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Die Unterbringung gem. § 63 StGB ist einer der denkbar schwersten Eingriffe[234]. Die Verteidigung muss – und sei es im Wege der Revision – gewährleisten, dass die Annahme einer rechtlich erheblichen tatauslösenden Wahnstörung beim Beschuldigten auch tatsächlich gerechtfertigt ist. Dies kann ungeachtet eines insoweit „eindeutigen“ Gutachtens zweifelhaft erscheinen, wie im Fall eines seit einigen Monaten depressiv gestimmten Beschuldigten, der – nicht unerheblich alkoholisiert – eine Bekannte aufgrund eines tags zuvor gefassten Entschlusses aufsuchte, um sie mit einem Beil zu töten. Er hatte sich in sie verliebt und machte sie, die seine Gefühle nicht erwiderte, „in wahnhafter Verkennung der Realität“ für seinen niedergedrückten Zustand verantwortlich. Nachdem er sie mit den Worten „Na du Schlampe, hast du Lust zu sterben?“ angesprochen und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte, ging er mit erhobenem Beil auf sie zu, woraufhin sie in Todesangst flüchtete. Der Beschuldigte folgte ihr noch kurz, gab jedoch sein Vorhaben auf, da er dies „doch nicht übers Herz brachte“.
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Das SchwurG, das ihn gem. § 63 StGB unterbrachte, war – sachverständig beraten – davon ausgegangen, dass beim Beschuldigten eine überdauernde Persönlichkeitsstörung vom schizoid-antisozialen Typ als schwere andere seelische Abartigkeit und zudem im Tatzeitraum eine hierauf gründende wahnhaft-depressive Psychose in der Form eines „sensitiven Beziehungswahns“ als krankhafte seelische Störung bestand. Ob dadurch, wie gem. §§ 21, 63 StGB zu fordern, seine Einsichtsfähigkeit gänzlich fehlte oder nur vermindert war, blieb zweifelhaft. Vom Totschlagsversuch war der Angeklagte jedoch strafbefreiend zurückgetreten[235]. Wegen der verbliebenen Körperverletzung (Faustschlag) und Bedrohung war keine dramatisch hohe Strafe zu befürchten. Für ein echtes Wahnerleben sprach wenig. Der Beschuldigte hatte die Ablehnung der jungen Frau völlig richtig erkannt und dieses – noch nachvollziehbar – als demütigend und herzlos empfunden. Auch dass er sie für seinen unglücklichen Zustand verantwortlich machte, war nicht völlig abwegig. Die weiter angenommene Persönlichkeitsstörung vom schizoid-antisozialen Typ war abzugrenzen gegenüber solchen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und Ursache für strafbares Tun sein können, ohne dass sie die Schuldfähigkeit „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB berühren[236].
9. Politisch motivierte Gewalttaten
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Von politisch motivierten Straftaten („Hassdelikten“ bzw. Verbrechen mit fremdenfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund), denen „niedrige Beweggründe“ im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB[237] zugrunde liegen, sprechen wir, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sich der Angriff gegen die politische Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuelle Orientierung, Behinderung oder das äußere Erscheinungsbild bzw. den gesellschaftlichen Status des Opfers richtet[238].
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Besonders beunruhigend sind und waren durch Fremdenhass induzierte Brandanschläge. Das Jahr 1993 war mit insgesamt 284 gezählten Brandstiftungen und Brandanschlägen hervorstechend. Die Anzahl ist kontinuierlich abgesunken und hat im Jahr 2000 die Zahl von 34 nicht überschritten. Mordanschläge rechter Gewalttäter machen nur einen kleinen Bruchteil der Mordstatistik aus, das jedenfalls wurde von den amtlichen Stellen bislang behauptet. Nachdem im September 2000 der „Tagesspiegel“ vermeldet hatte, dass in der Zeit von 1990 bis Juli 2000 aufgrund rechter Gewalt insgesamt 93 Todesopfer zu beklagen waren, soll eine Überprüfung der Einzelfälle diese Annahme nur in 37 Fällen bestätigt haben; in 57 Fällen soll eine rechtsorientierte Motivation des Täters nicht feststellbar gewesen sein[239]. Die Zahl der politisch motivierten Tötungsdelikte liege für die Jahre 1994 bis 2000 konstant zwischen 8 und 11 Fällen jährlich[240]. Die von rechten Gewalttätern verübten Tötungsdelikte einschließlich Versuche würden zwischen zehn im Jahre 2001 und zwei im Jahre 2005[241] schwanken. Von Gewalttätern des linken Spektrums begangene Tötungsdelikte würden zahlenmäßig zwischen null und drei Taten bzw. Versuchen pro Jahr liegen[242].
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Heute wissen wir es besser. Seit November 2011 ermittelt der GBA gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Die Gruppierung soll bundesweit für neun Morde an Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft in den Jahren 2000 bis 2006, den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn im April 2007 und zwei Bombenanschläge in Köln 2001 und 2004 verantwortlich sein. Ende 2011 befanden sich bereits vier Beschuldigte in Untersuchungshaft[243].
Teil 1 Einführung › A › V. Verurteilungsmaßstab
V. Verurteilungsmaßstab
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Ungeachtet der absoluten Strafdrohung des § 211 StGB gilt in Schwurgerichtsprozessen kein anderer Verurteilungsmaßstab als in allen sonstigen Strafverfahren. Konnte man dem Tatverdächtigen kein Geständnis abringen und sind auch Augenzeugen der Bluttat nicht vorhanden, muss der Staatsanwalt, der hinreichenden Tatverdacht bejaht, einen klassischen Indizienprozess führen. Richter dürfen den Angeklagten nur verurteilen, wenn sie von dessen Schuld überzeugt sind. Die Überzeugung des Tatrichters ist jedoch bei genauem Hinsehen nichts anderes als sein ins Gewand „subjektiver Gewissheit“ gehüllter Glaube, die objektive Wahrheit zu kennen. Rechtsphilosophisch betrachtet ist Überzeugung die „subjektive Gewissheit von der objektiven Wahrheit“[244].
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Unter welchen Voraussetzungen er zu bestimmten Schlussfolgerungen und Überzeugungen kommt, kann dem Tatrichter nicht vorgeschrieben werden[245]; an Beweisregeln ist er nicht gebunden[246]. Welche Indizien er für seine Überzeugungsbildung ausreichen lässt, liegt in seiner pflichtgemäßen Entscheidung[247]. Die vom Tatrichter aufgrund einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände gezogenen Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich[248] sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist[249]. Der vom Gesetz verwendete Begriff der „Überzeugung“, so der BGH, schließe die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr sei es ein Wesensmerkmal der Überzeugung, dass sie sehr häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibe, weil dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung angesichts der Unvollkommenheit der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen sei. Es sei allein Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen könne oder nicht[250].
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Die