergleichs erfolgen.[70]
4.1.4 Rechnungslegungsstandard IFRS 11 im Überblick
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Ziel des IFRS 11 ist es, den Unternehmen mit gemeinschaftlich geführten Beteiligungen prinzipienorientierte Regelungen für die Rechnungslegung vorzugeben (vgl. IFRS 11.1). Zur Erreichung des Ziels gibt der Standard folgende Vorgehensweise vor: Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob es sich bei der Beteiligung überhaupt um eine gemeinsame Vereinbarung (Joint Arrangement) handelt. „Dies setzt insbesondere voraus, dass die relevanten Entscheidungen von mehreren Investoren nur gemeinsam getroffen werden können.“[71] Trifft dies zu, dann folgt im nächsten Schritt die Klassifizierung der gemeinschaftlichen Vereinbarung als gemeinschaftliche Tätigkeit (Joint Operation) oder als Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture), abhängig von den Rechten und Pflichten, die sich aus der Vereinbarung für die Partnerunternehmen ergeben.[72]
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Liegt ein Equity Joint Venture